Film

Draußen
von Johanna Sunder-Plassmann, Tama Tobias-Macht
DE 2018 | 80 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 42
06.11.2018

Diskussion
Podium: Johanna Sunder-Plassmann, Tama Tobias-Macht
Moderation: Henrike Meyer
Protokoll: Franya Barth

Synopse

Matze, Elvis, Peter und Sergio leben draußen. Ihre Geschichten sind bewegt, ihr Besitz ist in beständiger Ordnung arrangiert: als Galerie spärlicher Habseligkeiten jeweils Inventar eines individuellen Abseits. Devotionalien nicht eines Mangels, sondern vertrauter Regelmäßig- und Notwendigkeiten im Freien.

Protokoll

Die Kölner Regisseurinnen Johanna Sunder-Plassmann und Tama Tobias-Macht präsentieren mit DRAUSSEN ihren ersten gemeinsamen Langfilm auf der 42. Duisburger Filmwoche. Im Mittelpunkt des Films stehen die vier Protagonisten Elvis, Sergio, Peter und Matze, die ihr Leben in der Obdachlosigkeit verbringen. Die Narration des Films entspinnt sich dabei aus der Beschäftigung mit den persönlichen (Alltags-)Gegenständen der Portraitierten. Dafür wählten die Filmemacherinnen eine hybride Strategie aus eher klassischen, narrativen Interviewszenen bei Tageslicht und nächtlichen, stark inszenierten Aufnahmen der improvisierten Wohnorte, in denen die einzelnen Gegenstände – von den Filmemacherinnen selbst aufwendig drapiert – im Laufe des Films zu einer Art „Tableau Vivant“ zusammengefügt werden.

Zu Beginn der Podiumsdiskussion würdigt Moderatorin Henrike Meyer die besondere Vertrautheit zu den Portraitierten, die sich ihrem Eindruck nach in der Intimität der Erzählungen widerspiegele. Wichtige Voraussetzung dafür, so die Regisseurinnen, war eine lange und intensive Recherche- und Vorbereitungsphase, die den eigentlichen Filmarbeiten vorausging. Etwa ein Jahr lang begleiteten sie bereits drei der Protagonisten ohne Kamera, führten intensive Gespräche und konnten auf diese Weise nach und nach das Vertrauen zu ihnen aufbauen. Diese langfristige Vorbereitung ermöglichte es auch, die konkreten Filmarbeiten zu fokussieren und auf etwa 16 Drehtage zu reduzieren. Diese Reduktion war den Autorinnen wichtig, da die Dreharbeiten aufgrund der Inszenierungen mit großem technischen und personellen Aufwand verbunden waren und sie deshalb ihr zeitliches Eingreifen in den Alltag der Menschen möglichst gering halten wollten.

Auf Meyers Nachfrage, wann genau es zu der Entscheidung kam, die persönlichen Gegenstände der Protagonisten in den Vordergrund zu stellen, äußert Sunder-Plassmann, dass von Anfang an die Frage danach im Vordergrund stand, was man eigentlich besitzt, wenn man auf der Straße wohnt, beziehungsweise ob man überhaupt etwas besitzt. Diese Gegenstände sind oft die Dinge, die für uns im Verborgenen bleiben. Während aus einigen von ihnen eine vertraute Alltäglichkeit spricht, haben andere für die Protagonisten eine emotionale Bedeutung und erzählen auch von einem Leben vor der Obdachlosigkeit. Damit, so Tobias-Macht, wollten sie auch ein Gegenbild zu den gängigen medialisierten Stereotypen entwerfen, die sich oft auf das Moment der Differenzierung, beziehungsweise der Abweichung von der Norm konzentrierten und stattdessen den Fokus auf etwas richten, zu dem jeder Mensch einen persönlichen Zugang hat. Sie wollten nicht den Alltag der Menschen dokumentieren, sondern vielmehr die Gegenstände durch die Protagonisten sprechen lassen.

Einer der Zuschauer weist in diesem Zusammenhang kritisch darauf hin, dass in der Gegenüberstellung der jeweiligen Gegenstände in dieser expliziten Form auch ein Werturteil über die Personen implizit werden kann. Während bei Elvis ein Großteil der Gegenstände aus Fan-Artikeln, Elvis-CDs und privaten Fotografien besteht, dominiert bei Peter und Sergio neben Bauchtasche und Badeschlappen das Drogenbesteck. Den Filmemacherinnen war es jedoch wichtig, die Dinge möglichst unkommentiert und in erster Linie als alltägliche Objekte in einem hierarchielosen Nebeneinander darzustellen. Sie betonten außerdem, dass es von Seiten der Protagonisten keine Einwände bezüglich dieser Darstellung gab.

Ein anderer Zuschauer äußert seine Kritik gegenüber der Auswahl der vier ausschließlich männlichen Protagonisten mit der Begründung, dass sich hier erneut das Bild des „einsamen Mannes, der auf der Straße lebt“ manifestiere. Sunder-Plassmann und Tobias-Macht verweisen diesbezüglich auf die Problematik, dass Obdachlosigkeit bei Frauen oft mit anderen Bedingungen einhergehe und mehr Zwischenformen aufweise. Oft begeben sich Frauen in solchen Situationen in die so genannte „Wohnungsprostitution“, weshalb nur sehr wenige von ihnen tatsächlich „langzeitobdachlos“ sind. Diese „Langzeitobdachlosigkeit“ war jedoch ein wichtiges Auswahlkriterium im Hinblick auf die Beschäftigung mit dem Wohnraum, beziehungsweise den persönlichen Gegenständen der Portraitierten.

Das größte Diskussionspotenzial des Films offenbart sich im Laufe des Gesprächs über die Inszenierungen der improvisierten Wohnräume. Meyer zeigt sich zum einen irritiert darüber, dass hier überhaupt mit Inszenierung gearbeitet wurde und zum anderen, dass die Protagonisten selbst zum Bestandteil dieser „Tableaux Vivants“ gemacht wurden – entgegen der Idee eines klassischen Stilllebens, in dem lediglich Objekte inszeniert werden. Die Regisseurinnen erläutern daraufhin, dass sie im Vorfeld beide Varianten ausprobiert hätten und die Entscheidung letztlich aufgrund der Bildwirkung so ausgefallen sei. Ohne die Protagonisten, so Sunder-Plassmann, drängten sich Fragen über deren Abwesenheit auf: Ist ihnen etwas zugestoßen? Sind sie nicht mehr da? Darüber hinaus wirke die Inszenierung ihrer Meinung nach auf diese Weise natürlicher, da die Protagonisten während des Aufbauprozesses und der Dreharbeiten stets anwesend und mit dem gestalteten Gesamtbild vertraut waren.

Die grundlegende Idee der inszenierten Tableaus entlehnten die Autorinnen aus dem musealen Kontext. So betont Tobias-Macht die Assoziation zu Ausstellungsobjekten in Vitrinen, die ebenso mithilfe von Lichtführung und gestalterischer Anordnung inszeniert werden, um die Aufmerksamkeit der Betrachter auf einen spezifischen Sachverhalt zu lenken. Von Seiten des Publikums wurde diese Form der „Schaukastenästhtetik“ stark kritisiert. Diese führe dazu, dass die Protagonisten innerhalb des Bildes erstarren und lediglich in der geschaffenen Schauanordnung existierten. Sunder-Plassmann macht daraufhin deutlich, dass sie sich des Balance-Aktes zwischen experimentell-dokumentarischer Darstellung und Ästhetisierung, beziehungsweise Romantisierung durchaus bewusst seien. Im Vordergrund stehe jedoch weniger die Inszenierung der Personen, als die Sichtbarmachung der Objekte. Eine weitere Äußerung von Seiten des Publikums zielt auf die Frage ab, wie bewusst oder unbewusst sich das Thema „Kreativität“ – auch über die inszenierten Wohnräume hinaus – zu einem Leitmotiv des Films etablierte. Es sei auffällig, dass drei von vier Protagonisten eine Affinität zur Gestaltung hätten. Sowohl Peter als auch Matze zeichnen und Elvis legt selbst großen Wert auf die Anordnung seiner Dinge, seiner Kleidung etc. Darüber hinaus gab es eine Szene, in der Peter auf einer Cola-Dose einen Rhythmus trommelt, was eher an die stereotype Darstellungsform eines „Talentzirkus’“ anknüpfe und darüber hinaus die Frage aufwerfe, ob die Personen an sich nicht interessant genug seien. Das Bild von Peter und der Cola-Dose verteidigt Tobias-Macht als ein authentisches, da Peter sein Geld auf der Straße oft mithilfe von Musik oder Pflastermalerei erbettelt. Darüber hinaus stellt die „Kreativität“ für beide in dem Sinne ein Leitmotiv des Films dar, dass ein solches Leben in der „Langzeitobdachlosigkeit“ ohne eine Form von kreativer Alltagsstrategie ihrer Ansicht nach nur schwer möglich, wenn nicht sogar unmöglich sei.