Film

Die Vierte Gewalt
von Dieter Fahrer
CH 2018 | 98 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 42
07.11.2018

Diskussion
Podium: Dieter Fahrer
Moderation: Joachim Schätz
Protokoll: Laura Reichwald

Synopse

„Qualitätsjournalismus“ oder „Katzenbilder sind auch News“: Leser als Kunden, User oder lebenslange Abonnenten. Vier Entwürfe von Journalismus im Ringen um Qualität und Klicks; um Gefühle von Zeit und Relevanz. Alltägliche redaktionelle Praxen zwischen eingeübten Ritualen und jungem Unternehmergeist verraten das Wirken des Wandels.

Protokoll

Zu Beginn des Gesprächs merkt Moderator Joachim Schätz an, dass Dieter Fahrer in diesem Film zwei dokumentarische Formen nutzt. Zum einen wäre dies die klassisch beobachtende Form, die den Großteil des Filmes prägt – beispielsweise in Form von Experteninterviews und Begleitung der Journalisten in ihren Redaktionen. Und zum anderen nutzt er auch eine autobiographische Ebene mittels eigenem Kommentar und Erzählung seiner Eltern. Diese Ebene ermöglicht einen anderen Blick auf den Journalismus: Wie leben wir mit Journalismus, Presse, Medien? Wie gliedert dieser unser Leben? Wie entsteht durch diesen ein Weltbezug? Joachim Schätz fragt, wie diese zwei Ebenen des Films entstanden sind.

Dieter Fahrer erzählt, dass es bisher nie eine Ich-Figur in seinen Filmen gab, es aber in diesem Fall von Anfang an klar war, dass es sie geben würde. DIE VIERTE GEWALT brauchte eine subjektive Komponente. Das faszinierende am Dokumentarfilm sei für ihn das man dabei sein und genau hinschauen kann. Aber auch reflektiert: Was macht das mit mir? Der Film entstand dann tatsächlich so, wie es im Film gezeigt wird: Dieter Fahrer saß in der ausgeräumten Wohnung seiner Eltern, die ins Altenheim zogen. Es war wie im Kino. Die weißen Wände wirkten wie Projektionsflächen auf denen seine Erinnerungen liefen. Seine Jugend verbrachte Fahrer ohne Medien außer der Zeitung. Aber die war für ihn als Kind nicht interessant. Erst durch einen Nachbarn mit Fotolabor kam er mit anderen Medien in Berührung. Da durfte er zuschauen, wie Bilder entstehen und spürte einer Art Magie.dram Im Gymnasium wurde er politisiert und setzte sich breiter mit Medien auseinander. Anschließend studierte er in München Fotografie und kam dann zum Film. Als er da so saß in der leeren Wohnung seiner Eltern und das Revue passieren lies, spürte er den Wandel. Diesem Gefühl wollte er nachgehen. Er als 60-jähriger sei extrem fasziniert von dem, was möglich ist. Aber auch misstrauisch. Bereits im Gymnasium fragte er sich, wie Bilder gebraucht werden können. Durch diesen Film ist dieses Misstrauen, aber auch die Faszination stärker geworden.

Und schon zu Beginn wird im Film angedeutet, dass etwas zu Ende geht, meint Joachim Schätz. Der Film spitzt sich darauf zu, dass „Der Bund“ seine Räume leert. Die Zeitungen werden alt, grau und kleiner, wie im Filme gesagt wird. Das sein ein mächtiges, aber auch hartes Bild. Und gleichzeitig mit dem Zeitungssterben sieht man das Altern seiner Eltern. Das scheine eine Gleichsetzung von Dieter Fahrer zu sein. Dieser erwidert, dass es aber auch eine Vereinfachung ist. Sein Vater starb im letzten Jahr. Das wird auch im Film in Form der Todesanzeige reflektiert. Er war Architekt und hat Zeit seines Lebens gezeichnet und Zeitungsartikel in Bücher eingeklebt. Dadurch hat er sich gewissermaßen in einer materiellen Form in der Welt verortet. Das war ein starkes Moment für den Filmemacher, denn er hatte das Gefühl, dass sein Vater dadurch eine Orientierung in der Welt fand. Heute sind zwar viel mehr Medien zugänglich, aber die Menschen irgendwie desorientierter.

Wie erstellt man nun einen Film über Journalismus ohne in Bildernot zu kommen, fragt sich Joachim Schätz. Der Moment des Hantierens scheint dabei eine große Rolle für Dieter Fahrer zu spielen. Beispielsweise in Form von Live-Streams oder der tollen Miniatur, mit der einer der Journalisten lernt, wie man Interviews führt und sich selbst filmt. Man merke wie sich da etwas verändert im Journalismus und wie man das erst koordinieren muss. Die Frage nach der filmischen Herangehensweise hat sich Dieter Fahrer auch immer wieder gestellt. Vor dem selben Dilemma stand er auch schon bei den Filmarbeiten zu THORBERG. Damals begleitete er Gefangene, die bereits seit zehn bis 15 Jahren dort waren. Wie fängt man das ein? Dasselbe fragte er sich beim Umgang mit den Journalisten. Wie zeigt man, was Journalisten leisten? Beispielsweise schreibe Marc Lettau tolle reflektierende Texte und besitze ein ungeheures Wissen. Er beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit seiner Materie. Das ist filmisch schwer zu erzählen, deswegen hat er sich für die menschliche Ebene entschieden. Man lernt Marc Lettau als wache und präzise Person kennen.

In dem Zusammenhang würde Joachim Schütz eine strukturelle Entscheidung Dieter Fahrers interessieren, nämlich wie er die Auswahl der Medien getroffen habe und warum beispielsweise keine Boulevardzeitung dabei sei. Dieter Fahrer erzählt, dass er lange recherchiert hätte. Die Entscheidung für den „Bund“ war für ihn klar, weil seine Eltern immer die Zeitung lasen. Als er beim „Bund“ zu Besuch war, meinte eine Journalistin, die er kannte: „Du kommst zu spät. Der ‚Bund‘ ist nicht mehr das, was er war. Er zerbröselt.“ Das spürte man vor Ort auch. Der „Bund“ existiert seit 1850 und wurde mit dem Ziel gegründet, den demokratischen Diskurs zu stärken. Das hallt bis heute nach. Mit der Zeit realisierte er jedoch, dass er nicht nur bei einer über Abonnements finanzierten Zeitung drehen könnte. Es fehlten eben beispielsweise die mobilen User. So kam er zu „Watson“. Außerdem wollte er gerne ein Medium, das in die Zukunft weist. Als er von der bevorstehenden Gründung von der „Republik“ hörte, schien ihm diese geeignet. Die „Republik“ war für ihn ein Medium, bei welchem die Zuschauer ein Gefühl dafür bekommen, wie wichtig freier Journalismus in der Demokratie ist. Das als vierte Medium noch das Radio, speziell „Echo der Zeit“, vorkommt, fuße auf seiner persönlichen Vorliebe für das Medium. Er möge die Intimität und die Nähe, die man übers Hören hat. Das Gehör habe für ihn eine andere Art von Sensibilität. Und vor allem werde im Radio nicht geschrien. Bilder würden heute häufig „schreien“, weil man sich Unauffälligkeit nicht mehr leisten könne. Radio hat ein Form von Differenziertheit. Diesem Medium hätte er gerne mehr Platz im Film eingeräumt, aber bei filmischer Gestaltung geht es für Dieter Fahrer auch immer um das Weglassen, auch wenn das bei diesem Projekt sehr schwierig war. Fahrer erzählt außerdem, dass er die Unterschiede in der Zeitlichkeit bei der Entstehung eines Films und im Arbeitsalltag der Journalisten irre fand. Man selbst arbeite drei bis vier Jahre an einem Film, die Journalisten widmen sich häufig bereits am nächsten Tag etwas anderem.

Joachim Schätz findet auch, dass es viel um Zeitlichkeit geht. Da gibt es ganz unterschiedliche Rhythmen. Einmal am Tag komme beispielsweise die Zeitung, aber die Push-Nachrichten und Twitter-Feeds fast sekündlich. Dadurch ist Schnelligkeit als Medienerfahrung in unser Leben gekommen. Im Bild selbst werde diese Schnelligkeit aber nie im Werden gezeigt, sondern immer illustriert – beispielsweise durch das Durchscrollen. Er fragt Dieter Fahrer, ob es Überlegungen gab diese kürzeren Rhythmen in Echtzeit darzustellen. Dieter Fahrer erläutert, dass dies seiner Meinung schon im Film vorhanden sei. Bei der Wahl von Donald Trump könne man das erleben. Dem Gegenüber steht die Langsamkeit des Live-Streams und die seiner Eltern: Zum Beispiel kurz nach besagter Wahl schält seine Mutter im Film Kartoffeln auf einer Zeitung und sein Vater versucht halbblind eines seiner Bilder zu datieren. Das Jahr scheint dabei für den 96-jährigen keine Rolle zu spielen. Er fällt gewissermaßen aus der Zeit. Und dieses Aus-der-Zeit-fallen, würden wir kaum noch erleben. Wir leben aktualitätsbezogen, immer im Jetzt. Und erleiden dadurch einen „Present Shock“ wie im gleichnamigen Buch von Douglas Rushkoff beschrieben. Der Horizont von Vergangenheit und Zukunft werde nicht mehr aufgespannt. Aber wie könne man ohne diesen eine journalistische Einordnung machen? Was soll Journalismus bringen, wenn man nicht aus dem Jetzt Perspektiven für die Zukunft entwickelt; zum Beispiel, wie wir leben wollen? Die Antwort auf diese Fragen entsteht nicht aus dem Jetzt, sondern auch aus dem Vergangenen und Zukünftigen. Besagter „Present Shock“ sei für ihn im Film eingefangen.

Aus dem Publikum kommt die Frage, warum Dieter Fahrer niemanden aus dem Management für seinen Film ausgewählt hat. Dieser Bereich erscheine doch immer einflussreicher auf die Inhalte, wie auch im Abspann des Films noch einmal klar wird. Dieter Fahrer sagt, dass er sich diese Frage auch häufig gestellt hat. Genau deswegen habe er versucht, ein Interview mit jemanden von „Tamedia“ zu drehen. Er habe lange gekämpft für das Gespräch. Als er es dann geführt hatte, war ihm beim Rausgehen bereits klar, dass es nicht im Film sein wird. Einfach weil es uninteressant war und voller Plattitüden, wie „den Journalismus bereit machen für die Zukunft“. Außerdem sei er seinem Gesprächspartner nicht nahe gekommen. Er betrachte es aber als Verlust, dass er keinen Weg gefunden habe, diese Seite des Journalismus filmisch zu integrieren. Aber eine Debatte über Sparmaßnahmen oder Profit mit einem Manager zu führen, wäre ein anderer Film geworden. Sein Film hat eine andere Seele.

Eine andere Stimme aus dem Publikum fragt, warum selten Zusammenhänge zwischen den Medien über das gleiche Ereignis hergestellt werden. Dieter Fahrer erwidert, dass er versucht habe, sich auf das Wesentliche im Kontext des Films zu reduzieren. Er hätte zwar eine solche „Parallelmontage“ probiert, aber das wäre eher eine wissenschaftliche Betrachtung geworden. Außerdem gestaltete sich das parallel drehen sehr schwierig. Anschließend kommt Dieter Fahrer darauf zu sprechen, dass er auch den Titel heikel finde, weil er falsche Erwartungen wecke. Man erwarte eine Abhandlung über die Bedeutung der Presse in der Demokratie. Frei nach dem Stichwort: Wachhundfunktion. Er selbst hätte lieber den Titel „Live-Stream“ gewählt, aber das war von Seiten des Verleihs und der Produktionspartner nicht gewollt.

In der weiteren Diskussion kommt aus dem Publikum die Frage nach der Thematisierung der Glaubwürdigkeit von Medien. In Deutschland rede man beispielsweise häufig von einer „Lügenpresse“. Ist das in der Schweiz anders? Außerdem empfinden einige Stimmen aus dem Publikum den Film als zu harmlos und zu wenig analytisch. Journalismus würde im Film als eine Art Wahrheitsfindung dargestellt, also als wirkliche vierte Gewalt. Fahrer erwidert, dass er eben keinen agitativen Film machen wollte. Das wäre nicht sein Stil. Aber seine Art sei eben auch nicht die einzige, einen Film über das Thema zu erstellen. Das Problem der „Lügenpresse“ werde dennoch durchaus reflektiert beispielsweise von Marc Lettau: „Googlen ist heute das gleiche wie Wissen.“ Sein Fokus läge aber im Film vor allem auf einer menschlichen Vertiefung als auf einer analytischen. Das sei seine Herangehensweise beim filmischen Arbeiten. Es ging ihm stark um die soziale Dimension von Journalismus. Die Vierte Gewalt sind für ihn eben die Menschen, die den Job machen und diesen wollte er sich nähern und deren Beruf würdigen. Eine Pauschaldiffamierung wie „Lügenpresse“ findet er in dem Zusammenhang schwierig, denn es gibt gute Journalisten. Aber die Arbeitsbedingungen sind prekär, das Leben in den Redaktionen schwierig. Guter Journalismus kostet Geld, was keiner bezahlen möchte.

Im Publikum wird nochmals gefragt, warum keine Empfänger der Nachrichten beziehungsweise Konsumenten zu sehen seien. Dieter Fahrer beantwortet dies erneut mit dem Zwang der Reduktion. In THORBERG thematisierte er auch nur die Insassen und nicht auch die Betreuer und Therapeuten. Aber in DIE VIERTE GEWALT gebe es eben doch noch die Ebene von ihm selbst und seinen Eltern.

Die Diskussion wendet sich der Form zu. Es wird gefragt, ob der Film erst im Schnitt entstanden sei. Dieter Fahrer erzählt, dass die Rahmenerzählung über die Eltern schon immer da war. Die radikalste Veränderung, die erst komplett im einjährigen Schnitt auftauchte, war die Ebene der Live-Streams. Als er den Live-Stream bei „Watson“ drehte, war ihm gar nicht klar, wie relevant dieser werden würde. Erst nachdem sie drei Monate lang 260 Stunden Material gesichtet, protokolliert, transkribiert und verschlagwortet hatten, übte der Live-Stream eine Magie auf ihn aus. Da hat er dann wochenlang solche Streams geguckt, aufgezeichnet und gefragt, was ihn daran fasziniere, weil ja eigentlich gar nichts passiert.

Ob die Dreharbeiten anders gewesen sind, wenn man mit Leuten auf intellektueller Augenhöhe, mit professionellen Interesse, mit Sendungsbewusstsein arbeitet, will Joachim Schätz wissen. Dieter Fahrer bejaht dies. Es sei ein sehr langer Casting- Prozess gewesen, bei welchem er sich monatelang in den Redaktionen bewegte. Man habe oft versucht ihn zu instrumentalisieren. Und ihm war auch bewusst, dass er beispielsweise Rafaela Roth erwischen muss, wenn sie nicht in der Redaktion ist, nicht am Telefon oder Computer, um etwas Persönliches einzufangen. Die Chance bot sich, als sie nach München fuhr. Zwei Tage lang hätten sie gemeinsam verbracht und erst in dem Moment, wo sie müde im Transithotel am Flughafen saß, da findet er die Nähe zu ihr und die Antwort auf seine Frage, warum sie Journalistin geworden ist.

Werner Ružička möchte im Anschluss wissen wie sich die Finanzierung von „Bund“ und „Republik“ unterscheiden. Die „Republik“ habe zu Beginn sehr viel Werbung gemacht. Ihr Konzept sei vor allem bei den urbanen Schweizern gut angekommen, die ein Bewusstsein dafür haben, dass unabhängiger Journalismus wichtig ist. Dafür muss man zahlen und normalerweise will das niemand. Die „Republik“ hat Menschen gefunden. Wie tragfähig das ist, wird sich nach einem Jahr zeigen. Der „Bund“ hingegen ist eine klassische Abonnementzeitung bei der früher der journalistische Teil die Rückseite der Kleininserate war, behaupten böse Zungen. Kleinanzeigen existieren jetzt vor allem online. Da ist ein Geschäft weggebrochen.

Joachim Schätz fragt nach, ob die Einbeziehung der „Republik“ nicht ein großes Wagnis gewesen sei, weil es die Redaktion zu Beginn der Dreharbeiten noch gar nicht gegeben habe. Außerdem findet er es interessant, dass sich die „Republik“ tatsächlich als vierte Gewalt begreift. Dieter Fahrer erklärt, dass er gerade deswegen die „Republik“ im Film direkt reflektiert. „Bisher nur Werbung ohne Journalismus“, wird da gesagt. Er hatte durchaus eine Grundskepsis, die bleibt. Mit der Betrachtung der „Republik“ wollte er aber vor allem auch die Funktion des Journalismus in der Demokratie manifestieren, dessen Bedeutung und auch die Gefahr seiner Zerstörung. Außerdem wollte Fahrer frei nach Hannah Arendt dem Publikum mitteilen: „Insofern Berichterstattung zum Geschichtenerzählen wird, leistet sie jene Versöhnung mit der Wirklichkeit.“ Deswegen schließt er am Ende auch den Bogen zu seinen Eltern, deren Versöhnung man beim gemeinsamen Singen des Abendliedes erlebt.