Film

B wie Bartleby
von Angela Summereder
AT 2025 | 72 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 49

Diskussion
Podium: Angela Summereder
Moderation: Patrick Holzapfel
Protokoll: Fiona Berg

Synopse

„I would prefer not to.“ Die berühmte Formel von Bartleby, der Hauptfigur in Herman Melvilles Erzählung, ist eine Absage an die entfremdete Arbeit. Ausgehend vom Dialog mit ihrem todkranken Ex-Partner, dessen nie verwirklichtes Lebensprojekt ein Film über Bartleby war, lässt Angela Summereder Teile der Geschichte performen: von Schauspielerinnen, Rappern, Jugendlichen, Obdachlosen. Ein Akt der selbstbestimmten Aneignung und ein persönliches Vermächtnis, das den historischen Text mit der Gegenwart verbindet.

Protokoll

„Ich habe das Kopieren aufgegeben“. Dieser im Film zitierte Satz aus der Erzählung von Herman Melville über den Schreiber Bartleby und seine sich steigernde Arbeitsverweigerung klingt während des Protokollierens nach. Das Schreiben des Protokolls resoniert dabei nicht nur auf der Bildebene des Filmes mit der Praxis das Kollationierens, um die die literarische Vorlage kreist. Das Kollationieren, das Vergleichen einer Ab- oder Reinschrift mit dem Original, scheint in der Diskussion auch als Angelpunkt für die Annäherung an den Film und weist dabei auf die zwei Ebenen von Film und Text (wie auch die von Diskussion und Protokoll). Ganze 40 Jahre lägen zwischen dem Vorschlag ihres damaligen Partners Benedikt Zulauf, etwas mit dem Stoff zu machen und der Realisierung des Filmes, wie Summereder auf die Eingangsfrage der Moderation nach Ausgangsmaterial und -situation ausholt. Dazwischen seien andere Dinge passiert; die Geburt gemeinsamer Kinder, eine Trennung und schließlich die Krebserkankung und der frühe Tod Zulaufs, der sie zu Lebzeiten bat, den Film für ihn zu realisieren. Dort beginnt auch die gemeinsame Befragung, die als Tonaufnahmen Eingang in den Film finden und ihn durch Schwarzbild gliedern. Insgesamt seien es fünf Stunden Gesprächsprotokolle, die sie als bewegend, aber doch unzumutbar empfand. Es sind Gespräche, die den Prozess des Nachdenkens darüber festhalten, wie der Text im Film in die Gegenwart geholt werden kann, so Summereder.

Die erste Begegnung mit dem Text von Melville empfand sie als verstörend und sie begab sich auf die Suche, diese Wirkung zu ergründen. Das Befremdende oder Verwunderliche war für sie damals dieses Männeruniversum, das die Erzählung aufmacht, in dem Frauen nicht existierten. Dabei hatte der Schriftsteller, wie es auch in den Szenen des Melville-Museums in Pittsfield, Massachusetts klar wird, viel weibliche Unterstützung (seine Frau, seine Schwester, seine Tochter). Dieses tradierte Geschlechterverhältnis – schreibender Mann, unterstützende Frau – schien sich auf eine Weise im Filmprojekt zu wiederholen und wird im Spiel der Performer:innen aufgegriffen. Zentral und formatgebend (4:3) ist auch der Ausschnitt aus dem Film GESCHICHTSUNTERRICHT des Regie-Duos Danièle Huillet und Jean-Marie Straub basierend auf Brechts „Die Geschäfte des Herrn Julius Caesar“, in dem Benedikt Zulauf als Darsteller zu sehen ist. Es sei die einzige Möglichkeit gewesen ihn bildlich in den Film zu holen, wie Angela Summereder erzählt und spiegelt in der Desillusionierung über die korrupten Geschäfte Caesars auch Zulaufs Desillusionierung mit dem Österreichischen Filmmuseum wider, dessen Arbeit er ebenfalls wie die von Straub idealisiert habe, wie es im Film heißt.

Es seien fast schon „Adaptionen von Adaptionen“, meint Moderator Holzapfel, und beschreibt anerkennend, wie sie die Filmemacherin frei mache und das Eigene in diesem Projekt suche. Er möchte mehr über den Arbeitsprozess wissen, mit den Kindern und ehemaligen Obdachlosen sowie den Orten. Sie habe Lesekreise für ihre Darsteller:innen organisiert, um sich gemeinsam dem Text anzunähern. Dabei sei die Fluktuation sehr groß gewesen, weshalb alle Dabeigebliebenen ein großes Glück waren. Der Probenort sollte neutral sein, ein Innen und Außen herstellen, während der antik-moderne Lesesaal eine Brücke zwischen den Zeiten herstellt, eine „zitierte Historizität, oder wie wir das nennen wollen“. Die Suche nach „Bartleby-Orten“ oder Personen im „Bartleby-Modus“ (während der Pubertät läge dieser ja permanent vor und auch Obdachlosigkeit stünde in direkter Nähe zur Totalverweigerung), lässt die Arbeit als eine freie und assoziative erscheinen. Die erzeugte Vielstimmigkeit sei für die Regisseurin die einzige Möglichkeit, die für sie Sinn ergeben hat.

„So many questions, but no reason“. Das Lied der zwei jungen Rapper, mit denen sie kollaborierte und die sie in direkter Umgebung des Jugendzentrums kennenlernte, mit dessen Jugendlichen sie arbeitete, holt den Stoff in die heutige Zeit. So sind es Fragen der Übersetzung und Übertragung – von Literatur ins Filmische, Englisch ins Deutsche, Vergangenheit und in die Gegenwart –, die hier präsent sind, wie Patrick Holzapfel noch einmal die Ebenen zusammenfasst, um am Ende mehr über die Arbeit am Text zu erfahren. Es wurde aus einem Grundgerüst herausgeschält, ohne all die pittoresken und plastischen Beschreibungen, die viel vom Text ausmachen. Es folgen Ausführungen zu den Abschweifungen des Filmes und Anekdoten der Produktion. Summereder selbst verstehe sich als Verfechterin eines „Modest Cinema“ wie sie auf ein Kompliment aus dem Saal bezüglich der unverschwenderischen Wirkung ihrer Arbeit zu bekennen gibt und scheint genauso zufrieden über ihren Film wie ihr Publikum. Sie nehme sich Zeit, arbeite mit kleinem Team und sei glücklich über ihre Produzentin, die sie als Komplizin für die Art der Produktion sieht und für ihre Kamerafrau, die im richtigen Moment die Kamera anstellt: „Danke an die Dokumentarfilmgöttin!“