Film

Bewegungen eines nahen Bergs
von Sebastian Brameshuber
AT/FR 2019 | 85 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 43
07.11.2019

Diskussion
Podium: Sebastian Brameshuber
Moderation: Luc Schaedler
Protokoll: Eva Königshofen

Synopse

Am Fuße eines steirischen Berges sprühen Funken. Früher gab es hier Minen und Mythen, heute Cliffords Werkstatt. Dort schweißt und schätzt er: Welche Autos verkauft er über die nahe Grenze nach Ungarn, welche Teile über ferne Grenzen in seine nigerianische Heimat? Clifford führt unnachgiebige Verhandlungen über Sprachbarrieren hinweg, bewegt sich stets umtriebig im Hinterhof eines weltweiten Handelssystems. Ein selbstgelernter Mechaniker des eigenen Schicksals.

Protokoll

Bewegungen eines nahen Bergs spielt fast gänzlich in einer Werkstatt, einem alten Hangar, in der Clifford Agu – Cliff – ganz alleine Autos zerlegt. Er verkauft alles Brauchbare in weniger privilegierte Wirtschaftsräume, nach Osteuropa oder nach Nigeria, das Land, aus dem er kommt. Den Schauplatz des Films habe Brameshuber während der Dreharbeiten zu seinem Film Und in der Mitte, da sind wir (2014) entdeckt, wird der Regisseur im Verlauf des Gesprächs verraten. Die Steiermark sei der „rust belt“ Österreichs, „also gewissermaßen der Ruhrpott“, in dem mittlerweile aber kaum noch Erz abgebaut würde. Durch die Dreharbeiten an seinem vorherigen Film habe er Cliff und seine Kund*innen und auch die beiden anderen Personen, die sporadisch in der Werkstatt arbeiteten, über einen langen Zeitraum hinweg kennen gelernt. Zudem habe die langwierige Finanzierung des Films für sich gehabt, dass er immer wieder an den Ort gefahren sei. Cliff habe sehr schnell eingewilligt, einen Film zu drehen; zu Beginn der Dreharbeiten habe es aber dann doch erst einmal Misstrauen in die Kamera gegeben.

Er sei fasziniert davon gewesen, wie Cliff sich diesen Ort angeeignet habe, so Brameshuber, der auf sein Bühnenbild-Studium und sein daraus resultierendes Interesse an „Bühnenbildern des Alltags“ verweist. Luc Schaedler bestätigt, auch er habe beim Schauen des Films aufgrund der Montage an ein Bühnenstück denken müssen. Besonders habe ihm dabei gefallen, wie die Kamera erst nach und nach den Zuschauer*innen Cliffs Lebens- und Arbeitsraum eröffne. Brameshuber bejaht, er habe einen Umgang mit der eigenen Zeitlichkeit des Ortes, aber auch von Cliff, finden wollen. Auch, weil er im Zusammenhang des Filmes sehr viel über Rohstoffe und ihre Zirkulation nachgedacht habe, und dass die Rohstoffe von Film per se Zeit und Raum seien. Auch deshalb habe er sich für den intensiven Einsatz von Handkamera entschieden, und damit für „komplexere Bilder als die sehr statische österreichische Kamera“. Schaedler bemerkt, er habe den Eindruck gehabt, dass, je mehr man den Protagonisten des Filmes kennen lerne, umso freier würde der Raum um die Kamera. „Jein“, das sei keine intentionale Entwicklung der Kamera gewesen, entgegnet Brameshuber, es sei vermutlich spürbar, dass er mit zwei Kameraleuten gearbeitet habe.

Schaedler benennt eine weitere Auffälligkeit des Films: den Mythos, eine Erzählung, die zu Beginn des Filmes steht und an zwei weiteren Stellen in einem von Cliff in unterschiedlichen Sprachen eingesprochenen Voiceover hörbar wird. Am Mythos vom Wassermann, der den Erzberg verschenkt hat, interessiere ihn besonders die orale Tradition der Geschichte, die verschiedenen Versionen, in denen sie existiere, sagt Brameshuber. Zudem sei das Versprechen des immerwährenden Eisens, vom „goldenen Fuß, silbernen Herzen und eisernen Hut“, wie sich im Film zeige, eben nicht nur als Geschenk sondern auch als Bürde zu verstehen.

Das Publikum scheint den Film sehr zu mögen und, klar, genau hingesehen zu haben: Die spezifischen Nachfragen beziehen sich auf das Verhältnis von Bild und Ton (Grundidee sei dabei das Recycling von Tönen von bereits aufgenommenem Material gewesen, auch hier das Interesse an Verwertungsketten). Und Alex Gerbaulet bemerkt, sie habe das „Bühnenstück“ als Science-Fiction gelesen, als wäre Cliff der letzte Mensch auf Erden, der im Schutt der Menschheit grabe, und spricht von einem „materialistischen Anthropozänbezug“. Eine weitere Person im Publikum sieht eine direkte Verbindung zum Thema der diesjährigen Filmwoche „Wer erstickt, wo wir atmen?“, der Film zeige eine Existenz am Rande der globalen Verwertungskette. Ja, aber die Figur sei komplexer als das, antwortet Brameshuber, man vermute Clifford in der Werkstatt zu Hause, aber er sei ja zum Arbeiten dort und wolle dort sein Geld verdienen, auch er sei nicht frei von den Versprechen auf eine bessere Zukunft.

 © Duisburger Filmwoche, Foto: Simon Bierwald
© Duisburger Filmwoche, Foto: Simon Bierwald