Film

Tage
von Peter Schreiner
AT 2022 | 230 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 47
10.11.2023

Diskussion
Podium: Michael Pilz
Moderation: Mischa Hedinger
Protokoll: Ronny Günl

Synopse

Peter Schreiner leidet an Krebs. Mithilfe seiner Kunst macht er sich daran, der Krankheit etwas entgegenzusetzen: unverhohlen ausgesprochene Gedanken, Zwiegespräche mit seiner Vertrauten Maria. Die Schläge der Pendeluhr, das Surren der Bienen im Garten. Daneben auch Bilder des russischen Angriffskriegs. Tagebuchartig beobachtet er das Leben. Immer wieder auch sich selbst. Mal kraftvoll, mal erschöpft, erwidert er den Blick der Kamera. Die Zeit verrinnt, Peter Schreiner filmt weiter.

Protokoll

Die Kommission hätte bei der Sichtung sehr unterschiedliche Erfahrungen diskutiert; er biete ein sehr spezifisches Seherlebnis der Zeitlichkeit an, leitet Mischa Hedinger ins Gespräch ein. Stellenweise schien für ihn das Pathos des Films überwältigend, aber er suche dann wieder die Konfrontation mit konkreten Fragen. So hatte Hedinger den Eindruck, dass der Film ab seiner Hälfte weicher werde und an Tiefe zunehme, womit er auch die Frage an Michael Pilz richtet, wie er ihn nach seiner dritten Sichtung wahrnahm. Pilz war langjähriger Freund und Wegbegleiter des Regisseurs Peter Schreiner, der am 12. Juni 2023 verstarb.

Es falle Pilz nicht leicht, darüber zu sprechen, weil der Anlass erfordert, persönlich zu werden. Peter habe wenig über sich gesprochen, seine Filme arbeiteten sich aber immer daran ab, was ihn beschäftigte. Dies wäre schon seit seiner frühen Kindheit so gewesen, weshalb Pilz akzentuiert, diesen Film psychoanalytisch zu erschließen. Aus dem Publikum geht Christine Reeh-Peters, die sich als Filmphilosophin ausweist, indirekt darauf ein und fragt sich, wie viele wohl heute Nacht davon träumen würden, der Film hätte nämlich wegen seiner Länge eine unschätzbare Nachwirkung. Für sie wäre der Film in erster Linie ein Film über das Sterben. Eine weitere Teilnehmerin pflichtet bei, möchte aber auch zum Ausdruck bringen, der Regisseur hätte damit versucht sein Leben zu verlängern, was er auch bei der Differenzierung des Zeiterlebens zwischen Film und Realität selbst zum Thema mache. Hedinger begreift den Film allerdings auch als Stimme für das Leben, an dem sich Schreiner aller Hilflosigkeit zum Trotz festhalte, nicht zuletzt durch die strenge unnachgiebige Konzeption des Films. Auch der sanfte Humor lässt diesen Gedanken zu.

Über die Entstehung des Films verrät Pilz, Peter habe zunächst mit Zacharias an einem gemeinsamen Videoletter-Projekt gearbeitet, das jedoch nicht funktionierte und Schreiner zu einem eigenen Projekt bewog. Früher sei er ein gefragter Kameramann an der Wiener Filmakademie gewesen, weil er für seine formalstrenge Arbeit – betoniertes Stativ – bekannt gewesen wäre. Erst mit seinen letzten Filmen habe sich das verändert, aber er war stets verunsichert. Es ließe sich also als Versuch interpretieren, nochmal etwas zu riskieren. Dabei weist Pilz erneut auf eine psychoanalytische Betrachtung des Werks hin, nach dessen Deutung Hedinger bittet: In Schreiners Film habe sich immer ein großes Kontrollbedürfnis ausgedrückt. Das hat sich auch in den gemeinsamen Gesprächen bemerkbar gemacht, wo Schreiner oft seine Haltung demonstrieren wollte. Die Strenge hat sich ins Private verlagert. Wiewohl er ein liebevoller Mensch war, kannte Pilz seine bisweilen furchterregende Grobheit, Ernsthaftigkeit und Tragik. Schreiner pflegte zwar innige Freundschaften, konnte aber auch kriegerische Konflikte zwischenmenschlich führen, was eventuell mit seinem Elternhaus zusammenhing. Zeitlebens blieb er immer wieder allein, er hatte große Angst vor dem Krieg. Die Filmarbeit sollte so ausgleichen, was sich seinem Leben entzog. Als einer seiner Filme Mitte der 1990er Jahre in Rotterdam scheiterte, stürzte er in eine tiefe Krise, in der er sich vom Kino abwandte, Theologie studierte und Seelsorger wurde. Am Ende kam er aber mit der Einsicht zurück, dass die Korruption der Kirche noch schlimmer sei als beim Film. „Tage“ verkörpere so eine lange Geschichte des Abschieds, in der auch seine persönlichen Schattenseiten zur Geltung kommen.

Eine psychoanalytische Lesart sei laut Michael Baute durch den Film forciert, er kommt dabei auf die Todesszenen von Kurosawa, eingeschrieben in Schreiners Körper, zu sprechen und möchte mehr darüber erfahren, wie es dazu kam. Pilz entgegnet, dass sich Schreiner nie für Psychoanalyse interessiert hätte, es deute eher auf ein unbewusstes Motiv hin: Schreiner beschäftigte sich obsessiv mit Ingmar Bergman, dessen Werk gewisse Analogien zu ihm berge. Kurosawa wäre erst später dazu gekommen, möglicherweise aus ähnlichen Gründen.

In Erinnerung an einen Satz des Films, „Bilder wie Gemälde und Schnitte auf Leben und Tod“, thematisiert ein Teilnehmer das Privileg so zu arbeiten. Fern vom Geschwindigkeitszwang nehme sich der Autor eine große Freiheit, währenddessen Zacharias drastischere Mittel wählen muss. Da nicht unbedingt klar war, dass Schreiner den Film noch vor seinem Tod fertigstellte, entsteht eine Diskussion über sein Vorgehen. Auch wenn man den Eindruck bekommt, er hätte täglich im Sinne eines Tagebuches daran gearbeitet, weiß Pilz nur, dass dies allein in Zeiten möglich war, in denen es seine Gesundheit erlaubte. Hinsichtlich der Montage würdigt Baute den abgestimmten Einsatz, wodurch der Film dann doch wieder als ein Ganzes erscheine. Insofern will Reeh-Peters den Film vor allem als ein Manifest für die Zukunft verstanden wissen, das an die alte Hoffnung erinnere, mit dem Film den Tod zu überlisten. Dennoch bleibt im Film flüchtige Anspannung, die elegisch geronnen in einem erlösenden, aber doch auch einsamen Gefühl gipfelt: Es lässt sich vergessen, wie Wein schmeckt. Da reicht auch das Biografische nicht heran.