Film

Die Tochter von …
von Joakim Demmer, Verena Kuri
DE 2019 | 29 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 43
07.11.2019

Diskussion
Podium: Joakim Demmer, Chiara Minchio (Co-Autor)
Moderation: Bettina Braun
Protokoll: Laura Reichwald

Synopse

„Ich will nicht mehr dasselbe sagen. Es immer wiederholen.“ Micaela will endlich selbstständig, statt durch das öffentliche Schicksal ihrer Familie bestimmt sein. Die Mutter der 19-Jährigen wurde 2002 entführt, ihre Großmutter zur entschiedenen Aktivistin gegen die Verschleppung von Frauen in Argentinien. Seit sie studiert, lebt Micaela erstmals unter Freunden statt mit Personenschutz. Zusammen finden die Frauen ein neues Vokabular feministischen Protests.

Protokoll

Beim Versuch, die nachmittägliche Filmdiskussion zu umkreisen, kommt man an dem in den Raum geworfenen Begriff des „Reputationsmanagements“ nicht vorbei.

Im Film geht es um die Tochter von Marita Verón, Tochter von Susana Trimarco. Susana Trimarco gilt als eine Legende in Lateinamerika für ihren Kampf gegen Menschen- und insbesondere Frauenhandel, dem ihre Tochter vermutlich zum Opfer fiel. Dieser Kampf wurde auch medial ausgefochten. Eine Hauptfigur – Micaela. Die Enkelin von Susana Trimarco.

Auch der Rechercheweg der drei FilmemacherInnen führte über diese Vergangenheit zu Micaela, deren Lebensgeschichte von den Medien begleitet und gewissermaßen definiert wurde. Was gibt es diesem Bild heute hinzuzufügen? Das ist für die FilmemacherInnen vor allem ein Perspektivwechsel: Micaela soll aus der Opferperspektive enthoben werden. Und für die Protagonistin scheint es der Wunsch zu sein, sich über die Gegenwart zu definieren. Ob diese beiden Vorstellungen zusammenfinden, darüber wird während der Diskussion immer wieder debattiert.

In welchen Szenen und Räumen könnte sie sich also neu definieren? Für die FilmemacherInnen vor allem, indem sie sich selbst „in Szene setzt“ und ihr eigenes Narrativ findet. Alle Szenen wurden von ihr ausgesucht, bestimmt, wie und was gesagt wird und was wie aussieht. Sie habe ein gutes Gespür gehabt, wann sie authentisch sei. Wenn es nicht stimmte, habe sie abgebrochen, wurde das Material weggeworfen oder gar nicht erst gedreht. Anders wäre der Film auch nicht möglich gewesen, da die Protagonistin die Kontrolle über ihr Bild behalten wollte. Auch die Frage, ob beispielsweise die Großmutter vorkommen könne, wurde von ihr vehement verneint: Es sei ihr Film.

Ob sie wirklich die Kontrolle mit-übernimmt, das scheint einigen Stimmen im Raum fraglich: Denn die Transparenz, die der Film über seinen Schaffensprozess vielleicht in einigen Szenen hat, wird in vielen Momenten filmisch überspielt. Worte wie „das Bild nagelt fest oder ästhetisiert sie“ stehen im Raum.

Als wen lernen wir die heutige Micaela im Film also kennen, fernab der aufgegriffenen Vergangenheit? Als junge, gutaussehende Frau, die gerne in die Natur geht, einen Hund hat und sich gesellschaftlich engagiert. Eine Frau, die versucht, ihre eigene Identität herauszuarbeiten. Eine Frau der zwei Gesichter: die in sich implodiert, wenn sie schlecht drauf ist, und stark wirkt, wenn sie gut drauf sei, so die FilmemacherInnen. Mit nahen Einstellungen, Off-Texten und Musik hätte man versucht, das in der Montage herauszuarbeiten. Das Fragile und das Gefühl von Verlust in den Fokus zu nehmen, anstatt die Informationen über ihr Leben.

Ist dieses neue Bild authentischer? Es scheint jedenfalls ständig im Spannungsverhältnis zwischen Fremdinszenierung und Selbstinszenierung zu stehen. Das liegt auch an der Konstellation aus drei FilmemacherInnen und der Protagonistin, die irgendwie auch ihre eigene Autorin ist. Da treffen viele Einflüsse aufeinander, die Widersprüche auslösen. Und Zweifel, ergänzen die FilmemacherInnen, denn man frage sich doch öfters: Wie machen wir das jetzt? Stimmt das jetzt? Es sei aber unmöglich eine Geschichte zu erzählen ohne diese Zweifel. Die Geschichte ist angreifbar, da gibt es Widersprüche, die so im Leben eben vorkämen.

Vorwerfen, so Stimmen aus dem Publikum, könne man dem Film aber doch, dass er wieder auf ihrer Vergangenheit fußt, auf dem Fehlen der Mutter und sie medial wieder präsent mache: Etwas von dem sie sich eigentlich lösen wollte. Eine Kreisbewegung, die wieder in die Vergangenheit führt.

Eine Szene bricht im Sinne der Kreisbewegung dann doch in die Gegenwart aus: das Callcenter. Es führt den ZuschauerInnen vor Augen, wie präsent und akut auch heute dieser Kampf gegen Frauenhandel noch ist. Man sehe zwar vorher die Proteste und das gesellschaftliche Engagement, doch im Callcenter bekommt man ein Gefühl für die Dringlichkeit. Die Szene, auch wenn sie abgesetzt wirkt, sei bewusst gesetzt, um die Struktur hinter dem Menschenhandel sichtbar zu machen, welche heute noch existiert. Damit wird Micaelas individuelle Geschichte als „Die Tochter von“ zu einer gesellschaftlichen „Der Töchter von“.