Film

Mâna care taie
von Alexandra Tatar
AT, RO 2022 | 32 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 47
9.11.2023

Diskussion
Podium: Alexandra Tatar
Moderation: Alexander Scholz
Protokoll: Eva Kirsch

Synopse

2020 auf einem Weingut im Wiener Umland: Hier arbeiten die Filmemacherin und ihre in Rumänien lebende Mutter als Erntehelferinnen, um gemeinsam die Pandemiezeit zu verbringen. Tagsüber tragen sie gelbe Gummihandschuhe, abends löffeln sie Suppe im Bett. Ob auf analogen Fotos oder bei Social Media: Die schneidende Hand der osteuropäischen Arbeitsmigrant:innen wird zum Gegenbild einer österreichischen Qualitätsweinidylle.

Protokoll

Das Klacken der Schere hallt noch in mir nach, als Alexander Scholz die Filmemacherin Alexandra Tatar auf dem Podium begrüßt. Scholz beschreibt die Scherengeräusche im Film als taktend und dabei zugleich restriktiv wie auch öffnend. Kurz rekapituliert er, welche Ebenen im Film zusammenkommen: die Szenen mit der Mutter während der Erntearbeit, die des Experimentierens mit Fotografien im Studio, die des Reflektierens im Nachhinein. Er möchte wissen, von welcher Ebene oder Praxis Tatar ausgegangen sei. Es habe viele Probleme im Entstehungsprozess gegeben, berichtet die Filmemacherin. Diese habe sie mit den unterschiedlichen Ebenen zu lösen versucht. Nach vorangehenden Erfahrungen als Erntehelferin wollte sie in der Pandemiezeit nicht bloß bei der Ernte arbeiten um ausgebeutet zu werden, sondern auch eine Videoarbeit währenddessen realisieren. Glücklicherweise erhielt sie für das Projekt nach der Erntezeit ein Stipendium, stand dann aber vor dem Problem nicht genug Material gedreht zu haben. Auch die Beschaffung einer spezifischen Ernteschere für das Projekt scheiterte. Daher stamme auch die Aggression im Umgang mit der Schere in „Mâna care taie“, ergänzt sie.

Scholz hakt ein und beschreibt die Schere im Film als gewaltvolles, metaphorisch aufgeladenes Instrument. Es komme das Gefühl auf, an der Schere „klebe etwas“. Die Wut der Filmemacherin sei spürbar. Anschließend fragt er nach, wie genau Tatar vorgegangen sei, um die bereits im ersten Drehzeitraum gefundenen Bilder zu rahmen. Tatar erläutert sie sei von dem ausgegangen, was bereits vorhanden war: Videoaufnahmen, Fotografien, Geschichten. Wie bei einem Puzzle oder dem Schreiben von Kurzgeschichten. Kurz kommt die Filmemacherin ins Stolpern, die Frage des Moderators habe sie nicht genau verstanden. War diese konzeptuell oder pragmatisch gemeint? Auch ich habe mich ehrlicherweise kurz in der umkreisenden Formulierung des Moderators verloren. Scholz reformuliert und die Filmemacherin setzt erneut an: Bis auf die eingeflochtenen Instagram-Videos fehle in ihrem Film der Akt des Arbeitens, gleichzeitig sei der repetitive Charakter von Arbeit sehr präsent. Sie wolle „das Ich als Verlängerung der Schere, die schneidet“ spürbar werden lassen. Die Scherengeräusche auf der Soundebene sollten an Moskitos erinnern. Insgesamt habe sie viel experimentiert, beispielsweise mit Einlegen der Fotografien in Wein. Der Arbeitsprozess sei eine lange Zeit des Aufreißens gewesen, die sehr von Wut geprägt war. Dabei habe sie melodisch komponierend gearbeitet.

Scholz merkt an, dass sich bei der diesjährigen Filmwoche einige Filme auf interessante Weise mit Fotos auseinandersetzen und die Möglichkeiten ihrer Betrachtung durch eine Kamera ausloten. Im Fall von „Mâna care taie“ empfinde er den Umgang mit den Fotografien als verunreinigend, die rigide Anordnung der Rebstöcke aufweichend. Er fragt, wie Tatar zu diesem Umgang mit den Bildern gekommen sei. Die Filmemacherin erklärt, sie sei eigentlich Malerin und habe diese Technik gelernt. Mit den Fotografien wollte sie malen und collagieren. „Ich bin auch nicht die große Sprecherin“ hängt sie an, woraufhin verhaltenes Lachen aus dem Saal ertönt. Der Versuch einer darauffolgenden Publikumsöffnung läuft zunächst ins Leere, das Gespräch schreitet fort.

Im Film würde sichtbar, wie die Arbeit der Protagonistinnen auch die Zeit abseits der Dienstzeit forme, so der Moderator. Die Filmemacherin erzählt, sie habe anfangs tiefgehende Gespräche mit ihrer Mutter erwartet und wäre beim Sichten der Aufnahmen zunächst enttäuscht worden. Die Gespräche der beiden kreisten ausschließlich um ihre Arbeit sowie um pragmatische Fragen der Alltagsbewältigung. Tatar habe dann realisiert, dass es genau darum ginge: den Umgang mit der Arbeitssituation. Obgleich die Erntearbeit im Film bis auf kurze Fragmente eines Instagram-Videos unsichtbar bleibt, wird sie umso präziser indirekt in allen zwischenmenschlichen Beziehungen verhandelt. „Our life in this time is just work“, wie schon das Voiceover festhält.

Auf das Verhältnis zwischen ausbeuterischer Arbeit am Weinberg und eigener künstlerischer Arbeit angesprochen, berichtet Tatar von den Dreharbeiten einer Szene, in der es sich für sie komisch anfühlte, schlussendlich als Spaziergängerin im Weinanbaugebiet zu sein. Zu ihrer Arbeitspraxis ausholend bemerkt sie, den Film ursprünglich eher im Galeriekontext verortet zu haben, in der Filmfestivalwelt sei sie neu. Scholz spricht kurz von Kommissionsgesprächen zu einer möglichen Kontextverschiebung des Films, konstatiert jedoch, dass „Mâna care taie“ gerade in seiner Grobkörnigkeit sehr gut im Kino aufgehoben sei. Ich frage mich, warum das Gespräch von Zeit zu Zeit stockt. Treffen hier zwei verschiedene Sprechweisen aufeinander? Hat die Dynamik etwas mit den Differenzen der Diskursäume „bildende Kunst“ und „Film(festival)“ zutun? Kann eventuell keine Kontextverschiebung des Films, dafür aber eine Kontextverschiebung des Sprechens beobachtet werden?

Die Hand, die schneidet, die Hand, die filmt: Mit einem Rückgriff auf zuvor Angesprochenes meldet sich Alex Gerbaulet zu Wort. Sie sehe zwei Klassen von Arbeit: die im Atelier und die auf dem Feld. Ihren Beobachtungen zufolge verbleibe die Arbeit im Körper der Filmemacherin, auch wenn sie die Weinanbaulandschaft verlässt. Sie möchte wissen, wie sich der Wechsel zwischen den beiden Arbeitssphären gestaltete. Der Klassenwechsel spiele eine Rolle, antwortet Tatar. Sie würde neue Sphären gerne betreten, wenn sie könne. Auch sei dieser Film ihre Chance, nach zehn Jahren Aufenthalt in Österreich endlich Zutritt zur bourgeoisen Kunstwelt zu erhalten.

Bei dem Begriff „bourgeois“ knüpft Scholz an: Er fragt, ob es Tatars Idee war, der bourgeoisen Vorstellung dieser Weinanbauregion und den davon existierenden Bildern andere Bilder entgegenzusetzen. „That would be too big of a challenge“ entgegnet Tatar. Sie habe keine dezidierten Ziele mit ihrer Arbeit, der Film entspringe eher einer persönlichen Reaktion.

Auch Therese Koppe steigt in das Gespräch ein und knüpft an vorausgegangene Gedanken zu Gegenbildern an. In ihrer Seherfahrung seien diese durch Tatars Arbeit mit den Fotografien entstanden. Der über die Bilder schwappende Wein schreibe sich in die Fotografien ein. Koppe fährt fort: Die Filmemacherin arbeite mit ihren Händen gegen „glossy images“. Sie gebe den Fotografien dadurch eine andere Materialität, die ihre Wut spürbar werden lasse.

Eine weitere Stimme aus dem Publikum spricht von der produktiven Enttäuschung des Films in seiner Verweigerung von Bildern der Weinbergidylle. Sinngemäß: „Danke, dass du mich damit genervt hast und danke für deine Wut!“ Das Publikum applaudiert und Michelle Koch konstatiert abschließend: Der Glaube, Weinberge hätten etwas mit Natur zu tun, sei entlarvend. „Mâna care taie“ mache die dahintersteckenden Arbeitsstrukturen sichtbar.