Bei vielen Filmen haben sie seit 1982 zusammengearbeitet – darunter auf den Filmwochen vorgeführt und diskutiert: Das Haus, Volkspolizei, Barluschke, Neustadt (Stau – Der Stand der Dinge), Vaterland, Mein Bruder. We will meet again, Im Glück (Neger), Material. Badel und Heise berichten von ihrer Kooperation, vom besonderen Zusammenspiel von Kamera und Regie und vermitteln anhand von Beispielen ihren Blick und ihre Einschätzung der dokumentarischen Ästhetik.
Protokoll
Den Begriff vom alten Ehepaar wirft Regisseur Thomas Heise gegen Ende des Gesprächs selbst in die Runde. Natürlich sei man nach jahrelanger Zusammenarbeit ein eingespieltes Team, da sei schon eine Art Symbiose entstanden. Und in der Tat, es hat schon etwas Familiäres, wie er mit Kameramann Peter Badel ins Plaudern gerät und beide Anekdoten aus 25 Jahren Zusammenarbeit zum Besten geben. Doch trotz aller Vertrautheit stellt Badel schon gleich zu Beginn klar, wer die finale Entscheidungshoheit habe, denn schließlich könne nur einer die „Mütze“ aufhaben.
Und auch wenn ihre erste Zusammenarbeit gar nicht mehr existiert, die Erinnerung daran ist deutlich. Beide lebten damals in der DDR und Heise hatte einen Stoff angeboten bekommen. „Erfindung 82“ war der Titel und sollte Arbeiter präsentieren, die mit eigenen Erfindungen dafür sorgen, dass die Produktionsprozesse verbessert werden. Der Film sollte als Vorfilm im Kino die Zuschauer animieren, ebenso Dinge zu erfinden. Mit 20 Minuten Film sollte man kurzerhand die Optimierung der sozialistischen Volkswirtschaft vorantreiben. Als Grundlage nahmen sie eine Broschüre aus einem Bezirkserneuerungszentrum, einem „Propagandastübchen“, wie Heise es nennt, und sammelten dazu Bilder: Von illegalen Schlachtungen, unverständlichen Interviews oder auseinanderfallenden Maschinen-Prototypen. Wenn man sie so feixend erzählen hört, ist es nicht verwunderlich, dass nicht mal der Rohschnitt abgenommen wurde. Überhaupt endete es in einem Debakel: Weil Heise sich weigerte, den Film zu ändern, war sein Studium beendet, und der Film wurde zur Vernichtung freigegeben.
Es folgt ein großer Zeitsprung und mit der Eröffnungssequenz von VATERLAND der erste Ausschnitt: eine lange Kamerafahrt durch eine Barackenlandschaft. Die beiden erzählen anhand dieses Beispiels von Heises besonderer Arbeitsweise, den geschlossenen Drehperioden, die Badel „Internierung“ nennt. Denn Heise ist davon überzeugt, dass man nur so intensives Material bekommt. Man hängt auf engstem Raum zusammen und muss sich mit der Umgebung auseinandersetzen. Und mit sich selbst. Eben weil man vor Ort gefangen sei, rege sich Widerstand, der zu Reibung führe. Das sei unerlässlich für einen Film. Manchmal gerate man auch aneinander und dann kracht es. In solchen Fällen gehe man halt nicht zusammen essen, erzählt Badel. Er erinnere sich, wie in Paris die Crew nach einem Krach allein im Restaurant saß und plötzlich ein Kopf hinter den Vorhängen auftauchte und reinlugte und sich Heise dann wortlos und selbstverständlich dazugesetzt habe. Ganz wie in einer Familie.
Heise und Badel sprechen viel über die Dreharbeiten zu VATERLAND, über das Vorbereiten und Planen von Szenen und den technischen Umsetzungen. Und davon, wie manche Szenen plötzlich passieren. So wie der Dreh mit einem der Protagonisten, Axel, zu dem Heise spontan gefahren ist, der ihnen sofort die Tür geöffnet und in einem Schwung aus seinem Leben und seiner Zeit im Knast erzählt hat. Das habe raus gewollt, der wollte die Dinge loswerden, erinnert sich Heise. Es sei jedoch nicht immer einfach, das zu bekommen, was man wolle. Bei einem anderen Film habe er vom Protagonisten eine bestimmte Geschichte hören wollen, aber die Situation sei nie entstanden, es war immer verkrampft. Erst einige Zeit später, als er nichts mehr von ihm wollte, als er nix vorbereitet hatte und mit Null zu ihm gegangen ist, dauerte es 20 Minuten und er hatte die gewollte Geschichte. Manchmal geht es um das Warten auf die Möglichkeit und dann kommen die Bilder, so Badel. Am Anfang stehe oft ein Sammeln, ein Erforschen der Umgebung. Bei VATERLAND seien sie am ersten Tag wie eine Reisegruppe durch das Dorf gelaufen, auf der Suche nach etwas. Und dann tauchen die Geschichten auf. Wie die Geschichte von Rita, die Heise in einem Café kennengelernt hat. Rita hat neun Schwestern, ihr Vater hat aus den Mädchen eine Blaskapelle gemacht, die mit einem Elefanten in den Ortschaften aufgetreten ist. Aber nicht alle Geschichten schaffen es in den Film, und auch in diesem Fall habe man sich aus verschiedenen Gründen von dieser Geschichte verabschieden müssen.
Komplett konträr sei die Arbeit an IM GLÜCK (NEGER) gewesen. Im Fokus des Films stehen Jugendliche aus Marzahn, die Heise bei einem Theaterprojekt kennengelernt und über sechs Jahre mit der Kamera begleitet hat. Jedes Jahr habe man zwei Drehtage gehabt, was aufgrund der gedehnten Dreharbeiten schwierig gewesen sei. So wolle er auch nie wieder drehen, resümiert Heise. An einem Drehtag sei Badel ein großer Fehler unterlaufen, erinnert sich Heise. Nachdem sie den Auszug des einen jugendlichen Protagonisten gefilmt hatten, habe Badel Mitleid mit dem Teenager gehabt und sei mit ihm zum Sperrmüll gefahren. Allerdings habe er nicht gefilmt, wie der Sperrmüll durch das winterliche Berlin fährt. Da wäre er erbost gewesen, betont Heise, schließlich drehe man einen Film über, nicht mit den Protagonisten. Allerdings würden sich dabei manchmal die eindeutigen Ebenen verschieben, nach der langen Drehzeit sei für manche nicht mehr klar: Ist man nun befreundet, oder was ist das für ein Verhältnis? Auch mit einem der Protagonisten von „IM GLÜCK (NEGER)“ sei die Situation verfahren gewesen, er habe Heise sogar Prügel angedroht. Als Lösungsversuch hat Heise ihm geraten, ihm einen Brief zu schreiben. Doch statt Post schickte der junge Mann ein Video, wie er den Brief vorliest und – an der Stelle, an der er wirklich sagen will, was er denkt – immer wieder stockt. Zehn Mal hätte er diese Stelle angefangen zu lesen, schmerzhaft anzusehen sei es gewesen, aber auch das ideale Ende des Films, so Heise. Aber das sei nun mal ein klassischer Konflikt von „vor“ und „hinter“ der Kamera und ein Dokumentarfilm verändere sich dabei.
Im Anschluss wird über „Familienzusammenführung“ gesprochen, die natürlich immer emotional seien, aber Dokumentarfilm sei halt auch etwas Showbusiness, so Badel. So hätten sie eine verlorengegangene Tochter wieder aufgespürt und mit ihr ein Interview verabredet. Aber als sie am nächsten Tag bei der Wohnung angekommen sind, hätte ihnen eine völlig andere Person als am Vorabend die Tür geöffnet: Extrem geschminkt, mit tiefem Dekolleté und auftoupiertem Haar. Ihnen sei sofort klar gewesen, dass das so nicht gedreht werden könne und man habe man sich quasi für einen Erste-Hilfe-Einsatz entschieden, quasi einen spontanen Luftröhrenschnitt, um die Situation zu retten, so Badel. Doch weil die Dame relativ mittellos gewesen sei und nichts in ihrem Kleiderschrank hatte, musste der Tonmann sein T-Shirt spendieren, die Haare wurden mit einem Zopfgummi gebändigt. Das sei nicht selbstverständlich, dass das jemand mitmache. Man habe zwar nun eine „verkleidete Frau“ vor der Kamera gehabt, aber so sei es richtig gewesen, sind beide überzeugt. Und sie habe ihnen vertraut. Denn viele Leute wollen ihr Bild kontrollieren, sie wollen nicht zeigen, wer sie sind, sondern jemand darstellen und bestimmte Dinge weglassen.
Wie fängt man also das Wesen einer Person mit der Kamera ein? Da sind sich beide einig: Man dürfe nicht zu nah drehen, sondern müsse immer versuchen, die Körperspannung mit im Bild zu haben. Man müsse das Porträt mit dem Körper und dem Raum verbinden. Heise betont, dass er auch Gegner von umfangreichen Umräumaktionen in den Wohnungen sei, es schon irritierend genug fände, wenn Badel riesige Lichtschirme aufspanne, unter denen die Leute dann sitzen und nun ganz „privat“ erzählen sollen.
Aber, so befindet Heise, habe man lange genug hin- und hergeredet, es sei Zeit, die Soloshow zu beenden und er hätte nun gerne Widerspruch. „Ich glaube an den Konflikt, sonst glaube ich an nichts“, zitiert er Heiner Müller. Das ist zwar eine schöne Eröffnung der Diskussionsrunde, aber auch leicht irritierend, denn natürlich kann man den Erinnerungen nicht widersprechen. Dementsprechend folgt auch kein Streitgespräch, sondern Fragen von eher technischer Natur, es geht um Teamgrößen und Kadragen und Materialsichtungen.
Und dann regt sich doch noch so etwas wie ein leichter Widerstand. Eine Frau im Publikum kommt noch einmal auf die Situation zu sprechen, in der die Dame für die Kamera umgezogen wurde. Sie könne die Begründungen zwar nachvollziehen, zugleich sei irgendwas in ihr damit nicht einverstanden. Ob man die Situation nicht anders hätte lösen können, vielleicht das Umziehen zu integrieren oder zu thematisieren, um ihr Autonomie an ihrem Bild zu lassen. Heise betont, dass er überzeugt sei, dass es das Richtige war. Zudem hätte man vor zehn Jahren das eigene Bild noch nicht so stark reflektiert wie man es heute tue. Darüber hinaus müsse man versuchen, unter all den Masken die eigentliche Person zu finden. Hätte man mit der Dame das Thema ausdiskutiert, wäre ein Gespräch nicht mehr möglich gewesen, ist Heise überzeugt. Badel ergänzt, einer seiner Lehrmeister hätte immer gesagt, es gäbe zwei Arten von Fotografen: Einer macht ein Foto von jemandem der fällt, der andere hilft der Person auf. Beide haben ihre Berechtigung. Er ergänzt, man habe bemerkt, dass die Frau verunsichert war, und nach dem Umziehen sei sie sichtlich erleichtert gewesen. Jemand in fremde Sachen zu stecken, sei seltsam, das sei ihnen bewusst und man merke, wie entsetzlich diese Situation grad klinge. Aber manchmal sei die Situation nun mal so, und dann müsse man eingreifen.
Heise kommt auf ein anderes Beispiel zu sprechen, einem Dreh im Sozialamt, bei dem die Situation ähnlich gewesen sei. Da habe das Amt gezielt eine andere Frau vor die Kamera gesetzt, damit man schöne Fernsehaufnahmen bekomme. In diesen Fällen müsse man versuchen, dass Spiel umzudrehen und zu schauen, dass man diese Momente entlarve und das „Theater“ breche, so Heise. Das könne aber nur im Schnitt gelingen, denn während des Drehs könne man nichts machen. Aber weil man nicht eingreifen könne, müsse man darauf achten, dass man nicht zu früh abbreche. In solchen Momenten spüre man bei Heise die Unruhe, so Badel. Und dann gehe es darum, die Unsicherheit in entsprechende Bilder zu übertragen. Also ein Verstehen ohne Worte. Wie bei einem Ehepaar.
Stefan Kolbe, Thomas Heise v.l. © Duisburger Filmwoche, Foto: Simon Bierwald