Film

Ich denke oft an Hawaii
von Elfi Mikesch
DE 1978 | 85 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 2
1978

Diskussion

Protokoll

Es sind während der Vorführung des Filmes sehr viele hinausgegangen. Dennoch oder gerade deshalb bestand der Wunsch, über diesen Film zu sprechen, obwohl die Filmemacherin Elfi Mikesch nicht anwesend war. Die Gesprächsrunde setzte sich anders als sonst bei den Diskussionen der Filme üblich, im Kreis zusammen, und es wurde kein Mikrofon benötigt, so daß ein offenes Gespräch über den Film zusammenkam, in dem auch Ge[Uhle, Rollenverständnis und Herkunft der Zuschauer selber zur Sprache kommen konnten.
Zuschauer: Ich kann nichts damit anfangen. . .
Das Gelesene war informativer als der Film selbst. . .
Das war eine Abstimmung mit Füßen, viele sind rausgegangen. . .
Zuschauerin: Für mich wurde klarer, was der Sinn dieser Blümchentapeten und der Musik ist, ich komme aus einem anderen Milieu, und ich seh besser, wie das Träumen vor sich geht in dieser Frau. Faszinierend war – ich weiß nicht, ob das in Wirklichkeit auch so ist – die ungeheure Langsamkeit in den Bewegungen, die im Film-Traum auch auftaucht: Sie träumt, sie hat nichts zu tun, und wie wir sehen, tut sie auch nichts. Wie sie im Schaum im Waschbecken spielt, das ist ein Traum fast ohne Bilder, ein Wegtreten. Sie stellt sich vor, wirklich nichts zu tun, woran sie im Alltag gehindert wird. Das ist das Interessante, Träume aus dem Unbewußten so stark vermittelt zu sehen. Deshalb war ich in der Auswahlkommission für den Film.
Zuschauer: Der Film lieferte nur Denkansätze oder Annahmen: Jeder interpretierte den Film anders. Mich fasziniert das schnelle Umschalten von Traum zu Realität. Das mit dem Krach oder die Einfachheit, mit der die Mutter ihrer Beschäftigung nachgegangen ist. Ich hab das begriffen mit dem Schaum und den Halluzinationen, dem Meer, aber in Wirklichkeit würde sie bei so langsamem Arbeiten einen Klaps kriegen, wenn die Mutter das sehen würde. Da geht jeder mit einer anderen Interpretation heraus. Ich bin verunsichert. Ich denke mir vieles, weiß aber kaum noch etwas. Es müßte auch mehr Hintergrund mitgeteilt werden, über den Vater.
Zuschauerin: Ich wäre fast auch rausgegangen, wollte aber das Bedrückende auch aushalten; und das wurde auch vermittelt: Wiederholungen, diese Enge, die fast eingefrorenen Bewegungen . . . ebenso, wie Elfi Mikesch es auch empfunden haben mag. Ich war aber heilfroh über die komischen Szenen wie auf dem Sofa oder beim Schminken, ich finde, es besteht ein Anspruch des Zuschauers zu lachen auch bei solchen Themen, und das war mir ein bißchen zu wenig.
Zuschauer: Ich empfand gerade d1e Verkleidungsszenen an den Haaren herbeigezogen, bei dem Sofa mit der Marschmusik konnte ich nicht lachen.
Zuschauerin: Das sind Denk- und Gefühlskonstellationen, die man in anderen Filmen nicht zeigt, die doch so oft ablaufen, dem muß man sich stellen.
Zuschauer: Der Film zeigt etwas Schwieriges: Alltag. Was kein Mensch sehen will. Es gibt andere Modelle, wo man die Kamera auf 8 Std. Fließbandarbeit richtet, mit dem Effekt, daß das natürlich keiner ausgehalten hat. Das sind wir nicht gewohnt, mit langweiligen Bildern und Tönen umzugehen, wie es wirklich ist. Sie hat versucht, einen anderen Zugang zum alltäglichen Erscheinungsbild zu finden, z. B. im freien Umgang mit Tönen, wie die konzentrierten Lappengeräusche. Das hat was mit Rolle zu tun: Ich war schon früh aus dem Haus zum Militärdienst, aber ich erinnere mich, meine Mutter und Schwester haben manchmal beim Putzen die Türe zugemacht und dann Lieder gesungen; Ich träumte bei anderen Sachen, beim Indianerspielen oder so. Der Film schafft das, er stellt eine Herausforderung dar, darüber nachzudenken. Mich interessiert, wer ihn im Fernsehen heute abend 22 Uhr ansieht.
Was mich irritiert hatte. war der Wechsel von Schwarz-Weiß und Farbaufnahmen, er war nicht eindeutig. Ich merkte, ich möchte immer alles klarhaben: was steht wofür? Vielleicht gibt es aber gar keinen Schlüssel, vielleicht müßte man sich anders verhalten.
Solche Prozesse löst der Film aus.
Zuschauerin: Wir müssen Gefühle zulassen, es herrschen immer so dogmatische Vorstellungen vor.
Zuschauer: Was kann man tun, daß solche Filme in einem anderen Zusammenhang wahrgenommen werden?
Wie soll man mit ihnen umgehen, daß sie nicht nur Konsumgüter sind. Das setzt gemeinsame Formen des Betrachtens voraus, und dafür kann man was tun.
Zuschauerin: Ich überlege, wer diesen Film denn ansehen wird bzw. soll, oder für welche Gruppe wie etwa die der dargestellten Frau, er gedacht ist. Ich befürchte, daf.l diese Frauen ihn als zu peinlich empfinden würden. Oder ist der Film vor allem ein Prozeß für diese Familie, sich selbst und ihre Sehnsüchte kennenzulernen.
Zuschauer: Ich frage mich, wie junge Menschen diesen Film sehen oder Hausfrauen. . . das weiß ich nicht.
Zuschauer: Der Film ist für mich eine Antwort auf die Frage, ob man über sot1al Unterprivilegierte einen poetischen Film machen kann. Hier ist für den Zuschauer eine Arbeit, es ist Raum und Zeit gelassen für diese Überlegungen; es sind nämlich nicht nur die Träume des Mädchens sondern auch die Vorstellungen des Zuschauers.
Zuschauerin: Nehmen wir die Werbekataloge oder die Erfolge. die die Musik hat. Das entspricht den vorhandenen Vorstellungswelten, die da sind, die werden hier nur ernst genommen. Auch das ist Kultur, die man versteckt. Auf den vier Sandstreifen möchte ich auch gern sein, obwohl ich weiß, daß das wahrscheinlich nur die Wirkung des Fotos ist, das wird von der ganzen Werbung nur umgesetzt. Noch deutlicher wird dies mit der Kosmetik, wo der T1sch mit diesen Utensilien bedeckt ist und die Mutter fast pervers erscheint.
Zuschauer: Mich hat beeindruckt das Verhältnis von Bildern und Tönen und die Entfernung zur Realisierbarkeil der Phantasie. Frauen haben in ihrer Ästhetik viel mit Phantasie zu tun, das wird z. 8. in der Schminkszene angewandt. Spannend ist die Verknüpfung vom Träumen einer Reise und Abwasch. Es wird spürbar, die Phantasie ist ein produktives Element.
Zuschauerin: Welcher Art denn‘! Daß die nämlich wieder eingeengt sind, die Phantasien: Vorprogrammiert, nichts neues, kleine Schächtelchen. . .
Wenn ich 8 Stunden solch eine Arbeit machen müßte, denkst du automatisch nicht nach. . .
du merkst einfach beim Spülen, du bist irgend wo.
Zuschauer: Phantasie ist doch, was man sich selber ausgedacht hat, z. 8 auf dem Mond sein, Sachen, die nicht greifbar sind und nicht nur Träumereien. . .
Der Film war einfach ein Tagesablauf mit Wahrnehmung und Träumereien und mit Tätigkeiten.
Zuschauer: Der Film lebte von einer Ästhetik der Einsamkeit und der Monotonie, damit hat er kokettiert, und das fand ich bedenklich. Er zeigt, wie interessant es ist, in Isolation hineinzugeraten.
indem er die Träume ganz direkt abgebildet hat, die Mutter als Puppe herausgeputzt hat, mit den sparsam verwendeten Ausschnitten und dem stellenweise extremen Einsatz von Farbe.
Zuschauer: Man muß sehen, was gezeigt wurde mit Einsamkeit. Wer hat denn diese Häuser gebaut, die Gropiusstadt, die hat doch die Elfi Mikesch nicht geschaffen, sie bezieht sich nur darauf. Die langen Fahrten sind durch den Umzug entstanden nicht durch die Filmerin, da fährt sie zu den Leuten, wo sie früher wohnte, weil sie da noch Kontakte hat, das kann man nicht Elfi Mikesch anlasten. Dabei kann man auch ins Träumen geraten. . .
Zuschauer: Das Charakteristische an den Träumen war, daß deren potentielle Umsetzbarkeit ansatzweise für uns deutlich wurde· Männer mit der Sexualität, Frauen mit der Kosmetik, daran haben wir zu knacksen, das war in seiner Zwanghaftigkeit greifbar.
Zuschauer: Die Filmemacherin sagt, ich träume von Hawaii, und möchte gerne wissen, wovon träumst du!