Film

Steck lieber mal was ein – Ein Schüler wird Lehrling
von Dietrich Schubert, Katharina Schubert
DE 1980 | 88 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 4
21.09.1980

Diskussion
Podium: Dietrich Schubert, Katharina Schubert
Moderation: Jutta Uhl
Protokoll: Uli Opitz

Protokoll

Schwerpunkte der Diskussion
1. Arbeitsweise und Produktionsbedingungen der Filmemacher
2. „Methodenstreit”

Zu Beginn der Diskussion wies Jutta Uhl darauf hin, daß dies der einzige Film zur Arbeitswelt ist und zwar nicht nur von den ausgewählten, sondern auch von den eingesandten.
Zu 1:
Der Film, eine Langzeitbeobachtung, wurde von der ZDF-Abt. Dokumentarspiel finanziert, allerdings mit verschiedenen Schwierigkeiten. Dietrich Schubert wies darauf hin, daß diese Abteilung mit der gegenwärtigen Wirklichkeit nicht viel im Sinn hat. „Es war keine leichte Arbeit, sie von dem Projekt zu überzeugen”. Die Vorrecherche wurde nicht finanziert. Die Filmemacher hatten mehrere Monate gesucht, bis sie den „Hauptdarsteller” Gerd Zander gefunden hatten. Die verantwortliche Redakteurin War aber mit Gerd Zander nicht einverstanden, woraufhin die Filmemacher noch einmal3 Monate suchten. Dann sagten sie, entweder wir machen das Projekt mit Gerd oder gar nicht. Schließlich ließ sich die Redaktion überzeugen, stellte allerdings die Bedingung, daß der Lehrling aus einem Großbetrieb kommen müsse. Schließlich gab es grünes Licht für die Finanzen (der Film hat insgesamt 220 000 DM gekostet), allerdings in einzelnen Raten, die jeweils nach Rohschnittfassungen der einzelnen Drehphasen bewilligt wurden.
Ein Drehbuch mußte aus Kalkulationsgründen der Anstalt angefertigt werden, für die konkrete Arbeit, die vor allem durch die Langzeitbeobachtung bestimmt wurde, konnte es jedoch nur als Gerüst dienen.
Das Thema, unter dem die Filmemacher arbeiteten, war, die Entwicklung. einer Person in einer Umbruchsituation zu verfolgen.
Die Schwierigkeiten, die bei Langzeitbeobachtungen durch die längeren Drehpausen entstehen (Fremdheit zWischen Beobachtern und Beobachteten) konnten nach Aussage der Filmemacher vor allem deshalb vermieden werden, da es ihnen gelungen war, ein gutes, auch persönliches Verhältnis zwischen den Filmemachern und der Familie herzustellen. Gleichzeitig betonte Dietrich S chubert, daß das phasenmäßige Arbeiten für die Filmemacher auch positive Seiten hat. Das Drehverhältnis war relativ günstig, ursprünglich waren 1 : 20 gefordert worden, bewilligt wurden 1: 15. Darauf haben sichdie Filmemacher unter der Bedingung eingelassen, für weitere Produktionen ihr altes Team weiterverwenden zu können. Durch das günstige Drehverhältnis und das phasenmäßige Arbeiten entsteht die Möglichkeit, bereits abgedrehtes Material unter neuen Bedingungen neu zu sehen und in der Montage zu verwenden.
Das ausgesprochen gute Verhältnis zwischen den Filmemachern und Gerd und seiner Familie ermöglichte es nach Auskunft von Dietrich Schubert, mehrere Szenen des Films zu initiieren, so z. B. die Diskussionsszene über den I. Mai oder die von fast allen Diskussionsteilnehmern als sehr gut bezeiclmete Szene zwischen Vater und Sohn über die Lautstärke des Plattenspielers. Durch die kontinuierliche Beobachtung und den guten Kontakt konnten die Filmemacher bei Besuchen ohne Team Familienszenen wahrnehmen, die dann nachgedreht wurden. Allerdings, so Dietrich Schubert, nicht inszeniert, sondern nur durch Vorgabe von Stichworten initiiert. Diese Methode der Initüerung trug dann wesentlich zur Authentizität der nachgedrehten Szenen bei.
Die Beobachtung und Darstellung der Persönlichkeitsentwicklung von Gerd wurde ebenfalls von den meisten Diskussionsteilnehmern als sehr gelungen bezeichnet. Angela Haardt betonte, daß trotz des langen Drehzeitraums von fast drei Jahren der Film eine Dichte in seiner Geschichte und eine Kontinuität habe, die schon fast wie ein Spielfilm wirke. Sie schloß die Frage an, ob das denn nicht Schwierigkeiten für das Team entstehen ließ, da sich die Filmer in drei Jahren ja schließlich auch entwickelten.
Katharina Schubert verwies noch einmal darauf, daß es sich als sehr wertvoll herausgestellt habe, daß sie den Kontakt zu der Familie während der Drehpausen nicht abgebrochen haben, sie besucht haben, Gerd kam auch öfters zu ihnen, wenn sie an anderen Filmen arbeiteten. Wichtig war für sie, daß sie ihre Beziehung zu der Familie und zuGerd nicht nur über den Film laufen ließen. Auf die Frage nach der Entwicklung des Teams meinte Dietrich Schubert, daß es sicher eine Entwicklung des Teams gegeben habe, die auch im Film zu bemerken ist, allerdings nicht negativ ins Gewicht fällt, da die Stärke der Geschichte das zusammenhält. So wurde während der Dreharbeiten der Kameramann gewechselt. Man sieht es daran, daß am Anfang viel mit Zoom gearbeitet wird, am Schluß fast nur noch mit Festoptik. Das macht den Film ruhiger. Das gute Verhältnis innerhalb des Teams wirkte sich auch auf die Drehsituation mit der Familie aus. Gerd äußerte einmal, er hätte das Gefühl, daß Freunde da seien. So könne er sich vorstellen, daß Arbeit auch Spaß machen kann.
Eine Kritik wurde an der Darstellung der Entwicklung von Gerd, seiner Auseinandersetzung mit der Realität der Lehre geäußert. Es fehlen, so ein Diskussionsteilnehmer, Darstellung von Differenzen mit Arbeitskollegen, Reibereien mit dem Meister, Darstellung von Disziplinierung. Außerdem würde nicht gezeigt, wie Gerd die Erfahrung der Arbeitswelt reflektiert, es würde nur drüber geredet. Die Kritik wurde von den Filmemachern und den anderen Diskussionsteilnehmern nicht geteilt. Einmal sei der Meister in der Realität tatsächlich sehr gut in der Lage mit den Jungen umzugehen, ohne Disziplinierung, die Lehrsituation sei auch nicht vergleichbar mit der späteren Arbeit in der Produktion. Die gesamte Lehrzeit von Gerd sei auch relativ reibungslos verlaufen, Zum anderen stimme es nicht, daß Gerd nicht reflektiere, was mit ihm passiert. Zentral dafür waren für die Filmemacher die Stellen, woGerd äußert, das soll ich jetzt dreißig Jahre machen”. Dies zeige, daß er sofort kapiert habe, was mit ihm passiert.
Zu der „typisch deutschen Situation”, (Jutta Uhl) der Unterdrückung in der Familie, bemerkten die meisten Diskussionsteilnehmer, daß sie es sehr gut fanden, wie differenziert Mutter und Vater im Film dargestellt Werden. Es werde deutlich, daß die Unterdrückung in der Familie aus der eigenen Existenzangst der Eltern und dem Wunsch, daß ihr Sohn es einmal besser haben solle, resultiert. Es findet im Film keinerlei Schwarz-Weiß-Malerei statt.
Der Film zeigt bewußt keinen Ausweg aus Gerds Lage. Den Filmemachern ging es darum, die real existierenden Widersprüche so zu zeigen, wie sie sind. „Für uns wurde”, so Dietrich Schubert, „bei der gesamten Arbeit an dem Film sehr deutlich, wie viel Gedanken, aber auch Hilflosigkeit, auch Verzweiflung über seine ‚Perspektive’ bei Gerd vorhanden sind. Er weiß, daß es für ilm aus seiner Situation erstmal keinen Ausweg gibt. Wir hätten ihn z. B. in persönlichen Diskussionen überreden können, z. B. gewerkschaftlich aktiv zu werden, wir haben das nicht gemacht, weil wir ihn eben nur überredet, nicht überzeugt hätten.”

Zu 2:
Anknüpfend an die Darstellung der Arbeitsweise der Filmemacher, vor allem die Frage der Initüerung von Szenen, entstand eine sehr kontrovers geführte Diskussion über „die dokumentarische Methode”. Peter Krieg eröffnete, indem er seinem Erstaunen Ausdruck verlieh, daß in der Diskussion keine Kritik. an der initiierenden Methode entfaltet wird. Darauf Dietrich Schuber!: „Film ist Handwerk. Die Methoden sind übertragbar und verschieden einzusetzen. Methode kann nicht diskutiert werden, ohne die Frage des moralischen Standpunkts mitzudiskutieren. Es gibt keine Methode, die nicht zu mißbrauchen ist.” Unterstützt wurde Dietrich Schubert von anderen Diskussionsteilnehmern, die betonten, daß Methoden nicht unabhängig von Inhalten diskutiert werden können. Bei der Diskussion von Marathon in New York sei nicht die Methode angegriffen worden. sondern die Herangehensweise von Rehbein.
Peter Krieg plädierte für die gleichberechtigte Existenz von drei Methoden, der Beobachtung, der Inszenierung, der Collage. Die Dokumentarfilmbewegung in der BRD sei inzwischen so weit, hätte so viel Erfahrungen gesammelt, daß man die Methodenvielfalt akzeptieren und weiterentwickeln sollte.
Dem wurde von Klaus Wildenhahn vehement widersprochen. Der Begriff der beobachtenden Methode werde hier immer diffamierend gebraucht. Da gäbe es eine durchgehende Linie bis hin zu Produzenten und Fernsehanstalten, die die gleichberechtigte Existenz des DokumentarHirns erschwere. „Beobachtung, wie ich sie verstehe, ist unheimlich schwer, das ist harte Arbeit, genauestes Handwerk.” Es sei auch nicht so, daß der Dokumentarfilm in der BRD bereits diese Methode beherrsche und es nun darauf ankomme, weitere Methoden zu entwickeln. Im Gegenteil, die beobachtenden Szenen in Spetemberweizen, so Wildenhahn, seien für seine Begriffe sehr schlecht.
Dietrich Schubert meinte, es sei unnütz, eine reine Methodendiskussion zu führen, Man könne das weder vom gesellschaftlichen Engagement der Filmemacher, dem Thema, das bearbeitet wird,noch vom einzelnen konkreten Film mit seinen jeweiligen Ergebnissen trennen.
Angela Haardt: „Für mich heißt beobachten, so wie es Klaus Wildenhahn entwickelt hat, erfassen des Wesens von Prozessen, die um uns herum ablaufen, heißt, sich einlassen auf die existierenden Widersprüche und diese genauestens zu registrieren.” In den Methodendiskussionen werde oft fälschlicherweise Beobachten und Eingreifen als Gegensatz betrachtet. Die Diskussion konnte aus Zeitgründen nicht zu Ende geführt werden.