Protokoll
Majorana wurde von einem der Interviewpartner als zu kritisch bezeichnet, um einen großen Schritt in der Wissenschaft auch wirklich zu vollziehen. Die Filmemacher bestätigten auf eine Frage hin, daß dies eine Schlüsselaussage in ihrem Film ist. Sie wollten strikt einer Biografie folgen und damit einen geschlossenen Film drehen, in dem man verfolgen kann, warum ein Mensch forscht, auf eine bestimmte Weise Fragen nachgeht und eine Grenze seines Tuns erreicht. Das Resultat der damals an den entscheidenden Punkt gelangten Atomphysik steht heute in Form von Pershing-Raketen vor unseren Türen, und die Auseinandersetzung damit lieferte das Motiv für die Suche nach den Anfängen. Während der Recherchen waren F. und D. Dubini überzeugt davon, mehr herausfinden zu können als bislang gemeinhin bekannt war und eine Deutung von Majoranas Verschwinden geben zu können. Da diese Erwartung nicht erfüllt wurde, blieb ihnen im Film auch nichts anderes übrig als eine ehrliche Selbstbeschränkung. In der folgenden Diskussion kristallisierten sich drei Einwände gegen Dramaturgie und Kameraarbeit heraus:
1. Trotz erfolgloser Recherche orientiert sich die Erzählweise am Suchen-und-Finden, im Zuschauer werden Erwartungen geweckt, er wird auf eine falsche Fährte gesetzt, z.B. wenn sich die Tresortüre öffnet und man denken muß, jetzt kommt das erhellende Dokument zu Tage.
2. Die zahlreichen kleinen Geschichten bleiben letzlich unverbunden und hätten mit einem anderen Schnitt besser auf den Punkt gebracht werden können (D. Leder) bzw. die Grenzen, die in den einzelnen Facetten des Materials sichtbar werden, versucht der Kommentar aufzuheben, statt sich auf das Recherchierte zu beschränken (H. Farocki). Dem entgegneten die Filmemacher, daß sie selbstverständlich eine Synthese ihrer Materialien leisten wollten, wobei dies sehr subjektiv entlang des beschränkten Bildmaterials geschah. Schließlich mußten die Geschichte der Physik, die politische Geschichte, die Gschichte des Mythos‘ Majorana und auch die Geschichte der Recherche zu einer Einheit zusammengefügt werden.
3. Für die Gedanken Majoranas und die abstrakten Physikalischen Sachverhalte seien keine Bilder gefunden worden, die diese hätten versinnlichen können. Dem stimmten die Filmemacher zu; Fosco Dubini verdeutlichte ihr Problem: Die befragten Physiker waren freundliche Menschen, und er sah keine Möglichkeit, durch entsprechende Kameraarbeit etwas vom Gegensatz ihres Äußeren und ihrer Arbeit (z.T. an der Wasserstoffbombe) sichtbar zu machen! Das gleiche gilt für die durchweg idyllisch gelegenen wissenschaftlichen Institute, und auch die für die Experimente damals gebrauchten Geräte sprechen nicht von dem mit ihnen ermöglichten Schrecken. Die aus diesem Mangel heraus verwendeten Bilder von Kathedralen und vom Meer zu Gedanken Majoranas führten zu einer Überhöhung seiner Person, so Farocki, und die Kamerafahrten über saubere und ordentliche Häuser und Straßen, in denen sich der Physiker einst aufgehalten hat, stehen in einem Mißverhältnis zu dem Grauenhaften, an das die Reflexionen sich herantasten sollen.
Der Kritik an der Personalisierung der Nachforschungen über Wissenschaft und Politik begegnete D. Dubini mit dem Hinweis auf die Wirkungsmöglichkeiten der Figur Majoranas, die emotional berührt, den Zuschauer verunsichert und zur Beschäftigung mit der Verweigerung als möglicher Erklärung für sein Verschwinden auffordert. In diesem Sinne waren auch eine Reihe von Äußerungen aus dem Publikum: Wichtig sei gerade die Bedrohlichkeit der Geschichte; das verschwinden, Suchen und Nicht-finden stehe in bildhaftem Zusammenhang mit dem Komplex von Politik, Geheimdiensten, Wissenschaft und Krieg, um die sich Mythen und Fiktionen ranken, mit denen wir schließlich leben. Durch die Widersprüche, in die sich die Zeitzeugen verstricken, löse sich die Vergeblichkeit der dokumentarischen Analyse positiv auf. Gegenposition bezog noch einmal Werner Ruzicka: Solchen Mythen gelte es doch gerade durch das Herstellen klarer Zusammenhänge zu begegnen.