Synopse
Ein Frauenmörder in einem Gefängnis. Er möchte nicht erkannt werden. Eine Handpuppe nimmt seinen Platz ein. Doch die Bebilderung und Erzählung des Bösen ist fragil und bringt nicht nur die Puppenspielerinnen an ihre Grenzen. Wie stellen wir uns einen Menschen vor, der getötet hat? Wie viel Empathie verdient er und vertragen wir? Ein Projekt der Beunruhigung – über die Erklärbarkeit einer Tat und die Resozialisierbarkeit eines Täters.
Protokoll
Auf dem Weg vom Kino zum Diskussionssaal murmelnde Vorfreude. Das könnte mal wieder was werden. Ein Comeback der Duisburger Streitkultur. Denn, so verbreitete sich das Gerücht durch den hektisch ausgeatmeten Zigarettenqualm: Viele hielten den Film nicht nur für eine Anmaßung, sondern für eine Zumutung. Wer die kurze Zündschnur von Stefan Kolbe kennt, weiß, was passiert, wenn das Feedback allzu negativ ausfällt. Bang Boom Bang. Kippe aus jetzt und los.
„Anmaßung“ ist der sechste Film von Kolbe und Wright in Duisburg. Die Beiden sind der unbequeme Sessel im Wohnzimmer der Filmwoche. Irgendwie cool, aber länger drauf sitzen will niemand. Ihre Protagonist:innen sind Ausrangierte und Abservierte, deren Verlorenheit wie ein kalter Winterhauch von der Leinwand weht. Auch S., die Hauptfigur im neuen Film, ist verloren, in sich und in der Gesellschaft – aber: Er ist kein Opfer von Gewalt wie die Protagonist:innen davor, sondern ein Täter. Er hat eine Frau umgebracht.
Ausgerechnet nun dieser Film über einen Frauenmörder ist das bisher verschwenderischste und virtuoseste Werk der Berliner Filmemacher. Sie seien ausgebrannt gewesen und brauchten eine Supervision ihrer dokumentarischen Methode, für die Matthias Dell einmal das Label „Nahfilm“ erfunden hat. „Wir fragten uns, was macht die Nähe mit uns“, sagte Chris Wright, der eine Protagonistin aus ihrer Arbeit Pfarrer (2014) geheiratet hat. „So konnten wir nicht weitermachen.“
In „Anmaßung“ türmen sie Schicht über Schicht, verknüpfen die Erzählung über S. mit der Erzählung über sich selbst und verbinden Reenactments durch eine Puppe mit Reflexionen der Puppenspielerinnen. Nichts ist kongruent, aber alles fügt sich ineinander. Die Bildebene ist geprägt von Suchbewegungen der Kamera, die Lebens- und Tatorte abtastet, begleitet von schabenden, dissonanten Sounds. Einen „merkwürdigen Schauder-Modus“, machte Moderator Jan Künemund darin aus. „Ihr bedient damit eine True-Crime-Ästhetik.“ Dies sei, antwortete Stefan Kolbe, nichts anderes als eine Übersetzung des Zustandes, in dem sie sich während der Recherchen und Dreharbeiten befunden hätten. „Man versucht, sich etwas vorzustellen – sich ein Bild zu machen.“ Klassische True-Crime-Plots versuchten, über Schlüsserlebnisse, insbesondere in der Kindheit, eine Tat zu erklären. Auch in Gerichtsurteilen seien keinerlei Ambivalenzen vorhanden. Es ginge, so Kolbe, darum, die Gesellschaft mit der Behauptung von der Erklärbarkeit der Tat und der Resozialisierbarkeit des Täters in Sicherheit zu wiegen. „Anmaßung“ setzt dieser Sicherheit eine fragile Beunruhigung entgegen.
Nach einer guten halben Stunde meldete sich die kritische Fraktion zu Wort. Warum, fragte Eva Königshausen, sei ihnen der Suspense so wichtig, und bezog sich damit auf die Entscheidung der Regisseure, die Beschreibung des Mordes und grausame Details aus der Urteilsbegründung dramaturgisch wirkungsvoll im letzten Drittel des Films zu platzieren. „Habt ihr euch selber noch nicht genug gegruselt?“ Chris Wright argumentierte wenig überzeugend, sie wollten die True-Crime-Methode karikieren. Später schob er nach, ihnen sei es darum gegangen, Stefan nicht vorzuverurteilen. „Trotzdem mussten wir manche Dinge beim Namen nennen, und die Frage war: Wann im Film tun wir das?“
„Aufgewühlt“ und „angewidert“ zeigte sich Felix Grimm. „Eure Anmaßung ist euch gelungen.“ Der Film sei ein Film über Kolbes und Wrights eigenes Scheitern. „Was ihr da macht, geht einfach nicht!“ Stefan Kolbe schoss giftig zurück: „Wir finden die Geschichte sexy, dass die Täter nicht wie in den USA einfach weggesperrt werden.“ Doch in den ganzen aufwendigen Therapieprogrammen würden meist „Pseudoantworten auf das Warum“ geliefert. Zumal er sich oft gefragt habe, wer in solchen Einrichtungen den größeren Therapiebedarf habe: der Täter oder der Therapeut. „Kein karriereorientierter Therapeut geht in den Knast.“
Eine andere Diskutantin sprang den Filmmachern mit einer etwas differenzierteren Diagnose zur Hilfe. „Anmaßung“ sei ein Film über Hilflosigkeit, „unsere Hilflosigkeit“. „Er ist ein Versuch, an Orten etwas abzulesen, wo nichts ablesbar ist.“ Damit kehrte die Diskussion wieder an ihren Anfang zurück. „Der Start ist die Ohnmacht“, hatte Stefan Kolbe dort gesagt. „Ich habe an S. immer als Opfer festgehalten und bei ihm den Täter rausgerechnet. Darin ist „Anmaßung“ vielleicht tatsächlich eine Fortschreibung unserer bisherigen Arbeit.“