Film

Inschallah
von Antje Kruska, Judith Keil
DE 2017 | 92 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 41
09.11.2017

Diskussion
Podium: Antje Kruska, Judith Keil
Moderation: Sven Ilgner
Protokoll: Johannes Frese

Synopse

Nicht im Namen von, sondern miteinander reden: Imam Sabri predigt den Gläubigen in seiner Neuköllner Moschee wie seinen fremdelnden Nachbarn in der Schrebergartenkolonie geduldig seine Botschaft des Ausgleichs. Er nimmt Ängste, wirbt um Vertrauen. Pragmatisch und ausdauernd. Trotzdem unter Verdacht. 

Protokoll

In INSCHALLAH begleiten die Filmemacherinnen Judith Keil und Antje Kruska den Neuköllner Imam Taher Sabri und lösen eine Diskussion über Erwartungen und Vorurteile gegenüber einer filmischen Auseinandersetzung mit dem Islam aus.

Zum Einstieg berichtet Moderator Sven Ilgner, dass der Film ihn verblüfft und berührt, aber auch geärgert habe. Der Imam strahle ein Charisma aus, dem man sich schwer entziehen könne, zugleich habe er sich weit entfernt von ihm gefühlt. Zwar lasse Sabri die Filmemacherinnen nahe an sich heran, doch er frage sich, wieviel Kalkül hinter der Nähe stecke. Er bittet die Filmemacherinnen zu erzählen, weshalb der Imam dem Projekt ihrer Meinung nach zugestimmt habe. Antje Kruska erklärt, dass der Imam große Freude daran habe, sich gesellschaftspolitisch zu engagieren. Ilgner merkt an, dass die Themenwahl dabei teils aufgesetzt, seine Professionalität übertrieben wirke. Der Moderator verweist auf das Gespräch mit einem jungen Mädchen über die Vereinbarkeit einer Klassenfahrt mit islamischen Regeln. Die liberale Art des Imams wirke unnatürlich. Wenn er sich in anderen Momenten ironisch über den Glauben äußere, komme er ihm nahe, so Ilgner. Keil erklärt, dass der Imam selbstverständlicher Weise in erster Linie Oberhaupt der Moschee und seinen Gläubigen verpflichtet sei, es gleichzeitig aber als seine Mission betrachte, eine Verbindung zur Mehrheitsgesellschaft zu knüpfen. Eine ganz weltliche Lebensfreude sei Teil seines Glaubens, auch um den Graben zum Rest der Gesellschaft nicht zu vertiefen. Das sei nicht als Taktieren zu verstehen, sondern Ausdruck eines Balanceaktes zwischen islamischer Etikette und weltlicher Nonchalance. Er folge dem Grundprinzip, dass jeder willkommen sei, sich ein Bild von der Moschee zu machen, es habe weder Vorgespräche noch nachträgliche Zensuren gegeben. Die Offenheit des Imams sei bereits während eines ersten Besuchs der Moschee mit dem Protagonisten ihres Filmes LAND IN SICHT deutlich geworden. Die Filmemacherin geht auf den Argwohn ein, der in Ilgners Anfangsfrage mitgeschwungen habe und sie, ebenso wie den Imam, aufwühle. Die grundsätzliche Vermutung, dass eine verborgene Absicht hinter seiner Offenheit stecke, komme in gebündelter Form in der medialen Berichterstattung zum Ausdruck.

Ilgner fragt nach der Entstehungsgeschichte der Szene, in der ein Gespräch zwischen dem Imam und zwei syrischen Frauen vor einer Bäckerei stattfindet. Kruska berichtet, das Gespräch sei zufällig zustande gekommen, die Filmemacherinnen seien zunächst auf Abstand geblieben. Zu Beginn des Drehs habe der Imam durch die Vermittlung potenzieller Nebenprotagonisten versucht die Kontrolle zu behalten. Diese Arbeitsweise sei jedoch rasch an Grenzen gestoßen, da die Befragten sich einer Annäherung an private Belange in bisher unerlebter Konsequenz verschlossen. Das rigide, moralische Regelsystem der Gemeinde mache es schwer, sich mit Zweifeln an die Öffentlichkeit zu wenden. Schließlich folgten sie dem Imam, der seine Gegenüber spontan fragte, ob gedreht werden könne. Abgesehen von einer Scheidungsberatung, die von hinten gefilmt wurde, habe niemand eingewilligt. Zu einigen Menschen seien gute Beziehungen entstanden, aber die Aussicht auf Veröffentlichung habe ein Problem dargestellt. Zwei junge Männer lehnten die Verwendung des Materials nach dem Dreh ab. Ähnlich einer therapeutischen Sitzung müsse ein geschützter Raum hergestellt werden, meint Kruska.

Joachim Schätz äußert in Bezug auf die Eingangsbemerkung des Moderators Befremden angesichts einer grundlegenden Setzung, die wohl einerseits dem Protagonisten geschuldet sei, aber auch als Auftrag im Film präsent scheine: Eigentlich sehe das muslimische Leben ganz anders aus, als es in den Medien dargestellt werde. Dadurch entstehe ein Druck auf den Imam und damit auch den Film, Gegenbilder zu schaffen. Ausgehend von der These, dass ein diametrales Arbeiten an Gegenbildern das eigentliche Problembild immer mitverhandele, stellt er die Frage, ob die Filmemacherinnen nicht erwogen hätten, andere, weggehende Bilder zu erschaffen. Keil erklärt, dass es ihr Anliegen gewesen sei, einen unaufgeregten Gegenpol zu einer aufgeheizten Debatte zu schaffen. Wenn diese Absicht spürbar werde, sei daran nun nichts mehr zu ändern. Doch schlussendlich sei es nicht um eine „aalglatte Verklärung“ des Ganzen gegangen. Es sei ebenso wichtig gewesen, Brüche zu zeigen, beispielsweise in der Beobachtung des Koranunterrichtes. In der Lektion über das Kopftuch sieht die Filmemacherin eine Form der Gehirnwäsche, die man auch der jugendlichen Protagonistin anmerke. Solche Beobachtungen, die das Machtgefüge im Verhältnis der Geschlechter sichtbar machen, seien im Film zu sehen, um bestimmte Meinungen „nicht einfach nur abzunicken“.

Eine andere Zuschauerin betont die Schlüsselrolle eines Satzes im Gespräch zwischen den syrischen Frauen und dem Imam. Die Tochter erklärt dem Imam, dass sie nicht in Deutschland bleiben wolle, „weil die Menschen hier an nichts glauben“. Aus der Welt des strikten Glaubens wirke es bei uns wie in Babylon, bemerkt die Zuschauerin. Sie möchte wissen, ob der Imam in solchen Fällen Vermittlungsarbeit zwischen den beiden Lebenswelten leiste. Kruska berichtet, dass der Imam sehr an interkulturellem Austausch interessiert sei, soziale Träger einlade und einen Tag der offenen Moschee veranstalte. Nach dem Attentat von Paris im November 2016 thematisierte er in der Freitagspredigt die Möglichkeit der Menschen, sich einander zuzuwenden. Darauf komme auch die Nachbarschaftsszene am Ende des Filmes zurück. Momentan sei er jedoch hauptsächlich mit Journalisten beschäftigt, die eine Erklärung für die Aufmerksamkeit des Verfassungsschutzes von ihm fordern. Der Imam habe betont, dass Liberalisierung Zeit brauche. Auch er befinde sich noch in einem Prozess der Gewöhnung, wie den Filmemacherinnen an seiner zunächst skeptischen Haltung gegenüber der von Seyran Ateş in Berlin gegründeten Moschee deutlich geworden sei. Es sei ungerecht, dass ihm aus seiner Offenheit in alle Richtungen nun ein Strick gedreht werde. So sei die Beobachtung seiner Kontakte zur Muslimbruderschaft in Ordnung, dürfe jedoch nicht als verbrecherisch generalisiert werden. Auch gegenüber Vertretern der Bruderschaft werde er nicht zum Opportunisten. Bereits ein Schweigen zu bestimmten Aussagen habe in einer solchen Gesprächssituation Aussagekraft.

Ein weiterer Zuschauer fragt sich, inwieweit der Imam sich durch seine liberale Haltung in der eigenen Gemeinde isoliere. Er kritisiert, dass bereits die Eingangsfrage des Moderators vorurteilsbehaftet gewesen sei und andeute, dass der Imam die Filmemacherinnen instrumentalisiert habe. Mit der Frage, „wieviel Spiegel-Online-Propaganda durch unsere Gehirne geflossen sei“, fordert er Sven Ilgner zu einer Erklärung auf. Der Moderator erklärt, dass– von seiner ambivalenten Empfindung gegenüber dem Imam ausgehend – dessen Absichten, zwischen ehrlicher Nähe und übertrieben wirkender Liberalität in seiner institutionellen Rolle changierend, schwer zu ergründen seien. Judith Keil wirft ein, dass eben jener Verdacht, „um den Finger gewickelt zu werden“, Ausdruck einer grundlegend misstrauischen Haltung sei, die der Film auf Rezipientenseite zum Vorschein bringe.

Eine Zuschauerin berichtet von einem Moment, der ihr aufgrund seiner Flüchtigkeit stark in Erinnerung geblieben sei. In einem separaten Bereich der Moschee folgen muslimische Frauen der Ansprache des Imams auf einem Fernseher. Sie äußert die Vermutung, dass in der Flüchtigkeit der Montage ein Verzicht auf Kritik seitens der Filmemacherinnen sichtbar werde. In Bezugnahme auf Joachim Schätz’ Beobachtung, dass der Film unter dem Druck einer Gegenbildagenda stehe, bemerkt sie, dass zwar ein Fernsehteam, das den Imam kritisch befragt, „in all seiner Blödheit ausgestellt werde“, die Position der Filmemacherinnen aber über solcherart „codierte Momente der Selbstreflektierung“ hinaus im Dunkeln bleibe. „Was ist unsere Wunde, wenn wir den Film sehen“, sinniert Kruska. Die dämpfende Erfahrung der Recherche und Filmarbeit liege eben darin, es nicht geschafft zu haben, mehr Menschen zu überzeugen, sich „mit allen Pros und Cons“ in der Privatheit des religiösen Lebens zu zeigen. Diese Grenze spiegele sich womöglich in der Flüchtigkeit der erwähnten Szene. In ihrer Arbeit seien sie schließlich vom Umkehrschluss ausgegangen. Mit dem Imam gebe es jemanden, der in der muslimischen Gemeinde mit seiner Offenheit einzigartig sei. Als Beispiel erinnert sie an eine Szene, in der Sabri in seinem Wohnzimmer sitzt und für die Filmemacherinnen seinen Lieblingssong laufen lässt.

Eine Zuschauerin wirft den Filmemacherinnen im Gegenzug vor, im „Ringen um die Darstellung“ dem Protagonisten nachgegeben zu haben und von ihm für die Erschaffung eines Gegenbildes instrumentalisiert worden zu sein. Kruska erwidert, dass man womöglich innerhalb der Gemeinde weniger liberale Haltungen hätte darstellen können, der Imam jedoch sei ihnen mit der Offenheit begegnet, die im Film zu sehen sei. Die Zuschauerin führt als Beispiel einen syrischen Ingenieur an, der den Imam um Hilfe bei der Rückkehr zu seiner Familie bittet. Der Imam habe die Lösung des Problems für die Filmemacherinnen inszeniert. Judith Keil räumt ein, dass dieser Eindruck der Machart des Filmes geschuldet sei. Es sei ihnen wichtig und zugleich eine Herausforderung gewesen, Handlungsstränge zu Ende zu erzählen, der Imam habe ihnen auch in seiner Mission zuträglichen Situationen nicht immer Bescheid gegeben. Den Verdacht, dass man ihn hätte stellen müssen, könne sie vom Tisch wischen. Sie berichtet, dass Constantin Schreiber die Moschee für seine Sendung „Inside Islam“ besucht und inhaltliche Fehler in der Predigt eines Gastpredigers entdeckt habe. Resümierend hielt er fest, dass der Imam nett sei, aber man nicht wisse, was in der Moschee vor sich gehe wenn die Kamera nicht da sei. Auch in einer anwaltlich verfügten, geänderten Montage sei der Satz geblieben, denn er spiegele Schreibers freie Meinung. Dieses Misstrauen mache Sabris Arbeit schwierig.

Ein Zuschauer stellt anschließend fest, dass in der Diskussion eine Forderung an die Filmemacherinnen mitschwinge, „in die Moschee zu gehen, Kontra zu bieten und zu erzählen, was richtig und gut sei“. Man gebe sich nicht zufrieden mit dem Beobachten, fordere einen Diskurs zwischen den Filmemacherinnen und dem Imam. Er fragt die beiden Frauen, weshalb sie sich für die Beobachterposition entschieden und nicht in gängige Diskurse eingestiegen seien. Keil erläutert, dass die Kleingärtner stellvertretend für Positionen im Stile der AfD einständen. Im ursprünglich gedrehten Material habe die Kleingartengemeinschaft derartig viele Vorurteile rausgelassen, dass der verantwortliche Redakteur die Szene habe streichen wollen. Im Endeffekt seien wenige Pinselstriche nötig um den rechten Diskurs zu erzählen. Der Zuschauer betont, dass dieser Diskurs nicht ausschließlich in Kleingartenkolonien geschoben werden könne, sondern in der generell misstrauischen Haltung gegenüber anderen religiösen Einstellungen auch hier im Raum zum Ausdruck komme. In Zeiten der Polarisierung befinde sich der Imam in der schwierigen Position des Vermittlers zwischen zwei Welten, die einander nicht vermittelt werden wollen. Kruska bestätigt, dass man ihm aus diesem Grund zuhören solle, denn es gebe nicht viele vom Schlage eines Taher Sabri.