Extra

Das Kreuz mit der Geschichte

Duisburger Filmwoche 10
08.11.1986

Podium: Detlev Peukert, Peter Schoettler
Moderation: Werner Ružička
Protokoll: Jochen Baier

Protokoll

Die große Tendenz, Bilanzen zu ziehen, sah einleitend Werner Ruzicka als thematischen Bezugspunkt dieser Diskussion, zu der die Filmwoche die Historiker Detlev Peukert (Essen) und Schoettler (Bremen) eingeladen hatte. So zeige die von Ratlosigkeit und Melancholie getragene Auseinandersetzung mit dem Themenkomplex „Stammheim“ ebenso deutlich Bilanzierungswünsche seitens der Linken wie die mit unerhörter Militanz durchgeführte Konsenskündigung rechter Historiker, die das Ziel verfolge, das Thema FASCHISMUS abzuschließen.

Die Ratlosigkeit über die zuletzt angesprochene Historiker-Debatte, die innerhalb eines gesamtgesellschaftlichen Klimas der Unsäglichkeit (Stichwort: „Gnade der späten Geburt“) eine intellektuelle und emotionale Wende zurück zum deutschnationalen Stammtischräsonnement vollziehe, machte Peukert zum Ausgangspunkt seiner einleitenden Betrachtungen über Nutzen und Nachteil der Geschichte für das Leben. Denn eben darum gehe es – auch bei der jüngsten, großspurigen Faschismusdebatte, die wissenschaftsintern nicht zu diskutieren gewesen sei, weil Interpretationen, nicht Fachfragen deren Thema gewesen seien. Die Funktion von Geschichte für die Öffentlichkeit differenzierte Peukert – Nietzsche folgend – in die monumentalische, antiquarische, kritische Funktion. Jede dieser Funktionen bezeichne auch einen spezifischen Umgang mit Geschichte:

die monumentalische wirke traditionsbildend, handlungsleitend auf dem Weg über historisch Bedeutsames, nehme dafür aber in Kauf, mit Unwirklichkeit geschlagen zu sein;

die antiquarische, deren entscheidendes Kriterium das der Nähe sei, bilde recht eigentlich die Perspektive der Heimatforscher und der Biographie. Deren Liebe für das Detail gerate aber in die Gefahr der Überidentifikation, der Fixierung auf das isolierte Einzelne;

der kritische Umgang, der, als Praxis der Linken in den 60er und 70er Jahren nahezu Hegemonialstellung erreichen konnte, habe nun sowohl monumentalische wie antiaquarische Mythen ideologiekritisch aufgelöst, sehe sich gleichwohl resignativer bis zynischer Selbstauflösung ausgesetzt, sei es doch das Zeichen der (Ideologie-) Kritik, vor ihren eigenen (ideologischen) Grundlagen nicht haltmachen zu können und also: die aufgeklärten Geschichtsbilder selbst der kalten Luft der Aufklärung aussetzen zu müssen.

Der jetzige Gegenschlag, die gegenwärtige Gegenbewegung sei demnach nicht bloß einer monumentalisch-militanten Rechten anzulasten, sondern ebensowohl einer auf Nähe drängenden antiquarisch verfahrenden Linken (abgesehen von linker Partizipation am Monumentalischen, vgl. etwa „Rosa Luxemburg“ etc.). Beide Gegenbewegungen hätten – bisweilen legitime – Ansätze, sei doch der kritisch-aufklärerische Umgang mit Geschichte insofern defizitär, als er keine Identifikation anbieten könne.

Peukert selbst bekundete Ratlosigkeit hinsichtlich Perspektiven und Alternativen einer Wissenschaft, die dieser kritischen Analyse sich stelle, ohne deren Einladung zur Resignation anzunehmen.

Schoettler, bemüht um eine andere Perspektive auf das Thema („Was haben Historiker normalerweise mit Film zu tun?“), gleichwohl ansetzend an Peukerts Thesen, warnte vor allem vor Distanzverlust seitens der Linken, wo es um die Aufarbeitung des Faschismus gehe. Der bisherige Konsens über die inszenatorische Distanz von Kunst, focussiert in dem Brecht-Zitat, die unmittelbare Ansicht (Photographie) eines AEG-Gebäudes etwa gebe fast nichts über den – in der Vermittlung angesiedelten – Charakter dieser Institution, drohe links durch die (antiquarisch motivierte) Befürchtung vom Verlust des Unmittelbaren verloren zu gehen. Gefährlich sei es etwa, in dem Bestreben, Nazis nachvollziehend zu verstehen, um der Unmittelbarkeit willen eine Dialektik von Opfern und Tätern zu unterstellen. Gangbar sei hier einzig der Weg, die historische Distanz zum Stoff mitzuinszenieren, wie es beispielhaft in Straub/Huillets Film „Geschichtsunterricht“ geleistet worden sei.

Die Diskussion bemühte sich vor allem um Antworten auf die Frage, wie durch Filme resp. in Filmen der Notwendigkeit historischen Erinnerns aufzuhelfen wäre. Mehr war die Rede vom Nutzen und Nachteil der Medien für den Nutzen der Geschichte als vom Nachteil der Geschichte für das Leben, wenn auch unüberhörbar von dem Problem gesprochen wurde, das die Vergangenheit und die Beschäftigung mit ihr in der gegenwärtigen Öffentlichkeit darstellt. Werner Ruzickas Frage, ob die Vielzahl von (dokumentarischen) Arbeiten zum Faschismus eine Beruhigung verbreitet hätten etwa der Art, es sei nun gut mit diesem Thema, gab dieser Debatte die Richtschnur.

Für die „Historikerzunft“, wie Peukert es formulierte, stelle diese Frage sich so nicht, forsche sie doch allenthalben viel und über Vieles, wobei sie jedoch auch neue Fragen aufwerfe, die bisweilen eine Neudiskussion der Grundlagen von Gegenstand und Forschung nötig machten.

So sei anhand bestimmter Einzelergebnisse der Faschismusforschung ein Zusammenhang zur Entwicklung von Ausgrenzungsmethoden in der Industriegesellschaft feststellbar – eine keineswegs beruhigende Feststellung, die eine Perspektive vom Faschismus aus auf die Geschichte der Moderne eröffne, wie sie in Walter Benjamins „Thesen zum Begriff der Geschichte“ (1940) sich niederschlage: Zum Begriff des Fortschritts heißt es bei Benjamin, er sei im Begriff der Katastrophe zu verankern – daß es weitergeht, sei eben diese Katastrophe.

So betrachtet sei zumindest auch von Sättigung der Zunft die Rede nicht – allerdings habe in der Öffentlichkeit die mediale Konjunkturwalze des 7wöchigen Machtergreifungsrummels 1983, ebenso die des 85er April/Mai einiges an Interesse für die historisch/aktuelle Problematik verzehrt. Einen ebensolchen Untergang im Bildersturm der Medienaktualität prophezeite Peukert im übrigen auch der gegenwärtigen öffentlichen, rechtslastigen Kontroverse über die Entsorgung von (deutscher) Geschichte (vom Faschismus) selbst.

Aus der Sicht der Filmemacher beklagte Gabi Hübner-Voss, das Thema Faschismus sei in den Medien auf denkbar uninteressante Weise ‚durchgekaut‘ worden. Sie beklagte weiterhin, daß – wo eigentlich 10 Filme nötig wären – ein Einzelwerk den Platz besetze. Forderungen hätten in Richtung Programmplanung zu gehen. Im übrigen halte sie von der „antiquarisch“ genannten Arbeitsweise doch mehr als Peukert ihr zutraue – zumindest sei sie, bevor Entscheidungen getroffen würden, doch weiterzuentwickeln.

Angela Haardt ergänzte die Kommentare zu medialer (und parteipolitischer – wie Schoettler ergänzte) „Geilheit“ (Schoettler) auf geschlossene Geschichtsbilder und bebilderte Programme mit der Feststellung, es gebe ein sichtbares Bedürfnis, Themen in ganz bestimmter Weise nicht zu verarbeiten. Gleichzeitig benannte sie aber auch die Aporie, in der auch diese Diskussion verbleibe: Die Erkenntnisse über mediale und öffentlich vermittelte sozialpsychologische Mechanismen seien hinlänglich in diesem Kreis bekannt, dennoch „kommen wir damit nicht durch die Mauer“.

Es sei dies jedoch, wie Ruzicka einschränkend bemerkte, ein Problem der Selbstbenennung namentlich einschlägiger Dokumentarfilme: Wer beständig als „kollektives Gedächtnis“ sich verkaufe, verfahre eben metaphorisch, differenziere lediglich das Abstraktum, ohne Erfahrung zu bilden; Faschismus sei nicht etwas Ab- zu- arbeitendes, sondern müsse, um Erfahrung zu bilden, in erkennbare Wirklichkeit gezogen werden.

Die Frage nach der öffentlichen Wirkung thematisch dem Faschismus sich stellender Filme verfolgten weitere Beiträge, die auch die Unterschiedlichkeit historisch-wissenschaftlicher und filmisch-künstlerischer Arbeitsweise betont wissen wollten. Letztenendes bedeute aber, wie Dietrich Leder vehement vertrat, eine solche Differenzierung keinen Generaldispens von der Verpflichtung auf Kritik. Die Feststellung unterschiedlicher Verfahren dürfe namentlich der Kunst nicht zur Entschuldigung bloßer Schlamperei geraten.

Gabi Hübner-Voss bezog die Differenzierung zwischen historisch-kritischer und künstlerischer Verfahrensweise eher auf die Dialektik von Kältestrom und Wärmestrom, wobei der Wärmestrom ihr geeignet schien, die Dokumentarfilme einem Publikum zur Wahrnehmung zu empfehlen.

Nur vordergründig vom Thema „Geschichte/Faschismus“ abgehoben formulierte eine Diskussionsteilnehmerin gegen Ende der Debatte das Problem als Ausgangspunkt für eine aktuelle – dem nuklearen Zeitalter gemäße – Realismusdebatte: Der Blick aus ihrem Fenster, sagte sie, habe sich nach Tschernobyl doch nicht verändert, obwohl die Realität zur Gänze verändert sei; wie müsse ein Film, der dem Rechnung trüge, verfahren.