Film

Gruorn – wenn geschlossen, wird geschossen!
von Gerold Hoffmann, Angelika Müller
DE 1984 | 38 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 8
10.11.1984

Diskussion
Podium: Gerold Hoffmann
Moderation: Michael Kwella, Michael Springer
Protokoll: Dietrich Leder

Protokoll

Um nicht der nachfolgenden Diskussion über den Musikgebrauch in Dokumentarfilmen vorzugreifen, bat Kommissionsmitglied Michael Kwella darum, die von Hoffmann und Müller gewählte Musik nicht zu diskutieren. Gleichzeitig betonte er, daß der Film nicht wegen des nachfolgend stattfindenden Vertonungsexperimentes ausgewählt worden war, sondern wegen seiner filmischen Form. Kwellas Kollege Michael Springer strich im Anschluß heraus, was diesen Super-8-mmFilm auszeiche. Er würde, mit geringen Mitteln hergestellt, demonstrieren, welche Wirkung Waffen besitzen, würde zeigen, wie die Vorbereitung auf den Krieg die Bürger aus ihrem Frieden aufschreck‘ und vertreibe. Er stellte an den Regisseur die Frage, wie der Film eingesetzt werde. Der Haupteinsatz erfolge in der Gegend rund um den Truppenübungsplatz. Diese Vorstellungen seien gut besucht, und ein aus alt und jung gemischtes Publikum würde mit Interesse auf den Film reagieren. Auffallend sei, daß die Älteren zwar die Geschichte von Gruorn gut dargestellt empfinden, aber meinen, daß mit den aktuellen Bezügen ihnen wohl etwas „aufgedrängt“ werden sollte.

Den ersten Einwand formulierte eine Zuschauerin, die nach anfänglichem Lob („ganz sympathisch“) monierte, daß der Film in der Form zu chaotisch sei, wie beispielsweise der Wechsel von Interview, Beobachtung und Kommentierunq erfolge. Das wurde von einem anderen Zuschauer präzisiert, der das Chaos als notwendige Folge des wechselnden Gestus der Filmemacher beschrieb. Da würde zunächst manche Montage- und Kommentarform verwandt, wie sie in neueren Videobändern zu finden seien, dann seien die Fragen an die Ex-Bewohner von Gruorn wie von einem Fernsehreporter gestellt, schließlich ähnelte die Abfolge aus Beobachtung, Gespräch und Kommentar dem Stil, wie er in den Fernsehfeatures dominiert. Der formalen Unsicherheit entspräche eine inhaltliche: der Begriff ‚Heimat‘ sei unreflektiert benutzt worden. Was sei das für eine Heimat, als deren Mittelpunkt noch heute die Kirche gelte? (Angemerkt sei vom vorlauten Protokollanten, daß dieser Zuschauer, der des Hochdeutschen durchaus mächtig ist, bei diesem Beitrag deutlich zu schwäbeln begann, als wolle er demonstrieren, aus welcher Gegend (Heimat?) er selber stamme, und daß er in Sachen ’schwäbische Alb‘ durchaus Fachmann ist.)

Am Begriff ‚Heimat‘ entzündete sich dann ein Wechselgespräch, in dem Unterschiede zwischen Filmregisseur und dem Gast aus der Gruorner Umgebung deutlich wurden. Hoffmann glaubte, mit dem Film, der nicht das historische Phänomen ‚Gruorn‘ zu einem Propagandamittel der Friedensbewegung abwerten sollte, die Zwiespältigkeit dieser Heimatvorstellung darstellen. Er selbst habe bis zuletzt nicht genau gewußt, wie er diesem Begriff der ‚Heimat‘ gegenüberstünde. Auch das von seinem Begleiter aus der Gruorner Umgegend ins Gespräch gebrachte Zitat aus einem Tucholsky-Text, in dem von einer waffenlosen Heimat gesprochen würde, die es zu bewahren gälte, das in einer Rohfassung des Films enthalten gewesen sei; habe den Begriff ‚Heimat‘ nicht so präzisiert, wie einige Zuschauer wohl hofften. Grundsätzlich habe der Film nicht die umfassende Geschichte des Dorfes erzählen können, in der durchaus Widerstandsaktionen gegen die Obrigkeit zu registrieren seien (etwa habe der letzte Pfarrer vor der Räumung des Dorfes im Religionsunterricht gegen den unbedingten Eid auf Adolf Hitler sich ausgesprochen, was zu seiner Entlassung geführt habe), durch deren Erzählung die Vorstellung von ‚Heimat‘ durchaus auch ihre kritische Komponente hätte entfalten können.

Generell habe man im Film die Pfarrer zu Wort kommen lassen, weil sie die anerkannten Sprachrohre der Gemeinde seien (und vielleicht auch die einzigen sind, die bewußt im Hochdeutsch für die Kamera erzählen, d. Prtllt.) Hoffmann teilte mit, daß er die Religiosität der Gruorner nicht teile, daß er aber zeigen wollte, daß die Religion es gewesen sei, die ihnen über den Verlust ihrer Heimat hinweggeholfen habe.

In einer zum Abschluß des Gesprächs formulierten Kritik wurde noch einmal auf die Form des Films eingegangen. Eine Zuschauerin meinte, daß im Film immer dann zu ausgefalleneren Montagen gegriffen worden sei, wenn die inhaltliche Konzeption Leerstellen aufwies. Warum sei beispielsweise der Vereinsvorsitzende der „Erhaltet-die-Kirchedes-Dorfes-von-Gruorn-Bewequnq“ im Bild gezeigt worden, als er Vereinspräliminarien verlas? Während Hoffmann meinte, die Form der Aufnahme (der Vereinsvorsitzende von unten aufgenommen, leicht verkippt) und der Montage (diese Aufnahme genau an dieser Stelle) habe diesen Verein ironisieren wollen, sahen einige Zuschauer darin nichts als eine Abbildung üblicher (störender) Vereinsrituale, die man aus jedem Verein (sei es, daß er eine Kirche, sei es, daß er den Dokumentarfilm vor Unbill bewahren solle) kenne.

Frohen Mutes schritten die Diskutanten ins Kino, um sich die neuen Musikbearbeitungen des Filmes anzuschauen.