Synopse
Oben eine Festung für den Kaiser, darunter ein gigantisches Eisenbahntunnelprojekt für Europa. In Fortezza/Franzensfeste, einem Dorf zwischen Italien und Österreich, kreuzen sich Tradition und Transit. Dieser Ort im Tal, an dem sich nur selten die Sonne zeigt, ist für viele Menschen eine Verheißung – um Arbeit zu finden oder um alte Wunden zu heilen. Wo sich das Rauschen des Windes mit dem stetigen Geräusch der Brennerautobahn mischt, erzählen sie vom Ankommen. Geparkt, um zu bleiben.
Protokoll
Es ist das letzte Filmgespräch der diesjährigen Duisburger Filmwoche und den Anwesenden scheint eine dementsprechende Müdigkeit eingeschrieben. Obgleich im Diskussionssaal vier Teammitglieder präsent sind, sitzt mit Daniel Fill (Regie und Produktion) und Gerd Sulzenbacher (Konzept und Ton) nur die männliche Fraktion mit Moderator Mischa Hedinger auf dem Podium. Samira Fux (Kamera) und Maria Lisa Pichler (Montage) haben in der ersten Reihe Platz genommen. Insbesondere bei einem Film, über dessen Schnitt im Verlauf der Diskussion viel gesprochen werden wird, eine nicht ganz nachvollziehbare Entscheidung.
Laut Katalogtext kennt Daniel Fill den Ort Fortezza vom häufigen Durchreisen. Darauf rekurrierend fragt Mischa Hedinger zum Auftakt, was dazu geführt hat, mit dem Film dort verweilen zu wollen? Fill erläutert, dass Sulzenbacher und er in der Gegend aufgewachsen sind und immer an Franzensfeste vorbeimussten oder dort gestrandet sind, wenn sie von ihrem Wohnort wegwollten. Nach einiger Zeit in Wien kam das Bedürfnis auf, wieder zum Drehen dorthin zurückzukehren wo sie herkommen und die Spannungen der Gegend zu beobachten.
Hedinger beschreibt unterschiedliche formale Methoden, die genutzt werden, um den Ort zu fassen. Unter anderem eine Methode, die zurzeit „gar nicht mehr so viel sichtbar“ ist: kurze, spontane Gespräche vor der Kamera, sozusagen „Live-Momente“. Hat sich das so ergeben oder ist es eine Strategie? Beides, erklärt Fill. Sie haben gewartet und Bilder gedreht, meist sind die Protagonist:innen dann auf sie zugegangen. Während des Drehs wurde immer konkreter, dass die „Live-Momente“ nicht nur ein Nebenprodukt, sondern ein strukturierendes Element sind.
Die Annäherung in Kurzbegegnungen resultiert im Film jedoch in einigen längeren, eigenwilligen Begegnungen, beispielsweise mit einem Ehepaar und einem Restaurantbesitzer. Dabei werden die Menschen in keine Funktion gedrängt und ihre Geschichten lassen sich nur teilweise miteinander verbinden. Hedinger möchte wissen, wie es zu diesen beiden Formen von Annäherung kam. Laut dem Regisseur liegt die Antwort darauf in der Drehstruktur. Sie haben im Sommer und im Winter gedreht und dadurch Protagonist:innen wiedergetroffen.
Der Moderator erkennt besonders bei Jean Pierre, dem Protagonisten aus dem Kamerun, ein großes Bedürfnis zu sprechen. Die Aufnahmen mit ihm wirken für ihn nicht so, als hätte Fill das Gespräch geleitet. Der Regisseur stimmt zu und Hedinger ergänzt, dass im Sprechen des Protagonisten „die ganze Welt“ enthalten sei, was er anschaulich und berührend findet.
Auf eine Frage nach dem Gleichgewicht der verschiedenen Elemente und Modi meldet sich die Editorin aus dem Publikum zu Wort und bemerkt, dass sie versucht habe, das Spannende an dem Ort auszubreiten. Ein:e Zuschauer:in möchte wissen, warum die Protagonist:innen nur „im On“ sprechen. Der Regisseur erklärt, dass er vor ein paar Jahren einen Film mit Off-Gesprächen gemacht hat und das im Nachhinein „unfair“ fand, weil dadurch die Schnitte nicht sichtbar waren. Hedinger hakt ein und kommentiert, die Schwarzblenden seien sehr präsent und lenken die Aufmerksamkeit auf die Technik dahinter. Er fragt, ob es auch mal den Gedanken gab, dass das kontraproduktiv sein könnte. Sie wollten die Schnitte nicht verstecken und die Schwarzblenden seien „ehrlicher“ als Schnittbilder im Fernsehen, entgegnet Sulzenbacher.
Der Ort und die Menschen werden in „Durchgangsland“ nicht zusammengebracht und ein Zusammensein der Menschen ist ebenso nicht sichtbar, konstatiert der Moderator. Diese Vereinzelung wirkt für ihn gebaut. Fill beginnt mit „sicher auch“ beharrt auf eine Art jedoch, dass viele dort nur durch- oder wegfahren. Es gäbe beispielsweise auch keine Musikkapelle und keinen Christkindlmarkt. Für Sulzenbacher ist dadurch die Frage „Was sind Orte der Gemeinschaft?“ inhärent. Etwas später hakt eine Person aus dem Publikum nach und rekurriert indirekt auf Hedingers Frage nach der Konstruiertheit der Vereinzelung: Anhand der Schilderungen der beiden von Fortezza als Ort, an dem niemand verweilt, könne sie sich nicht vorstellen, dass es das Restaurant im Film so lange geben konnte. Fast wirkt es einlenkend, wenn der Regisseur erzählt, dass in dem Restaurant abends schon Menschen gewesen wären, vor allem Arbeiter:innen.
Eine weitere Publikumsstimme kommentiert die Kameraarbeit: Durch die Bilder lernen wir den Ort explizit nicht kennen, gleichzeitig kommen wir den Menschen in Close-Ups nah. Was war die Intention hinter der Kameraführung? Nachdem zunächst der Regisseur anfängt zu sprechen, verweist der Moderator die Frage an die Kamerafrau. Für Samira Fux ist Franzensfeste sehr eng und in dem Sinne kein klassischer Ort, da es kein Zentrum hat. Es ziehe sich außerdem in die Länge und dadurch sei es „gar nicht so leicht, den Ort zu zeigen“.
Es wird kurz still, die Diskussion scheint sich leergelaufen zu haben. Doch Hedinger hat noch etwas zu sagen und erklärt, dass für ihn der Zusammenhang der einzelnen Menschen mit dem Ort „ein Fragezeichen“ sei. Auch weil er es dem Titel entgegengesetzt so empfindet, dass Franzensfeste für die Protagonist:innen ein Ort des Zur-Ruhe-Kommens ist. Ihm bleibt nach dem Film nicht der Ort, sondern die Menschen und ihre Situationen.
Unvermittelt meldet sich eine aufgebrachte Person aus dem Publikum zu Wort und es entsteht ein hitziger Schlagabtausch, der in seiner Heftigkeit meinem Empfinden nach bei der 48. Filmwoche singulär ist. Die Auseinandersetzung klang ungefähr so:
Publikum: I kinda suffered in your film because it fails to establish any characters, it fails to establish anything and now you try to put value in your film by this talk. Honest editing is not a hundred jumpcuts and blackscreens! Is the editing made by AI? Because it seems so. Is it an undone work? Is it a pitch?
Daniel Fill: You can try to edit it, I can give you the file!
Publikum: Even that wouldn’t help. It stays super superficial and honestly it also felt exploiting to some characters.
Mischa Hedinger: But we just spent half an hour talking about specific qualities that this film has. Hast du das mitbekommen? Did you understand that?
Publikum: It’s not a film, it fails even to be a reportage!
Hier unterbricht Hedinger den wütenden Ausbruch und sagt, darauf könne er schwer antworten und er werde jetzt nicht die letzte halbe Stunde rekapitulieren. Er öffnet erneut für andere Stimmen aus dem Publikum. Eine Person aus dem Saal meldet sich und hält der Schimpferei entgegen: Das tolle am Dokumentarfilm sei doch, dass es genau diesen Dialog gäbe. Der Film hatte eine „komplett andere Wirkung“ auf sie, sie konnte eine emotionale Bindung zu Fortezza aufbauen und sieht in der filmischen Form eine „unheimlich große Freiheit, sich mit dem Ort auseinanderzusetzen“. Selbstkritisch wirft der Regisseur ein, böse Zungen würden seinen Film „zerfleddert“ nennen und er hätte diese Sorge auch nach dem Dreh gehabt. Es könne sein, dass der Film für manche „total unzugänglich“ sei und das wäre auch OK.
Auch eine andere Person aus dem Publikum konnte viel aus „Durchgangsland“ herausziehen. „Thank you very much for the movie!“, schließt sie. Mischa Hedinger bleibt aus Zeitgründen nur, die Diskussion abzumoderieren und auf die im Anschluss stattfindende Verlaufskritik zu verweisen: eine Veranstaltung für Lob und Kritik der Zuschauer:innen. Ein überraschendes Ende der häufig als nicht mehr so kritisch, nicht mehr so schlagkräftig, nicht mehr so konfrontativ „wie damals“ bezeichneten Duisburger Diskussionen.
Gerd Sulzenbacher, Daniel Fill, Mischa Hedinger v.l. © Duisburger Filmwoche, Foto: Simon Bierwald