Extra

Verschwindende Arbeit, veränderte Struktur. Über neue Bilder des Wandels

Duisburger Filmwoche 45
11.11.2021

Podium: Ulrike Franke (Filmemacherin), Michael Loeken (Filmemacher), Britt Beyer (Filmemacherin)
Moderation: Matthias Dell
Protokoll: Marius Hrdy

Hinsehen, wenn Arbeit verschwindet, Selbstwert und Jobs neu verteilt werden. Filme über „Strukturwandel“ haben bei der Filmwoche eine lange Tradition: Wie wirken dokumentarische Traditionen in aktuellen Produktionen fort? Wo stehen Dokumentarfilmer:innen, wenn sie heute etwa im Ruhrgebiet oder in der Lausitz andauernde und jüngere Veränderungsprozesse beschreiben – und wie stehen ihnen ihre Protagonist:innen gegenüber? Matthias Dell spricht mit Ulrike Franke und Michael Loeken sowie mit Britt Beyer über Involvierung und Distanz, über einen sich verändernden Wandel und alte Gewissheiten in neuen Kontexten. Wir interessieren uns für ihre Dreh- und Rechercheerfahrungen und fragen: Was wird in der Abwicklung sichtbar?

Protokoll

Das Reden über Arbeit durch die Arbeit der Autor*innen selbst hat Tradition auf der Duisburger Filmwoche – so führen Alexander Scholz und Redakteur Udo Bremer von 3Sat das gemeinsam initiierte Werkstattgespräch ein und übergeben daraufhin an Moderator Matthias Dell. Dieser zieht das Gespräch – unter dem selbsternannten thematischen Zuschnitt „Strukturwandel und wie er sich in deren Arbeiten abbildet“ – dann ebenso an den eigenen filmischen Traditionen der Panelist*innen auf. Ulrike Franke und Michael Loeken, deren 15 Jahre und vier Filme erstreckende Recherche sich mit dem Strukturwandel im Ruhrgebiet auseinandersetzt, zeigen heuer ihren ersten außerhalb Deutschlands gedrehten Film „We Are All Detroit“ (2021) auf der Filmwoche. Britta Beyer spricht über ihr in Fertigstellung begriffenes Projekt „Auf der Kippe“ zur Stillegung eines Lausitzer Braunkohletagebaus.

Dell setzt intensiv auf Filmausschnitte, um Themenstränge herauszuarbeiten. Anfangs werden dabei vor allem die Faktoren (Arbeits-)Zeit und das einhergehende Verschwinden von Identität mit dem Verlust von Arbeit in der Schwerindustrie hervorgehoben. In „Losers and Winners“ (2006) spricht ein Kokerei-Arbeiter stolz über die wenigen Krankentage, die er in 38 ½ Jahren angehäuft hat, aber auch über die Ungewissheit was er mit all der Zeit anfangen soll, nachdem sein Werk nun schließen muss. „Arbeit gehört nun Mal zum Leben“, sagt er. In Beyers „Auf der Kippe“ schwärmt eine Geräteführerin nach 38 Dienstjahren von dem Genuß, jeder Sekunde „auf Arbeit“ zu sein. Dell fragt weiter nach den Bezugspunkten zu Arbeit früher und was sich verändert hat: Beyer erklärt sich das im Falle der Lausitz mit der Biographie der Region, die von Wandel zu Wandel hetzt. Strukturwandelgelder mischen die wirtschaftliche Ordnung der Region auf – Infrastruktur, Forschung und Tourismus finden und nicht mehr allein für den Kohleabbau eingesetzt werden. Für Loeken und Franke ist der Strukturwandel auch Testament physischer Geschichte: wie in „Losers and Winners“ die eigene Kokerei abbauen, die Maschinen nach China verschicken, den Prozess des Verschwindens des Arbeitsplatzes und damit der Arbeit selbst beschreibt, der auch im Weiterdenken die Veränderung der Geopolitik abbildet. Dieses immer wieder ansetzen und in der eigenen, bekannten Gegend nach Geschichten suchen, den sich wandelnden Gewissheiten nachzuspüren, Fragen anszustoßen aber kein Ende zu suchen, ist auch der erste Rastpunkt in der Diskussion. Während in Loeken und Frankes Arbeiten Protagonist*innen im eigenen Interesse füreinander ergeben, mehr emotional und weniger analytisch, stellt sich Beyer die Frage woher die AfD-Wähler*innen in der Lausitz kommen.

Eine interessanter Diskussionstrang entspinnt sich dann zur Frage des Zugangs zu den jeweiligen Protagonist*innen und im Speziellen der Veränderung des Bewußtseins zum Recht am eigenen Bild, bei denen die Filmemacher*innen von ihren Erfahrungen berichten. Während es vielleicht in den 90ern noch weniger Rechtefreistellungen von mitgefilmten Personen gab, müssten diese heute oft in einzelnen Szenen entweder entfremdet oder die Szene ganz geschnitten werden. Das erschwere die dokumentarische Arbeit. Für mich weiter gedacht ergibt das dann auch eine ironische Wechselwirkung: mit dem Verlust der öffentlichen Identität durch Arbeit kommt die Absicherung des Privaten. In eine ähnliche Kerbe schlägt dann auch der Ausschnitt von Loeken/Frankes „Göttliche Lage“ (2014), der die Stadtentwicklung eines ehemaligen Stahlwerksgeländes in Dortmund zum Wohnraumprojekt beschreibt. Dabei wird nicht nur die Umformung eines Stadtbildes offenbar, sondern die Umformung von Sprache über Arbeit gleich selbst: in einer Szene will ein Immobilienentwickler die „alte Semiotik“ verändern und den „schmutzigen Hidden Champion“ Dortmund saubermachen, ihn statt gewöhnlich braun nun verheißungsvoll ungewöhnlich bunt erscheinen lassen. Dell legt mit einer treffenden Beobachtung nach, wenn er dann sagt: „Image-Gelaber das hineinsoll in einen Körper, der dafür nicht gemacht ist.“

Die Publikumsfragen danach halten sich auch recht sparsam, was vielleicht an der ambitionierten Fülle an vorgezeigten Bewegtbildern liegt, jedoch lenkt gegen Ende die Diskussion doch noch auf einen Ausblick, wie sich auch das Filmemachen in diesem Wandel orientieren könnte, da mit den verwischten traditionellen Kampflinien, so Bremer dann aus dem Publikum, sich auch die Position des/der Filmemachers/in verändert. Loeken/Franke und Beyer betonen gemeinsam, daß man auf die Alternativen nun genauer hinsehen muss, den Umstieg gerecht zu gestalten und zu beobachten, was genau nun die „alte“ Arbeit ablöst.

In der Schlußrunde ergibt sich dann doch noch als Antwort auf ein Songzitat von Elektrotechniker Lars ein gleichsames Schlußwort: „Gib uns Zukunft“ – „Wer soll sie uns geben? Wir müssen es machen!“

 Foto: Thomas Berns
Foto: Thomas Berns