Synopse
Ein ehemaliges Fabrikgelände im Süden Moskaus. Hier hat sich eine Gemeinschaft aus streunenden Hunden und obdachlosen Menschen gebildet. Ihr Zusammenleben bietet wechselseitig Schutz und Geborgenheit, doch als der Winter kommt, muss das Rudel enger zusammenrücken. Auf Augenhöhe mit den Hunden durchstreift die Kamera das verwaiste Areal und gewährt Einblicke in alltägliche Überlebensstrategien. Wovon träumen die Vierbeiner, während die Zweibeiner wachen?
Protokoll
Moderator Mischa Hedinger beginnt das Gespräch mit den „märchenhaften“ Fakten, die auf der Texttafel am Anfang des Films zu lesen sind, wonach es die Menschen seien, die von den Hunden auf Moskaus Straßen abhängig geworden seien. Für Co-Regisseurin Elsa Kremser stellt dieser Text ein „Konglomerat“ ihrer mehrjährigen Recherchen dar, präzisiert aber, dass sich dieser nicht auf mehr als einen Quadratkilometer irgendwo in Moskau bezieht, wo sie und Co-Regisseur Levin Peter von 2017 bis 2020 vier Jahre mit den anwesenden Hunden und Menschen verbrachten. Und da könne man tatsächlich von einer Art wilden Symbiose reden, wenn gemäß Legende Hunde einst nach einer Fabrikschließung erst nächtelang geheult und dann sich gegenseitig „zu zerfleischen“ begonnen hätten. Und zum Traum im Titel (und in der ersten Szene des Films) meint Peter auf Nachfrage von Hedinger, dass dieser auf den von ihnen gehegten Wunsch nach einem „Aufbrechen des Blicks“ verweist – wo dann auch „Dinge passieren, die eigentlich nicht passieren können“, und die Zuschauer:innen dann in einem Dokumentarfilm zum Beispiel eine klassische Autofahrt mit Rückprojektion zu sehen bekommen.
Allgemein sei es beim visuellen Konzept des Films (wie auch des Vorgängers „Space Dogs“) darum gegangen, „den Blick freizuschaufeln“ und „die menschlichen Konventionen aufzuheben“. Was im fast menschenfreien „Space Dogs“ erstaunlich gut funktionierte, wird jetzt hier, wo eine sehr prekär lebende menschliche Protagonistin namens Nadja im Vordergrund steht, eventuell ein wenig problematisch, aber dazu später mehr. Erst erfahren die Zuhörer:innen, dass es sich bei „Dreaming Dogs“ um eine Art Seitenfährte von „Space Dogs“ handelt: das Filmteam, (buchstäblich) auf Augenhöhe mit den Moskauer Nachfahren der Weltraumhündin Laika unterwegs, wurde vom Retriever-ähnlichen Dingo zu einer Gruppe von Menschen geführt, „an einen geheimen Ort“ irgendwo in Moskau, off the grid, die ihren Unterhalt hauptsächlich mit dem Sammeln und Verkaufen von Altmetall verdienten, und eben in dieser Fabrikruine in einer Art Symbiose mit Dingo und dessen Rudel lebten. Nachdem sie das Anfangsvertrauen von „Familienoberhaupt“ Nadja mit Komplimenten an Dingo erlangt hatten, sei ihnen, Levin und Peter, klar gewesen, dass sie diese Menschen porträtieren wollten, allerdings nicht in „Space Dogs“, wo solches – also Menschen – nicht reingepasst hätten.
Hedinger erkundigt sich, nachdem er feststellt, dass insbesondere das Ende viel offenlasse und Hunde ja „per se dokumentarisch“ seien, wie viel im Film inszeniert oder auch künstlich strukturiert ist, und welchen Einfluss die Präsenz der Kamera gehabt habe. Die Filmemacher:innen antworten, dass man mit der Protagonistin so gearbeitet habe, dass diese sich selber „spielte“, also ihr „wirkliches“ Leben, aber ohne den Anspruch, so etwas wie eine private Realität zu repräsentieren. Auch die Kamera, so Peter, sollte nicht „unsichtbar“ sein. Die Protagonistin musste mit dieser vertraut gemacht werden (und die Hunde sowieso), und sie habe schnell eine Art „Verständnis“ für diese und auch für ihre eigene „Rolle“ entwickelt. Sowieso seien sich die Filmemacher:innen stets bewusst gewesen, dass sie mit ihrer Präsenz – als Nicht-Russen, mit ihrem sozialen Status, mit der Technik – viel „auslösten“; dass also von einer neutralen oder gar unsichtbaren Beobachterposition nicht die Rede sein könne (und diese auch nicht vorgegeben werde). Ergänzt wird diese Aussage später mit einer Ausführung zur Kamera und den technischen Schwierigkeiten, die beim Vorhaben (Kremser: „wir wollten den Blick setzen“) entstehen, „auf der Augenhöhe der Hunde“ zu drehen. Die Kamera sollte „atmen“, mit dem Hund laufen, ohne zu sehr zu wackeln oder aber zu „schweben“.
Der typischen Frage danach, ob die Protagonist:innen den Film bereits sehen konnten, mussten sich Kremser und Peter beim eher ahumanen „Space Dogs“ noch nicht stellen. Bei „Dreaming Dogs“ öffnen sich diesbezüglich aber jetzt diverse Konfliktlinien, bei denen die Filmemacher:innen gar nicht erst behaupten, alle Antworten zu kennen. Nein, Nadja habe den Film noch nicht gesehen, auch kein Material während dem Dreh, mit Ausnahme von süßen Stills „ihres“ Hundes. Der Satz von Kremser, dass sie den Film auch gar nicht für ihre Protagonist:innen gemacht hätten (sondern für das Publikum), löst im bisher stillen Saal ein dezentes Raunen aus. Eine weitere Frage nach Entlohnung/Aufwandsentschädigung können sie zwar bejahen, aber auch da war die Sache nicht einfach, weil so etwas in Nadjas Fall auch kontraproduktiv sein könne. Nach eigener Aussage wolle diese ohnehin draußen leben, und zu viel Geld auf einmal hätte da eventuell auch negative Folgen. „Es war ein schwieriger Prozess.“ Ähnliches gilt eben auch für die Frage, ob man ihr den Film, der durchaus auch sehr persönliche und unangenehme Momente enthalte, bereits zeigen konnte.
Es sei ihnen, begründet Peter, nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine „nicht möglich gewesen“, mit dem Film nach Moskau zu reisen, und sie würden auch keine Person kennen, zu der das Vertrauen groß genug wäre, um sie nach Moskau zu Nadjas geheimen Aufenthaltsort schicken zu können. Zwar gehe es ihnen mit dieser Situation „nicht gut“, aber das sei halt „eine Konsequenz der Welt“. Auf den nicht ganz unberechtigten Einwand aus dem Publikum, dass Reisen nach Moskau ja nicht verboten seien, entgegnet Peter mit leicht unwirschem Ton, dass dies ihre Sache sei und er darüber nicht weiter diskutieren möchte. Es scheint ein wunder Punkt zu sein – des Films wie auch seiner Macher:innen — was diese aber auch nicht verhehlen. Auf eine weitere Publikumsfrage, ob sich ihr Blick auf das, was sie in Russland gedreht hatten, seit Kriegsausbruch verändert hätte, entgegnet Peter, dass sie sowieso erst mehrere Jahre gebraucht hätten, um das Material überhaupt „zu verstehen“. Nach Drehschluss kam erst Corona und zwei Jahre später noch der Krieg, und man habe sich sogar gefragt, ob das Material, „in dieser Zeit, in dieser Stadt entstanden“, nicht vergraben werden sollte. Mittlerweile sind daraus stattdessen zwei faszinierende Filme entstanden. Und auch wenn das Politische darin nicht im Vordergrund stehe, seien sie zumindest „doch ehrlich“.
Das Risiko, wenn man „alle Vorstellungen über Bord wirft“ und sich an Orte begibt, „wo man noch nicht war“, ist mitunter, – und so lässt sich die Stimmung am Ende des Gesprächs vielleicht charakterisieren –, dass nicht alle bereit sein werden, einen dahin zu begleiten.