Film

Die Leute von Lich-Steinstraß
von Aribert Weis, Regine Heuser
DE 1980 | 109 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 4
19.09.1980

Diskussion
Podium: Regine Heuser, Aribert Weis, E. Stein
Moderation: Wilhelm Roth
Protokoll: Paul Hofmann

Protokoll

Die Diskussion um die Dokumentation der Leute von Lich-Steinstraß verlief zur Thematik sehr kontrovers.
Das Dorf im Braunkohlegebiet zwischen Köln und Aachen soll dem Riesentagebau ‚Hambach I’ weichen, etwa 1988 wird es abgebaggert. Die Menschen dort sind verplant, sie werden umgesiedelt. Ein Betroffener im Film: „400 Menschen müssen alles aufgeben, damit bei 60 Mio. Menschen die Lichter nicht ausgehen”, eine verbitterte Anspielung auf den hohen Anteil der Braunkohle an der Elektrizitätsgewinnung in der BRD (der Braunkohlenkonzern Rheinbraun ist eine Tochter der RWE).

Die zahlreich, vereinzelt auch scharf geäußerte Kritik an dem Film läßt sich grob auf vier Punkte zusammenfassen, die zueinander in Beziehung zu sehen sind:

KRITIK:
1. am methodischen Vorgehen,
2. an der Dramaturgie des Films,
3. an fehlenden Informationen
und
4. an der formalen Ausführung.

1. Das bereits im Expose angelegte Vorgehen (so die Autoren), selbst nicht in den Film einzugreifen, keine Kommentare einzufügen und nur die Betroffenen zu Wort kommen zu lassen, wurde infragegestellt. Bereits ihre Anwesenheit sei ja ein Eingriff gewesen, strukturierende Einflußnahme hätte dem Film geholfen. Die darüber hinausgehende Frage nach der Parteilichkeit der Filmemacher im Film wurde nur indirekt gestellt.

2. Aus dem Bemühen um ein solches Vorgehen ergab sich nach Ansicht einiger Zuschauer das Dilemma der Dramaturgie. Der Film wurde als Aneinanderreihung von Interviews, von Monologen, erlebt. Die Leute würden sich nur einzeln bzw. innerhalb ihrer Familie äußern. Eine dörfliche Kommunikationsstruktur, eine Dorfgemeinschaft, falls es sie noch gibt, konnte nicht sichtbar werden.
Eine Zuschauerin sah in dieser Dramaturgie ein ‚Vorführen der Leute’, was eben nicht den Anspruch der Autoren einlöse den Menschen dort ohne film- und fernsehübliche Attitüde zu begegnen.
„Ihr habt Fragen gestellt und wolltet dabei (scheinbar) draußen bleiben.” Diese Wortmeldung bezog sich auf den eingangs erwähnten Ausspruch der Autoren, möglichst gar nicht einzugreifen. Regine Heusers Gegenfrage: „Was ist denn problematisch an unserer Einwirkung auf die Situation der der Interviews?”
Die Lichstein-Strasser selbst, so berichten die Autoren, hätten nach der Fernsehausstrahlung gemeint, es hätte ruhig schärfer formuliert werden können.
„Hättet Ihr nicht deutlicher nachfragen müssen, statt die Leute ins Leere laufen zu lassen”, fragte deshalb jemand.
Hinzu trat für etliche Zuschauer der ermüdende Effekt sich inhaltlich wiederholender Aussagen der befragten Dorfbewohner: „Ab einem bestimmten Punkt wurde es langweilig.”
Die damit angedeutete Wirkung der dramaturgischen Montage wiegt umso schwerer, geht es doch -und die Aussagen der Betroffenen vermittelten dies hautnah- um existentielle Probleme, die mit dem erzwungenden Verlust von ‚Haus und Hof’ angesichts unzureichender Entschädigungssummen verbunden sind.

3. Eine Zuschauerin: „Aufgabe dieses Films müßte es sein, über die Situation im Dorf und deren Hintergründe zu informieren. Dazu wären aber mehr Informationen nötig gewesen.”
,Sich entlarvende Politiker’ wurden ebenso vermißt wie eine Stellungnahme der Rheinbraun AG. Letztere, so Aribert Weis in einem längeren Hintergrundbericht, war geplant und gedreht, jedoch aufgrund eines technischen Defektes nicht verwendbar. Ein Nachdrehtermin platzte dann an unannehmbaren Forderungen des Konzerns. In Form eines Vertrages sollten ZDF und Filmemacher die Namen der Interviewpartner und die Gesprächsinhalte ebenso benennen wie eine Vorab-Begutachtung der Schnittkopie und die Beschränkung auf eine einmalige Ausstrahlung im Fernsehen zu sichern.
Durch einen früheren Film zum gleichen Thema ‚einschlägig’ eingeführt, fürchteten die Autoren daher juristische Schritte der Rheinbraun auch in all den Fällen, wo allseits bekannte Vorgänge ‚hinter den Kulissen’ dieses Milliardengeschäftes nicht hieb- und stichfest zu beweisen waren. Während Hinweise auf die Interessenverflechtungen zwischen Politik, Verwaltung und Privatwirtschaft ganz draußen blieben, fehlten ein SIEMENS-Firmenschild am Großbagger und das Lied der Kölner Strassenmusikanten (” … der Hof, der ist 200 Jahre alt, jetzt hat die Rheinbraun ihn sich gekrallt. . . „) ‚nur’ in der 5 Minuten kürzeren IV-Fassung.
Nicht nur die Begründung für den Schnitt des Liedes, ‚die fehlende unmittelbare Betroffenheit lasse Vorwürfe Ortsfremder als juristisch bedenklich erscheinen’, provozierte die Frage eines Diskussionsteilnehmers, wo denn da die Bereitschaft zum ‚Risiko des Dokumentaristen’ bleibe.
Die Nachlieferung all dieser Hintergrundinformationen mußte dann zu der Frage führen, warum die derart bezeichnenden Erfahrungen beim Prozeß der Filmherstellung im Film an keiner Stelle angesprochen werden. Aribert Weis’ Antwort: „Wir wollen doch hier über den Film reden und nicht über das, was nicht im Film ist.”
Eine zentrale Vokabel in diesem Film ist sicherlich „Heimat”. Betroffene im Film: „Unsere Heimat geht unwiederbringlich verloren.” „Die Heimat kann keiner bezahlen, auch die Rheinbraun nicht.”
Hier wurden gegensätzliche Filmeindrücke deutlich:
War für etliche die Bedeutung von ‚Heimat’ für die Lich-Steinstraßer im Film dargestellt, so vermißten andere genau diese Auseinandersetzung. Nach den (verbliebenen) Orten der dörflichen Kommunikation, ihrer Struktur und alltäglichen Funktionsweise wurde gefragt, nach den Folgen der Angst vor dem Kohlegiganten, dem Neid und der Geheimniskrämerei um die Höhe der Entschädigungen (Rhein braun fordert die bereits Entschädigten zum Stillschweigen auf!). Wo wurde etwas gezeigt oder nachvollziehbar vom Kampf der Bewohner gegen diese Bedrohung, fragte jemand.
Der Filmeindruck eines Zuschauers, die Leute von Lich-Steinstraß hätten sich wohl resigniert und initiativlos („Wie Schlachtvieh”) in ihr Schicksal ergeben, korrigierte jemand mit dem Hinweis auf Bürgerinitiativen in dieser Gegend.
Darauf die Vorhaltung, im Film sei aber nichts davon zu spüren, daß die Bewohner gekämpft hätten. Das wiesen die Autoren dann mehrfach durch Verweise auf eine Sequenz zurück, in der drei lokalpolitisch Aktive vom fünfjährigen Kampf um den gewünschten Umsiedlungsstandort berichten. Dennoch wurde die Frage wiederholt: „War oder ist das der ganze Kampf der Dorfbewohner (gewesen)? „
A. Weis: „Der Kampf im Dorf hat früher stattgefunden.” (als es um den Neusiedlungsstandort ging)
Auf Widerspruch stieß seine Bemerkung, diese früheren Auseinandersetzungen gehörten nicht zum Thema dieses Films. Aber auch die Darstellung des heutigen Ringens der Bewohner mit den Anwälten der Rheinbraun wurde vermißt. Es sei bei Einzelaussagen der Betroffenen geblieben.

4. Formal kritisiert wurde vor allem die Unruhe der Kamerabewegungen, der Bilder, was u.a. auf die zumeist verwendete ‚feste Brennweite’ zurückgeführt wurde. Problematisiert wurde dann noch Weis’ Technik, die Kamera zu führen, und dabei gleichzeitig noch Interviewfragen zu stellen. Das aber soll, so die Filmemacher, dennoch bei den bereits geplanten Anschlußfilmen (Dokumentation der Ereignisse im Dorf bis zu dessen Zerstörung um 1988) beibehalten werden.
Neben dieser breit ansetzenden Kritik gab es auch positive Stimmen. Die vom zuständigen Redakteur der ZDF-Reihe „Das kleine Fernsehspiel”, Eckart Stein, referierten sehr positiven Publikumsreaktionen auf die Fernsehausstrahlung des Films, den die ARD am 27. 9. wiederholten, fanden sich im Beitrag einer älteren Zuschauerin:
Die Leute wurden als vollwertig genommen; sie konnten ohne Zeitdruck und ohne belehrende Kommentare das sagen, was sie bewegte; der Film blieb bei den Leuten.”

Uneingeschränkt positive Einschätzungen blieben in dieser Diskussion jedoch in der Minderzahl. Gerade gemessen an den hohen selbstgesetzten Ansprüchen der Filmemacher erfuhr das Ergebnis zahlreichen Widerspruch. In der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit blieben die problematischen Punkte des Films angetippt, es fehlten die ausreichend präzisen Nachfragen, um Stellungnahmen der Beteiligten zu provozieren, die neue Erkenntnisse für alle im Saal hätten möglich machen können. So blieb es im wesentlichen bei der Abwehr der zu unpräzisen Kritik aus den Reihen der Zuschauer, überwiegend selbst Filmemacher(!), mit ebenso unpräzisen, weil pauschalen Verweisen auf Expose, eigene Zurückhaltung und juristische Rücksichtnahmen.
Der Frage, wie Menschen als Betroffenem Dokumentarfilmen vorgestellt werden und wie sie zu Wort kommen, wurde nicht nachgegangen. Denn daß sie selbst sprechen, sollte mittlerweile doch selbstverständlich sein.
Die Kontroverse wurde an der Oberfläche verhandelt, die Möglichkeit einer fruchtbaren Auseinandersetzung verschenkt.

Nachbemerkung: Der gegenüber dem während der Filmwoche verteilten Wortlaut vom Autor an einigen Stellen präzisierte Text stellt in eher journalistischer Form eine engagierte Interpretation des Films und des ihm folgenden Gesprächs dar. Er ist daher kein neutrales Wortprotokoll im strengen Sinn.
Gegen den ihrer Meinung nach zu kritischen Tenor des Artikels gab es Protest und Einwendungen vonseiten der Filmemacher Regine Heuser und Aribert Weis und einiger Diskussionsteilnehmer.