Eva Königshofen

Einführung: Der Versuch zu leben und Durchgangsland

Vom 3. bis zum 5. April 2025 waren wir mit ausgewählten Filmen zum zweiten Mal zu Gast im Österreichischen Filmmuseum in Wien. Für unser dortiges Programm wurden Filme der vergangenen Festivalausgabe mit betagteren Beiträgen aus der Duisburger Programmgeschichte in Beziehung gesetzt.
Hier lesen Sie die Einführung zum Screening der Filme von Johann Feindt und Daniel Fill.

Johann Feindts Film DER VERSUCH ZU LEBEN lief 1983 im Programm der 7. Duisburger Filmwoche. Das Protokoll zum anschließenden Gespräch beginnt etwas merkwürdig: Es wurde von Diskussionsleiter Michael Kwella eröffnet, indem er sich für den „notorischen Tonbrumm“ während des Films entschuldigte, der bereits die Projektionen der Filmwoche des Vorjahres begleitete: „Eine Zumutung für Filme und Zuschauer!“

Dieser „Fail“ passt allerdings gar nicht so schlecht zum Thema des Films: Johann Feindt interessierte sich vor allem für das Erleben des Misserfolges der Arbeit seitens des Krankenhauspersonals. Meinen tut er damit den „notorischen Tonbrumm“, besser gesagt den Dauerstress, in der Rettungsstelle des Urbankrankenhauses in Berlin-Kreuzberg, in der die Patient:innen immer nur auf Durchreise sind: Entweder sie kommen „richtig“ auf Station ins Krankenhaus oder kehren zurück in ihren teils schwierigen Alltag.

Bevor Johann Feindt zum Film kam, hat er Medizin studiert und selbst eine Zeit lang in der Rettungsstelle im Urbankrankenhaus gearbeitet, in die er für DER VERSUCH ZU LEBEN – seinen Abschlussfilm an der DFFB – zurückkam. Drei Wochen lang drehten sie dort. Viele der Patient:innen, die wir zu sehen bekommen, leiden unter altersbedingter Einsamkeit, sind alkoholkrank, drogenabhängig und/oder suizidal. Das entspricht einerseits dem Alltag einer Notaufnahme im Westberlin Anfang der 80er Jahre – und vermutlich auch heute noch – ist aber auch eine Setzung des Filmemachers.

Filmisch arbeitet Feindt mit Mitteln des Direct Cinema: Zu dritt nur mit Kamera und Ton und ohne zusätzliche Lichtquellen unterwegs, wird die Aufnahmesituation spontan vom Umfeld kommentiert, gibt es Kamerafahrten aus Perspektive der Krankenliege, werden dem Filmteam Türen vor der Nase zugeschlagen. Dem gegenüber stehen Sequenzen aus nachgedrehtem Material, in denen Feindt und sein Team einige der Patient:innen zu Protagonist:innen werden lassen, indem sie sie im Nachhinein zu Hause besuchen, um mehr über deren Lebensumstände zu erfahren. Der Film verlässt also hier und da die Rettungsstelle – diesen flüchtigen Ort des Kommens und Gehens – und erzählt darüber hinaus von Gesellschaft und vor allem von den Widrigkeiten, die das Leben zu einem Versuch werden lassen.

Das bringt mich zum zweiten Film des Abends, der das Kommen und Gehen schon im Titel trägt: DURCHGANGSLAND von Daniel Fill. Gelegen ist dieses Land in Südtirol, an der Grenze zwischen Österreich und Italien, wo seit Jahren der BBT, der Brennerbasistunnel, gebaut wird, ein Bauprojekt unüberblickbaren Umfangs.

Diesem Transitgebiet, zwischen Berg und Berg gelegen, wo die Sonne kaum scheint und das Rauschen der Autobahn sich mit dem des Flusses vermischt, nähert sich der Film in Kurzmomenten. Landschaftsaufnahmen und Einstellungen, die einen Eindruck dieser Nicht-Ortschaft vermitteln, lösen sich mit Begegnungen mit dessen Bewohner:innen ab. Viele von ihnen pendeln, viele leben hier nur auf Zeit, fast niemand ist hier geboren, aber manche sind geblieben. Arbeitsmigration spielt eine große Rolle in Fortezza, das zugleich Franzensfeste ist. Aber gerade die Eigentümlichkeit des Ortes ist es auch, die es manchen überhaupt erst ermöglicht, zu bleiben. Zum Beispiel, weil sie hier Arbeit gefunden haben – wenn diese auch mitunter extrem prekär ist – oder weil die Migrationsgeschichte des Ortes eine Zuflucht vor Alltagsrassismus verheißt.

Wie Johann Feindt war auch Daniel Fill mit einem kleinen Team unterwegs, arbeitete ohne sperrigen Produktionsaufwand. Auch hier wird auf einen Kommentar verzichtet, wird dem Ort und seinen Menschen direkt begegnet, spontan und einmalig. Auch hier wechseln sich diese Szenen mit solchen ab, in denen einige Personen zu Hause besucht werden, wo sie von den Verknüpfungen ihrer persönlichen Biographie mit der des Ortes sprechen.

Anders gesagt: So wie die Berliner Rettungsstation ein Durchgangsland ist, ist auch Fortezza/Franzensfeste ein Ort, an dem trotz aller Hindernisse zu leben versucht wird.