Film

Denk ich an Deutschland in der Nacht
von Romuald Karmakar
DE 2017 | 105 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 41
10.11.2017

Diskussion
Podium: Romuald Karmakar
Moderation: Joachim Schätz
Protokoll: Laura Reichwald

Synopse

Die Technogemeinde als magische Wertegemeinschaft, gedeutet und stroboskopisch erhellt durch fünf eingeweihte Pioniere der elektronischen Schöpfung. Verbunden durch Kabel, verbunden im Sound, verbunden in der Ekstase entstehen partynächtlich kleinste gemeinsame Nenner, immer neue Einheiten in einem musikalischen Kosmos. 

Protokoll

Romuald Karmakar setzt sich filmisch bereits seit 2003 mit elektronischer Musik auseinander. Dabei teilen seine Filme wie 196 BPM und BETWEEN THE DEVIL AND THE WIDE BLUE SEA bestimmte formelle Prinzipien und Überzeugungen, findet Joachim Schätz. Auf Anfrage seines Produzenten entstand mit DENK ICH AN DEUTSCHLAND IN DER NACHT nun eine Aktualisierung. Ein Versuch, den Ist-Zustand festzuhalten.

Das Hier und Jetzt betreten wir mit einem Interview des Künstlers Ata aus dem Jahre 2006. Und dieser wirft sofort auch mit einer seiner Aussagen eine zentrale Frage des Films auf: „Der Teppich ist riesig und man sieht das Ende nicht.“ Welchen Ausschnitt gilt es anhand einer Masse von Künstlern heutzutage zu wählen? Wen und wie kann man erzählen? Karmakar erstellt eine Liste mit Clubbetreibern, Labelchefs, Verkäufern von analogen Musikgeräten und DJs, welche ihm wichtig erscheinen. Und gleichzeitig realisiert er, dass er sich reduzieren muss. Deswegen beschließt er, sich in seinen Film auf DJs zu konzentrieren, deren Entwicklung er schon lange verfolgt und die meist schon über 20 Jahre in der Szene aktiv sind. Sie als Gesichter zu wählen für die Entwicklungen an denen sie alle teilhaben. Dabei möchte der Filmemacher vor allem ihre Arbeit in den Mittelpunkt stellen. Untersuchen wie sich diese verändert hat.

Seine Protagonisten eigenen sich aufgrund ihrer reflektierten Art sehr gut für diese Art von Bestandsaufnahme. Trotzdem, so Karmakar, war es mühsam, darauf hinzuarbeiten. Er interviewt sie jeweils zwei Mal. An zwei verschiedenen, vollen Tagen. In zwei unterschiedlichen Situationen.

Das Bild was sich zeichnet ist ein sehr anderes als noch vor zehn Jahren. Viele DJs üben mittlerweile mehrere Funktionen aus, um zu überleben. Sie sind Restaurantbesitzer und Clubbetreiber geworden. Experimentieren und reflektieren in der Woche in ihren Studios und bereiten sich so auf das Wochenende vor. Das sind die Tage, an denen sie Geld verdienen, um sich ansonsten ihrer Kunst widmen zu können. Aber sie fahren dafür nicht mehr nur nach Deutschland. Auch die elektronische Musikszene ist von der Globalisierung betroffen. Um genug zu verdienen, ist es unabdingbar geworden, im Ausland zu arbeiten. Wie geht man mit dieser neu entstandenen Vielfalt der Orte um? Welche wählt man aus? Karmakar entscheidet sich gegen die reine Abbildung des „Superzentrums“ Berlin. Und so befinden wir uns plötzlich in Heidelberg oder Genf. Dabei bleibt für den Filmemacher der Club ein essentielles Element. Ein „Kultort“, wie er bemerkt. Doch von den Clubs aus BETWEEN THE DEVIL AND THE WIDE BLUE SEA existiert fast keiner mehr. Deswegen folgt der Filmemacher der Spur der Globalisierung. Begibt sich in verschiedene Länder. Und versucht die Clubwelt vor Ort in Establishingshots zu erzählen. Zu verbinden. Ohne sie genau identifizierbar zu machen. Dabei richtet sich seine Auswahl vor allem nach Kriterien wie der Zugänglichkeit des DJ-Pults, nach der Höhe der Bühne, dem Einsatz von Rauch oder einer LED-Wand. Kurz gesagt nach den filmischen Möglichkeiten, die ihm der jeweilige Ort bietet. Die so entstandenen Bilder sind für Joachim Schätz eine „Ausweitung der Perspektive über den Clubraum hinaus“.

Die Bedeutung von Orten wird auch in den Arbeitsprozessen der DJs spürbar, erzählt Karmakar und weist daraufhin, dass es für die Künstler das eine ist, Musik zu produzieren, dass andere, sie in einem Club zu spielen. Zudem wirken sie manchmal unmittelbar auf das musikalische Schaffen ein, wie beispielsweise bei Sonja Moonear. Diese lebt in einem katholischen Vorort von Genf, in welchem Glocken nach wie vor präsent sind. Das hört man später im Club, denn diese Erfahrung bindet sie ein. Man gehe eben nicht mit fünf Schlagwörtern auf einem Papier vor. Sondern man könne das Arbeiten eher mit dem Aussenden einer Sonde vergleichen. Diese bekommt Signale, die dann aufgegriffen werden. Das müsse erzählt werden und rauskommen, sagt der Filmemacher.

Um diesem Anspruch gerecht zu werden, geht Karmakar auf besondere Art mit Ton um. Er erzählt, dass er eigentlich grundsätzlich mit Liveton arbeitet. Zudem nahm er bei den DJ-Sets zusätzlich den Kopfhörerton auf. Beide Arten des Tons schafften eine ganze unterschiedliche Wahrnehmung der gleichen Szene. Letztendlich musste er sich entscheiden, da sich herausstellte, dass eine Mischung der beiden „Tonarten“ nicht funktionierte. Und so entschied er sich, den für die Charakterisierung der Arbeit eines DJs relevanten Kopfhörerton zu nutzen. Er lässt uns dreimal hören, was sonst niemand im Tanzsaal erfährt: Wir bekommen einen Einblick in den Notizblock, in die Kunst, in das Geheimnis des DJs. Ein großer Vertrauensbeweis.

So groß das Vertrauen der DJs in Romuald Karmakar auf der einen Seite war, so groß war auch das Misstrauen der Clubbetreiber auf der anderen Seite. Der Filmemacher erklärt, dass das Drehen einfach wurde, je weiter er von Berlin weg war. Das „Superzentrum“ selbst jedoch, habe sich in eine negative Avantgarde manövriert. Dort herrsche ein absolutes Bilderverbot. Gerade was das Dokumentarische anbelangt. Langsame, lange Einstellungen werden als Bedrohung wahrgenommen. Ein schneller Wischer über die Masse, damit könnten Clubbetreiber etwas anfangen. Von fünf langen Einstellungen in zwei Stunden jedoch, fühle man sich bedroht. Und so kam es vor, dass der Filmemacher sich morgens um 3:30 Uhr im Club filmästhetischen Diskussionen ausgesetzt sah. Diese Angst und Ablehnung von Bildern ist auch ein Phänomen, was sich in den letzten zehn Jahren entwickelt hat, glaubt Karmakar. Aus einer Sozialisation als Punk kommend, war er früher nicht nur am Wochenende Punk, sondern auch in der Woche. Mittlerweile jedoch würden die Leute am Wochenende in den Clubs Dinge tun, die in der Woche beispielsweise im Kreis der Kollegen nicht sichtbar werden sollen. Dieser Habitus stehe für ihn aber im Widerspruch zu den tausenden kurzen Videoclips mit denen die Szene arbeite. So scheint es hier vor allem einen Kampf gegen den ernstgemeinten Film zu geben, bemerkt der Filmemacher. Und auch wenn er das teilweise verstehe, bedauere er es. Denn so wird eine Jugendkultur rückblickend fast bildlos wahrgenommen werden müssen.

Dass dies eben nicht komplett passiert, dazu trägt DENK ICH AN DEUTSCHLAND IN DER NACHT bei. Und wie der Titel, angelehnt an das Gedicht „Nachtgedanken“ von Heinrich Heine, suggeriert, geht es eben vor allem um eine Bestandsaufnahme der deutschen Szene. Dies sei darauf zurückzuführen, sagt Karmakar, dass er in Deutschland lebe und es für wichtig hält, diesen Teil deutscher Kultur zu erzählen. Es gäbe zudem tausende von DJs auf der Welt, die gut sind. Da müsse man sich einschränken. Und deswegen schränke er sich auf die Leute ein, die hier leben, arbeiten und dazu beitragen, dass es in unserer Gesellschaft diese Kultur gibt. Dass diese internationale Anerkennung bekommt und man sie überall auf der Welt spielen könne, ohne wie Heinrich Heine dafür ins Exil gehen zu müssen.

 Joachim Schätz, Romuald Karmakar, Werner Ružička v.l. © Duisburger Filmwoche, Foto: Simon Bierwald
Joachim Schätz, Romuald Karmakar, Werner Ružička v.l. © Duisburger Filmwoche, Foto: Simon Bierwald