Film

Ich hätte lieber einen anderen Film gemacht
von Suse Itzel
DE 2024 | 24 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 49
07.11.2025

Diskussion
Podium: Suse Itzel
Moderation: Ute Adamczewski
Protokoll: Caroline Schöbi

Synopse

Projektionen wandern über Wände, Familienmitglieder sind aus Fotos ausgeschnitten, eine grüne Couch wird zur Skulptur. Aus dem Off eine Stimme: „Kurz dachte ich, ich könnte es mir einfach machen. Ich könnte den Bericht der psychiatrischen Klinik einfach vorlesen.“ Susanne Itzel erfuhr vom 11. bis zum 15. Lebensjahr durch ihren Vater sexualisierte Gewalt. Ein Film über Schmerz. Und ein abwägender Zugriff auf das Unsagbare, mit dem die Filmemacherin die Kontrolle über sich und ihre Geschichte zurückzugewinnen sucht

Protokoll

Von den eben geschauten vierundzwanzig Minuten bin auch ich, die ich jetzt am Protokolltisch sitze, um das Nachfolgende mitzuschreiben, berührt und bewegt. Das Sprechen, das während dieser einen Stunde den Raum ausfüllt, ist ein tastendes, empfindsames und konzentriertes. Feine Annäherungsversuche an etwas, das nicht zu fassen, eigentlich nicht zu beschreiben ist.

„Anfang November 2018 beschloss ich einen autobiographischen Film zu machen“ hören wir direkt zu Beginn im Voice-over, das Suse Itzel selbst spricht. Den inneren Entschluss für dieses Projekt zu fassen, das wäre irgendwann schnell gegangen, erzählt die Filmemacherin. Ein Seminar zum Thema „First Person Cinema“, das sie an der KHM in Köln besuchte, inspirierte sie zu einer autobiographischen Erzählform. Bald wäre klar gewesen, „wenn ich etwas über mich erzähle, dann ist es halt das“. Ein viel schwierigerer Prozess wäre es indes gewesen, anderen Menschen mitzuteilen, woran sie gerade arbeite. „Ein Film über Räume“, „etwas Autobiographisches“. Schutz- und Ausweichmechanismen; denn „was kann ich sagen und aussprechen, ohne davon überwältigt zu werden? Was halte ich aus, dass es andere über mich wissen?“.

Was die Entstehung des Films angeht, spielten zudem einige „großartige Dozent:innen“, die den Balanceakt zwischen bedingungsloser Unterstützung und ehrlichem Feedback hingekriegt hätten, eine wesentliche Rolle. An dieser Stelle erwähnt Itzel auch ihre Freund:innen, die sie gestützt und, wo nötig aber auch geschützt hätten – zum Beispiel vor zu exzessiven Schnittphasen. Dass sich der Film um die Frage des Sagbaren drehe, werde für die Zuschauer:innen deutlich spürbar, findet Ute Adamczewski, die nachfolgend gerne mehr über die Arbeit am Text erfahren würde. Itzel erzählt, dass die Therapie das Sprechen über die sexualisierte Gewalt überhaupt erst möglich gemacht habe. Ferner sei der Austausch mit anderen Betroffenen, inner- sowie außerhalb des therapeutischen Settings, wichtig gewesen, um an einen Punkt zu kommen, an dem eine filmische Auseinandersetzung mit dem Erlebten denk- und vorstellbar werden konnte. Die Textarbeit an sich, wäre ein Austesten von Grenzen gewesen – dessen, was ich den Leuten sagen will, aber auch dessen, was die Leute ertragen können, beschreibt die Regisseurin; eine lange Collagearbeit – der Text habe in der jetzigen Form „absolut nix Spontanes“, es ist ein literarischer Text in schlichtem Tonfall. Was das Bauen des Textes angeht, war es für Itzel zudem enorm wichtig, Entscheidungsmacht und Kontrolle – also das, was das Trauma einem Menschen nimmt – bei sich zu behalten.

Itzels Arbeit am Text – das Be- und Umarbeiten von Zitaten – sei ja auch ein entpoetisierender Akt, führt Adamczewski mit Blick auf eine spezifische Filmstelle aus, an der es um die Beerdigung der eigenen Mutter geht. Sich hinter Zitaten zu verstecken sei verlockend und einfach, meint die Regisseurin. Von den vielen, die einst im Film steckten, seien nur wenige übriggeblieben. Adorno zum Beispiel – „Bei vielen Menschen ist es bereits eine Unverschämtheit, wenn sie Ich sagen“ –, wäre direkt good to go gewesen. Adamczewski bringt einen anderen Satz aus dem 29. Aphorismus der „Minima Moralia“ in die Diskussion ein. Einer, der eine explizite Verbindung zur „Sexualethik“ und zur „Anklage“ aufweist. „Den hatte ich mir auch angestrichen“, räumt Itzel ein, „aber verstanden habe ich den nicht“. Ein gemeinsames close reading der entsprechenden Textstelle gibt – wenig überraschend – Textirrungen und -verwirrungen preis. Das Adornosche „Unrecht“ ist im heutigen Gespräch zum „Recht“ geworden – alle Anwesenden lachen; im Raum ist man sich recht einig, dass die Vorsilbe zum Verständnis beitragen würde. Adamczewski hatte eigentlich vermutet, dass Itzel über diesen Satz zu ihrem Zitat gefunden hat. Die Filmemacherin gesteht, dass alles viel banaler gewesen wäre. Außerdem habe sie versucht, sich von Adorno fernzuhalten, was natürlich nichts mit dem Denker der Kritischen Theorie an sich zu tun hat, sondern mit ihrem Vater, der seinerzeit bei diesem studierte.

Im Gegensatz zur Arbeit am Text, die belastend war, sei die Arbeit am Bild weniger schwierig gewesen. Die gestalterische Grundidee hatte Itzel schon länger im Kopf gehabt – das visuelle Konzept war ein Gerüst, auf das ich mich stützen konnte. Es waren die Krücken, die mir geholfen haben, aufzustehen, erläutert sie. Was die Arbeit an der Bildspur angeht, hätte sich Spielerisches und Pragmatisches gemischt: Bestimmte Bilder haben sich irgendwann mit Textfragmenten verbunden, andere wurden eigens für spezifische Textpassagen gefilmt.

Wie das sei, wenn die Verletzung in einen Raum getragen werde, der womöglich gar nicht bereit dafür sei, knüpft Adamczewski an das Gesagte an – vielleicht wie das Kämpfen gegen eine Wand? Eine solche hätte sich mittlerweile etwas mehr geöffnet, antwortet Itzel. Sie sei grundsätzlich ruhiger, wenn sie darüber spreche, weil sie es regelmäßiger tue. Infolgedessen wäre es auch für das Gegenüber leichter; aber sicher, da ist immer eine Angst, dass sich im Moment des Sagens eine Schleuse öffnet und alles unkontrolliert herausbricht. Das Ich, das heute hier sitzt, stimmt nur noch teilweise mit der Stimme überein, die wir im Film hören, fügt Itzel an und bezieht sich im Folgenden auf Carolin Emckes Buch „Weil es sagbar ist“, in dem die Autorin Fragen des Sprechen-könnens und -müssens verhandelt. Emcke setzt sich darin für ein Bezeugen und Sagen trotz allem ein. Natürlich könne Sprache Emotionen auslösen – und gewaltsam sein –, an die Erfahrung selbst komme sie aber nicht heran, „da ist immer ein Rest, der, auch wenn man das möchte, nie gesagt werden kann“ beschreibt die Filmemacherin. Zudem sei das Sprechen nur die eine Seite – das Zuhören wäre die andere.

„Ich bin noch immer ziemlich aufgewühlt“, versucht eine Person aus dem Publikum eine Annäherung an das Gesehene, Gehörte, Gefühlte – „es macht sprachlos, die Wunden heilen nicht und das Schweigen kann einen kaputt machen. Danke dass du eine Form gefunden hast, dem Unbeschreiblichen und Unfassbaren einen Ausdruck zu geben“, die Stimme bricht weg, Tränen treten an deren Stelle; auch bei Suse Itzel, die ermutigt: „Es ist wichtig auch mal kurz zu weinen und nicht alles zu intellektualisieren… ein paar Tränen vergießen und dann geht’s weiter. Das ist eine wichtige Basis“. Ein ergreifender Moment für alle im Saal.

Was die Öffentlichkeit des Films – das Heraustragen in die Welt – auslöse, möchte eine andere Person im Publikum wissen. Die Möglichkeit für Gespräche und Verbindungen, die mir und anderen helfen, sagt Itzel. Gegebenenfalls auch Verständnis bei nicht selbst betroffenen Menschen, die mit dem Film – zumindest partiell – etwas nachvollziehen können; denn es braucht mehr gesellschaftliche Teilhabe – und deren Grundlage ist Verständnis.