Film

Unsere Zeit wird kommen
von Ivette Löcker
AT 2025 | 105 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 49
06.11.2025

Diskussion
Podium: Ivette Löcker
Moderation: Michelle Koch
Protokoll: Maxi Braun

Synopse

Auf ihrem Grundstück in Gambia trägt ein Mangobaum Früchte, im Hinterhof ihrer Wiener Wohnung werden die ersten Pflanzen gesetzt. Siaka und Victoria sehnen sich nach Unbeschwertheit und ringen um eine Liebesbeziehung, die die Lasten von traumatischen Migrationserfahrungen und Rassismuserlebnissen trägt. Zwischen Gelegenheitsjobs, bürokratischen Hürden und einer traditionell gambischen Hochzeit tarieren sie kulturelle Differenzen aus – und suchen nach einer gemeinsamen Heimat.

Protokoll

Ivette Löckers Film beginnt mit einem wütenden Appell, den der Schwarze Siaka nachts vor einem Club direkt in die Kamera und an die Zuschauenden richtet. Er spricht mit großer Dringlichkeit von Alltagsrassismus, Racial Profiling und Diskriminierung, die People of Colour überall in Europa erlebten. Niemals würde es aufhören, bis alle dagegen ankämpfen. Am Ende des Films schauen wir in die neugierigen Augen eines Babys, das gemeinsame Kind der Österreicherin Victoria und ihres Mannes Siaka.

Michelle Koch zeigt sich von dem versöhnlichen Ende irritiert. Sie fragt sich und die Regisseurin, ob der Schluss, in dem alles hell und aufgeräumt wirkt, der Garten im Innenhof gedeiht und das Kind fröhlich gluckert, nicht die in der Eingangsszene erzeugte Erwartungshaltung konterkariere, die Rassismuskritik „wie in Watte“ packe und UNSERE ZEIT WIRD KOMMEN so sein politisches Potential verspiele. Laut Löcker „stimmt beides“: das Kind sei eine Realität, der strukturelle Rassismus auch. Sie selbst interpretiert das Ende anders: Mit der letzten Einstellung auf die Augen des Kindes stellen sich ihr viele Fragen auch bezüglich der Zukunft und der Welt, in der Siaka und Victoria ihr Kind großziehen und wovor sie es beschützen müssen.

Koch möchte wissen, ob der Wechsel von der „Dringlichkeit der Rassismuskritik“ hin zum Rückzug in den privaten Raum von Anfang an geplant gewesen sei? Sie habe Siaka direkt zu Beginn eine starke Stimme geben wollen, sich insgesamt aber für die Innensicht eines interkulturellen Paares interessiert. Sie berichtet weiter von der Genese des Films. Sie habe Victoria auf der Diagonale in Graz 2017 kennengelernt, als deren experimenteller Kurzfilm KANTEN gemeinsam mit Löckers WAS UNS BINDET programmiert gewesen sei. In diesem Jahr habe Victoria auch Siaka kennengelernt. Ein paar Jahre später sei Victoria dann an Löcker herangetreten mit dem Vorschlag, einen Film über Siakas Migrationsgeschichte und -erfahrungen zu machen. Es habe lange Vorgespräche gegeben, schließlich wurde in fünf Blöcken gedreht.

Koch hakt genauer nach: „Gab es keine Überlegungen, mal raus auf die Straße zu gehen und zu dokumentieren, wie Siaka tatsächlich Rassismus erlebt? Wir sehen die beiden meistens in der Wohnung, sie wirken fast schon isoliert“. Löcker bestätigt, dass Victoria und Siaka wenig in der Stadt unterwegs und nach einem längeren Aufenthalt in Italien noch nicht wieder im Wiener Stadtleben angekommen seien. Kontakte gab es meist nur zu Victorias Familie, die auch im Film zu sehen sind. Koch bemerkt den subtilen, vielleicht unbeabsichtigten Alltagsrassismus in diesen Begegnungen: „Alle wirken sehr bemüht um den Schwarzen Schwiegersohn. Aber auch sehr verkrampft“. Insbesondere die Szene, in der Siakas Schwiegervater ihm als „Belohnung“ für die Gartenarbeit ein paar Beeren in den Mund steckt, während er mit nackten Füßen ein Feld mit einer Spitzhacke bearbeitet, führt Koch zu der Frage, wie Löcker ihre Bildpolitiken reflektiert und die Reproduktion rassistischer Stereotype auf der Bildebene zu verhindern versucht hätte. Löcker, die sich selbst als „mittelalte, weiße Frau“ bezeichnet, sei sich dessen sehr bewusst gewesen. Mit ihrem Kameramann Frank Amann habe sie viel recherchiert und zum Beispiel „Exit Racism“ von Tupoka Ogette gelesen. Auch Siaka und Victoria hätten ihnen stellenweise gespiegelt, wenn etwas sehr stereotyp abgebildet worden sei.

Michael Baute zeigt sich beeindruckt, insbesondere von dem Streit mittig im Film, für ihn eine Schlüsselszene, als die Regisseurin aus dem Off einbezogen wird. Hier zeige sich für ihn die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit: „Das ist für mich der Motor oder vielleicht sogar die Dialektik des Films. Das fand ich aufregend, spannend und zugleich unangenehm mitzuerleben“. Mischa Hedinger schließt sich dem an und hebt die „Sprachkultur“ und Kommunikation des Paares positiv hervor. Koch merkt an, dass sich hier nicht nur eine Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit, sondern auch in den Intentionen von Siaka und Victoria auftut. Sie habe den Wunsch nach Harmonie, er könne und wolle seine Vergangenheit und erlittenen Ungerechtigkeiten nicht vergessen.

Über die Szenen in Gambia wurde bisher nicht gesprochen. Koch findet, dass diese im Vergleich zur sozialen Isolation in Wien fast wie eine Utopie wirkten. „Nach ihrer Rückkehr aus Gambia sehen wir sie nach einem Schnitt allein im Wohnzimmer, das wirkt fast schon trist“. Löcker wollte Siaka in Gambia zeigen, weil wir ihn dort „in einer anderen Position und in seiner Muttersprache“ sprechend erleben. Außerdem würde dort – in der Szene, die Victoria im Gespräch mit Siakas Cousine Fatoumata zeigt, die von ihr finanziell in ihrer Ausbildung unterstützt wird – auch ein unangenehmes, hierarchisches Gefälle spürbar. Das würde demonstrieren, dass „Victoria da eben auch in einer ihr fremden Kultur agiert und sie – wie wir alle – ihre Sozialisation nicht einfach so abstreifen kann“.

Koch zieht die erwähnte Schlüsselszene nochmal heran, um auf Victoria einzugehen, die für sie etwas sehr „dominantes“ habe. Sie fragt, wie groß ihr Gestaltungswille als Grafikdesignerin und Filmemacherin gewesen sei und ob dies zu Spannungen geführt habe. Löcker verteidigt ihre Protagonistin: Zum Zeitpunkt der Dreharbeiten habe Victoria keine Ambitionen als Filmemacherin mehr verfolgt und sei sich sehr bewusst gewesen, dass sie zu nah an ihrer Geschichte dran sei um selbst zu filmen. „Sie hat mir vertraut, aber sie hatte verglichen mit Siaka ein größeres Medienbewusstsein, auch für das Material und dessen Verwendung“. Das habe den Dreh nicht erleichtert, aber Victoria habe sie bei der Montage komplett in Ruhe gelassen und sie und Siaka seien mit dem Rohschnitt und auch mit dem fertigen Film einverstanden gewesen. Nach einem konfrontativen Auftakt endet das Gespräch wie auch der Film harmonisch.