Film

Drift
von Helena Wittmann
DE 2017 | 97 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 41
08.11.2017

Diskussion
Podium: Helena Wittmann, Theresa George (Buch, Cast), Nika Breithaupt (Ton)
Moderation: Till Brockmann
Protokoll: Laura Reichwald

Synopse

Abschiedsschmerz nach gemeinsamen Tagen an der rauen See: Zwei Freundinnen müssen sich trennen, nachdem sie mythische Geschichten und kindliche Gedanken getauscht haben. Die Tiefe des blauen Atlantiks ist die Schwelle ihrer Freundschaft, die sie in eine Melancholie des Dazwischen treiben lässt. Bis wieder Land in Sicht ist. 

Protokoll

Das Meer als Protagonist – Eine Suche.

ETAPPE 1: Fragen

Was ist Raum? Was kann er politisch, soziologisch und in vielen anderen Belangen sein? Wie kann man sich ihm nähern? Mit diesen Fragen begann für Helena Wittmann und ihr Team ein einjähriger Rechercheprozess in welchem zunehmend der Raum „Meer“ in den Fokus trat. Trotz der Fülle an Filmen und Büchern zu diesem, schien sich jedoch eine wesentliche Frage nie zu beantworten: Wie nehmen wir Meer wahr? Oder wie Helena erläutert: „Was ist das für eine Erfahrung auf dem offenen Meer zu sein?“ Ein wesentliches Hindernis schien in den zahlreich geführten Gesprächen immer die Sprache zu sein. Das Erleben blieb nicht artikulierbar. Und trotzdem waren die Filmemacher gezwungen zu formulieren. Schon allein für finanzielle Anträge. Der Drehbuchform entzogen sie sich in ihrer offenen Arbeitsweise. Ein Treatment diente als Stütze. Als Hilfe Themenschwerpunkte herauszuarbeiten. Dem Protagonist Meer gemeinsam näher zu kommen. Theresa erzählt dazu, dass sie sich fragte: „Was habe ich mit dem Meer zu tun als Landei und Ethnologin? Ethnologen beschäftigen sich mit Menschen, wir haben das Meer genommen. Wie kann man das methodisch übertragen?“

ETAPPE 2: Begegnungen

Ein erster Schritt der Annäherung ist der Prolog in Sylt. Zwei Menschen treffen sich und verbringen gemeinsam Zeit am Meer. Der Anfang von DRIFT ist dabei keinesfalls nachinszeniert. Viel mehr in den Rechercheprozess integriert. Die Filmemacher wollten das Meer leibhaftig kennenlernen. Zusammen mit der Kamera. Der so entstandene Prolog bleibt Kompass für den Rest des Films. Schon früh, erzählt Helena Wittmann, hat dieser Teil im Schnitt funktioniert. Doch auch dieser ist in ständiger Bewegung und verändert sich mit den Impulsen, die sich Ton und Bild gegenseitig immer wieder geben, erzählt Nika Breithaupt über ihre gemeinsame Arbeitsweise.

Dem Basisgedanken folgend, findet sich hier der zentrale Dialog des Film, wie die Filmemacherin erklärt. Die beiden Hauptfiguren erzählen sich an der Küste gegenseitig von einem Mythos. Theresa George begründet diese Hinwendung zum Mystischen mit ihrem ethnologischen Hintergrund. Viele ihrer Literaturquellen beschäftigten sich mythologisch mit den tausenden Möglichkeiten und Rollen, die das Meer in verschiedenen Kulturen spielen kann. Eine Annäherung an das Meer über diesen Zugang schien also ein Versuch, das unmöglich Erfassbare zu erfassen. Häufig erarbeiten Theresa George und Helena Wittmann diese Texte gemeinsam. Sie entstehen dialogisch, als aneinander niedergeschriebene Gedanken. Und bleiben dabei immer eher Ausgangspunkt der im Film stattfindenden Dialog, als durchformuliertes narratives Drehbuch. Inszenierung findet vor allem in Form von klaren Entscheidungen statt.

ETAPPE 3: Loslassen

Entscheidungen sind auch der Ausgangspunkt für die Szenen nach dem Prolog. Die beiden Frauen, gerade noch am Meer und nun zurück in der Stadt, nehmen Abschied voneinander. Ein ganzer Ozean wird sie fortan trennen.

Helena Wittmann erzählt dazu, dass dieser Abschied „am Meer und mit dem Meer“ passiert. Diese neue Situation zwischen den beiden Frauen hilft, das Meer besser zu verstehen, weil ihre Beziehung etwas verdeutlicht. Die Abschiedsworte entwickelten die Filmemacherinnen gemeinsam aus der Situation heraus. Immer wieder spielten sie die Situation durch. Und versuchten so die Essenz zu erfassen. Eine Einstellung zu entwerfen, welche das Gespräch in Raum und Zeit stellt.

Diese erschaffenen Verankerungen, wie auch das Narrativ, werden kurze Zeit später im Film losgelassen. Dokumentarisch, so Helena Wittmann, begaben sie sich von hier an Orte. Beobachteten was zu sehen ist. Schärften ihre Sensibilität. Suchten Bilder und Bildsprachen ohne Worte zu benutzen.

ETAPPE 4.: Offenes Meer

Eine Reise, die aufs offene Meer führt. Helena Wittmann erzählt, dass ihnen immer klar war, dass der Film dort hin führen wird. Sich hier fokussiert und entfaltet. Aber nicht wie. 15 Tage auf dem Atlantik. Von Antigua auf die Azoren. Auf der Reise manifestiert sich das Wie. Die Filmemacherin entscheidet sich für eine feste Kamera vom Stativ. Und macht so die Bewegung des Meeres spürbar. Bis zur Abstraktion. Der Übergang zu dieser war für Helena Wittmann und ihr Team eine Herausforderung. Nikita Breithaupt löst diese im Sound, indem sie sich von den O-Tönen als Leitspur entfernt. Konkrete Tönen verschwinden, werden synthetisch und musikalisch. Schichtungen entstehen.

Das Bild löst sich von den Frauen. Theresa verschwindet. Wir sehen sie schlafend und verlieren sie. Gleiten davon. Der Schlaf, so Helena Wittmann, ist ein wichtiger Aspekt des Films, weil er für die Filmemacherinnen eine konkrete Erfahrung war. Er zeigte Ihnen, wie sie Meer auch wahrnehmen. Ihre Reise war geprägt von ständiger Müdigkeit. Es wurde viel geschlafen. Dabei erlebten sie einen speziellen Schlaf auf dem Meer, der sich auf ihr Denken im Wachen auswirkte. Er trug zu einer „Verschiebung in Raum und Zeit“ bei. Fragmentarisches Erleben und Gespräche fanden statt.

Das Meer übernimmt. In langen, kontemplativen und immersiven Sequenzen wird sein Wesen erforscht. Trotzdem bleibt das Meer selbst auf dem Meer ein Geheimnis, erzählt Helena Wittmann. „Man kann nicht reingucken, aber es ist klar, dass sich etwas verbirgt.“ Und plötzlich kommt man an. Ein komischer Zustand finden die Filmemacherinnen. Unfähig sich zu konzentrieren. Ohne Plan streifen sie rastlos auf den Azoren umher. Fahren. Bleiben in Bewegung. Erst ein aufkommender, dichter Nebel trägt sie an Land, indem er ihnen zeigt, dass sie auch noch auf dem Meer sein könnten. Diese Feststellung ermöglicht die Rückkehr zur Narration.

ETAPPE 5: Ankommen

Für Helena Wittmann war klar, dass sie in DRIFT einen wirklichen Schluss finden möchte. Den Film nicht einfach irgendwo ausfasern zu lassen. Dieser Herausforderung stellt sie sich. Und findet eines Tages im Atelier eine Antwort in Form eines Liedes. Immer wieder und wieder hört sie es. Eine Szene entsteht intuitiv in ihrem Kopf. Um sie zu illustrieren zeigt sie den anderen WAVELENGTH von Michael Snow. Und tatsächlich erinnert die lange Kamerafahrt in der Küche von Theresa auf ein Foto von Meer zu an WAVELENGTH. Sie skypt mit Josefina. Beide Frauen sind angekommen in ihren Wohnungen. An getrennten Enden des Ozeans. Und dieser, meint ein Zuhörer im Publikum, offenbart durch ihre Routen, die sich filmisch in die Bilder und Töne des Meeres einprägen, ein Stückchen seines Wesens.