Film

Der Kumpf – Ein Jahr mit den Bergbauern am Waldberg
von Joseph Schwellensattl
DE 1980 | 90 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 4
20.09.1980

Diskussion
Podium: Joseph Schwellensattel
Moderation: Wilhelm Roth
Protokoll: Uli Opitz

Protokoll

Schwerpunkte der Diskussion:
1. Thema des Films: Vorindustrielle bäuerliche Arbeits- und Lebensbedingungen in den Südtiroler Alpen
2. Ästhetik des Films
3. Produktionsbedingungen

zu 1:
Der Filmemacher erklärte, was der Titel „Der Kumpf” bedeutet. Der Kumpf ist der Köcher für den Wetzstein, den die Bauern tragen, wenn sie mit der Sense losgehen. Für den Filmemacher war der eine Metapher für Sackgasse, eine Öffnung, aber keinen Ausgang”.
Schwellensattl will den Titel aber als Gegenpol verstanden wissen, der Film ist für ihn eine umgekehrte Sackgasse. Das Pasolini-Zitat am Schluß des Films unterstützt nach Meinung Schwellensattls diese Aussage des Films. „Ich hatte das Zitat schon vorher im Kopf, ich wollte es eigentlich nicht verwenden, aber dann wollte ich den Film nicht gegen eine Mauer enden lassen,jetzt im Nachhinein gefällt es mir gut.”
Von verschiedenen Diskussionsteilnehmern wurde der Film als ethnografische Studie bezeichnet. Es werden extrem harte Lebensbedingungen gezeigt, aber gleichzeitig auch die noch vorhandene Stabilität der Lebenszusammenhänge, Das Leben auf den Bergbauernhöfen ist hart, aber die Leute bleiben. Im Gegensatz dazu wurde auf einen Film über das Tessin verwiesen, der die Abwanderung der Menschen dort zeigt. Schwellensattl, der selbst aus dieser Gegend stammt, auch noch Verwandte hat, die so leben, verwies darauf, daß es natürlich auch in Südtirol Tendenzen zur Abwanderung gäbe. „Die gezeigten Beispiele zeigen eine Sondersituation. Mir ging es darum, davon ein Dokument zu erhalten. Die Familien, die im Film gezeigt werden, sind noch intakt, aber es wird auch im Film darauf hingewiesen, daß Höfe verlassen werden, daß die Erben keine Frauen finden, die auf den Höfen bleiben wollten, daß die Schule mit den vier Kindern z. B. nächstes Jahr geschlossen wird.”
In der Szene, wo der Bauer mit dem Sack voll Saatgut auf den Acker geht, erzählt er, daß er Hafer, Gerste, Weizen anbaut. Gleichzeitig sagt er, „die Leute sagen, es würde sich nicht rentieren”, trotzdem macht er es. Die meisten seiner Nachbarn haben inzwischen auf Viehwirtschaft umgestellt. Die Bauern auf diesen Höfen sind relativ autark. Die Hauptschwierigkeit besteht in der Beschaffung von Bargeld. Für die Kinder, die in die Mittelschule gehen, muß z. B. Schulgeld bezahlt werden. Bargeld bekommen die Bauern hauptsächlich durch den Verkauf von Vieh. Die Söhne arbeiten außerdem auf Baustellen im Tal. Angela Haardt verwies darauf, daß der Film bei ihr Städterträume vom einfachen Landleben relativiert habe, da er nüchtern die harten Lebensbedingungen zeigt, von denen sich die meisten Städter keine Vorstellung machen können. Gleichzeitig hätte sie Schwierigkeiten gehabt, da die Bilder sehr ästhetisch seien,ausgesuchte Perspektiven, das deutet doch etwas auf „Träume vom Landleben”.
Für Schwellensatt I war das kein Widerspruch, da durch das detaillierte Aufzeigen von Arbeitsvorgängen die Schönheit der Bilder in einen realistischen Rahmen gestellt werden.
Es tauchte dann noch die Frage nach der Rentabilität solcher landwirtschaftlicher Betriebe auf. Ein Diskussionsteilnehmer meinte, „die müssen ungeheuer hart arbeiten, wer möchte denn das. Mir scheint diese Existenzform vom Aussterben bedroht zu sein, es sei denn, es wird subventioniert, ein Museum draus gemacht.” Schwellensattl: „Ich hab darauf keine Antwort. Rentabilität funktioniert gegenwärtig nur über den Tourismus. Der Tourismus bringt zwar Geld, zerstört aber die ursprüngliche Lebensform. Ich weiß nicht, was man diesen Leuten raten soll. Die wehren sich auch dagegen, wegzugehen, dk bleiben,bis sie aussterben.”
Auf die Frage, inwieweit die Realität, daß die Leute in Italien leben, sich für sie bemerkbar macht, wie ihr Verhältnis zum Staat ist, erläuterte der Filmemacher: „Daß sie in Italien leben, merken sie am Geld, an den Ämtern, aber das ist nichts Spezifisches, es wäre dasselbe, wenn sie zu Österreich gehören würden. Meran ist für diese Menschen schon fast Ausland, wenn sie einen Tag in der Stadt sind, sind sie ganz zerstört. Ressentiments haben sie keine, sie sind sehr gutmütig, aber natürlich auch ausnutzbar, weil sie nach hinten leben.”

zu 2:
Die Diskussion über die Ästhetik des Films entzündete sich an dem Einsatz der Musik. der Alpensymphonie zu Beginn des Films, der Mozartsequenz während des Gangs auf die Alm, den italienischen Schlagern unten im Dorf. Ein Diskussionsteilnehmer fühlte sich dabei etwas unangenehm an den Kulturfilm der 50er Jahre erinnert. Daran schloß sich die Frage an den Filmemacher an, warum er keine Volksmusik eingesetzt hätte, warum keine „authentische Musik”? Schwellensattl: „Ich hatte ursprünglich Zithermusik, aber in der Montage mit dem Material wurde daraus Kunsthandwerk, deswegen hab ich keine ’authentische’ Musik genommen. Bei der Alpensymphonie hat mir der Kontrapunkt von Bild und Musik gefallen. Früher war ich puristischer, da hab ich überhaupt keine Musik zu dokumentarischem Material verwendet. Die Almszene mit der Mozartsequenz war für mich eine etwas kritische Geschichte, aber durch den eingesprochenen Kommentar erlangt sie Realität, im übrigen finde ich den Gang auf die Alm sehr süß.”
Zur Bildsprache kritisierte Thomas Giefer: Viele Bilder kommen mir wie einfache Symbole vor. Als Städter hätte ich gerne mehr Einblick in Arbeitsvorgänge gehabt, mehr Genauigkeit in der Beobachtung. Ich glaube, daß du den Abläufen von Arbeit nicht ganz zugetraut hast, daß sie sich als Bilder selbst tragen. Bei dem Gegenschnitt: Schlachten und Messe hatte ich den Verdacht, daß du nicht auf die Kraft der bloßen Darstellung des Ablaufs vertraut hast.“ Schwellensattl: Mein Anliegen war schon, die Arbeitsvorgänge in ihrem Zusammenhang zu zeigen, beim Backen, beim Pflügen, beim Schlachten. Bei der Darstellung der Arbeit kann ich die Kritik nicht teilen. Beim Gang auf die Alm muß man dazusagen, daß das keine Geschichte war, da war nicht mehr da, als der Film zeigt. Zu dem Gegenschnitt Schlachten und Messe ist zu sagen, daß beides am gleichen Tag stattfand. Es gab also einen zeitlichen Zusammenhang. Außerdem wollte ich darauf verweisen, daß in dieser Gegend das Schlachten noch ein Element von Opfer enthält. Das Blut wird nicht aufgefangen, sondern fließt einfach in den Schnee, wo man es noch Wochen später sehen kann.”
Zur ausgesuchten Ästhetik der Bilder wurde bemerkt, daß es einmal natürlich Aufgabe des Kameramannes ist, einen optimalen Ausschnitt zu wählen, aber die Schönheit der Bilder hat natürlich auch damit zu tun, daß es da eben so aussieht, wie man es im Film sieht.

zu 3:
Der Film ist eine Abschlußarbeit an der HFF in München. Schwellensattl: „Ich hatte vollkommene Freiheit bei der Produktion. Das einzig Frustrierende war der Mangel an Material, ich mußte mit einem Verhältnis von 1 : 3 drehen. Das bedeutete, daß das Material von Anfang an kalkuliert werden mußte. Der Film bedurfte einer genauen Planung, wir mußten ihn faktisch beim Drehen schneiden.” Eine Diskussionsteilnehmerin, die auch an der HFF war, meinte, daß der Mangel an Material nicht so schlimm sei, schlimmer fände sie, daß die Hochschule, die ja Ausbildungsstätte sein soll, keinerlei Anleitung gibt. Wenn der Film fertig ist, wird auch so gut wie nie darüber diskutiert. Der Diskussionsleiter stellte die Frage, wie das denn im Fernsehen sei, ob da der Redakteur ein produktiver Gesprächspartner sei. Darauf wurden Erfahrungen mit dem Bayerischen Rundfunk geschildert, wo die Diskussion mit dem Redakteur nach dem Rohschnitt in Richtung Zensur gegangen sei Kar! Saurer berichtete von der DFFB in Berlin, daß es da ein bißchen anders laufe. Da gibt es jeden Donnerstag einen Diskussionstag, wo Rohschnitte vorgeführt werden können. Erstaunlicherweise gebe es aber wenig Interesse von der Studentenseite her. Eine Schwierigkeit für die Dozenten sei auch, daß man für qualifizierte Betreuung sich auch intensiv mit dem Thema beschäftigen müsse, mit vor Ort fahren müsse etc.
Schwellensattl meinte, daß es für ihn vor allem schwierig gewesen sei, Mitarbeiter, z. B. Cutter, zu finden, zu denen man Vertrauen haben kann. Das erschwere die Arbeit.
Das Verhältnis Filmemacher -Bauern war sehr gut, berichtete Schwellensattl. Gedreht wurde über den Zeitraum eines Jahres, die reine Drehzeit betrug knapp vier Monate. Die Bergbauern besitzen keinen Fernsehapparat, die Dreharbeit war für sie deshalb sehr neu und interessant. Anfangs konnten sie sich nicht viel vorstellen, wie das alles funktioniert, wir haben ihnen dann die Geräte gezeigt und erklärt, durch die Kamera schauen lassen etc., und dann haben sie es auch verstanden. Sie waren insgesamt sehr unverkrampft. Zu dem guten Verhältnis hat sicher auch beigetragen, daß sie gesehen haben, daß wir auch schwer arbeiten mußten, Ausrüstung schleppen, im unwegsamen Gelände Ausschnitte bestimmen etc. Vorgeführt habe ich den Film dort noch nicht, die Nullkopie existiert erst seit zwei Wochen, ich will das aber noch tun. Da wollen wir dann an einer Seilbahn eine Leinwand hochziehen, um den Film zu zeigen.”