Film

Atelier de conversation
von Bernhard Braunstein
AT/FR/LI 2017 | 72 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 41
09.11.2017

Diskussion
Podium: Bernhard Braunstein
Moderation: Katrin Mundt
Protokoll: Jan Harms

Synopse

Umgeben vom geschäftigen Schweigen einer Pariser Bibliothek, üben sie sich im Austausch; erproben in einer fremden Sprache allzu vertraute Bilder ihrer Gegenüber: syrische Geflüchtete, britische Banker, chinesische Studentinnen, türkische Richter. Gemeinsam in einem Raum, um gemeinsam Französisch zu sprechen und feststehende Begriffe zu verschieben.

Protokoll

Von Katrin Mundt bereits als „ein Film über das Sprechen“ angekündigt, zeigt ATELIER DE CONVERSATION unterschiedlichste Richtungen, in die die Gespräche in den Stuhlkreisen der Bibliothek des Centre Pompidou verlaufen können. Menschen mit denkbar verschiedenen Hintergründen und Lebensgeschichten treffen hier aufeinander, bilden einen globalen Mikrokosmos – mit einem Ziel: Französisch zu sprechen. Die Themen der Gespräche sind dabei vereinend und trennend zugleich, das Reden über wirtschaftliche und andere Krisen, Geschlechterrollen und Stereotypen, Liebe, Heimweh und Religion deckt scheinbar Universelles, insbesondere aber kulturelle Spezifitäten auf. Die Stille wird dabei immer wieder zum Teil des Sprechens. Es geht um die richtigen Worte – auch wenn sie fehlen.

Das Atelier de Conversation, so sind sich Katrin Mundt und Bernhard Braunstein einig, ist eine Werkstatt. Hier entsteht etwas, im Prozess der Sprache und des Sprechens wird in der heterogenen Gruppe gemeinsam etwas hergestellt. Braunstein sieht das Atelier als einen Ort des vielfältigen Kontakts und ungezwungen Ausprobierens. Die Idee für den Film entstand aus seinen eigenen positiven Erfahrungen. Nach seinem Umzug nach Paris half ihm selbst dieser Rahmen, sich in der Fremde der unbekannten Sprache zurecht zu finden. Auch an allen Gesprächen, die im Film sehen sind, nahm er selber teil – sein Beitrag erschien ihm jedoch zu unwichtig für die Botschaft des Films, um selbst darin sichtbar zu werden. Nach dem Schnitt blieb lediglich seine Stimme vereinzelt hörbar.

Katrin Mundt stellt fest, dass die Augenhöhe der Gespräche, in denen es keine Angst vor Fehlern, Beurteilung und Verbesserungen gibt, die gegenseitige Unterstützung aller Teilnehmer*innen möglich und nötig macht. Aus den sprachlichen Hilfestellungen entstehen Lücken und Brüche, die ihrerseits Neues zu Tage fördern können. Die „Fehler“, die manchmal erst durch die „Verbesserungen“ entstehen, ergeben immer wieder Mehrwerte, expressive Wortfindungen, die viel stärker erscheinen, als die Standardsprache es sein könnte – etwa wenn eine chinesische Studentin ihrem Heimatland statt der umsichgreifenden Finanzkrise eine „Krise des Glücks“ attestiert. Im aufeinander Eingehen zeigt die Sprache für Bernhard Braunstein ihre eigene Präsenz, die zugleich Präsenz ihrer Sprecher*innen ist: Ich bin hier, die Kette der Worte reißt nicht ab, das Spiel der Sprache dreht sich immer weiter. Mit die stärkste Verbindung stiftet für Mundt dabei wohl das herzliche Lachen, das zwischendurch aufleuchtet und sich von Beginn an auf das Publikum der Festivalvorführung überträgt.

Der Stuhlkreis im Atelier ist schon fast eine klischeehafte Kommunikationssituation, „von Therapie bis Parlament“ wie Katrin Mundt anmerkt, diese Form bildet aber auch einen genauen, präzise gesetzten Rahmen. Daraus ergibt sich die Frage, wie die sensible Aufzeichnung der Gesprächsrunden bewerkstelligt werden konnte: Braunstein betont, dass durch die Positionierung der Kamera genau in der Mitte des Kreises alle Teilnehmer*innen gleichwertig in den Blick genommen werden konnten, alle sind in der gleichen Einstellungsgröße zu sehen. Zugleich war dem Regisseur eine hochwertige Tonaufzeichnung durch mehrere feste Mikrofone und einen Toningenieur wichtig. Trotz der sehr präsenten Filmtechnik sieht Braunstein den Zauber des Ateliers im Film aber ungebrochen.

Die Aufnahmen entstanden bei 26 Sitzungen über eineinhalb Jahre, der Schnitt benötige ein weiteres Jahr. Im Prozess der Montage galt es dabei immer wieder die richtige Balance zwischen den verbalen und nonverbalen Aspekten der Konversation zu finden, sowie thematisch übergreifende und emotionale Bögen zu halten. Das entstandene Verhältnis von On und Off, so erklärt Braunstein später auf Nachfrage aus dem Publikum, soll den Zuschauer*innen ein langsames Kennenlernen der Figuren erlauben, die Stimme geht oft dem sichtbaren Auftritt voraus. Ein Zuschauer merkt an, dass die Reaktionen, die während der Gespräche den Stimmen aus dem Off beigefügt werden, in der Montage auch äußert suggestiv gesetzt werden können – eine große Verantwortung für den Filmemacher. Braunstein ist sich dieser ethischen Dimension des Schnitts durchaus bewusst. Aus seiner persönlichen Teilnahme an den Gesprächen und seiner Vertrautheit mit deren Figuren heraus ist er sich aber sicher, stets eine sorgfältige Auswahl vorgenommen zu haben, die eine Annäherung an die tatsächlichen Reaktionen darstellt. Auch die Teilnehmer*innen, die den Film gesehen haben, zeigten sich damit zufrieden.

In seinem Verlauf erweitert der Film den Kreis, beobachtet Katrin Mundt: Die Bibliothèque publique d’information kommt als das „Draußen“ des Schutzraum der Runde in den Blick. Neben den vielen Lesenden und Lernenden, die diesen besonderen, aus dem Erbe der 68er hervorgegangenen Raum nutzen, zeigen sich für Braunstein aber auch hier Brüche in der Gesellschaft. Besonders evident erscheint dies etwa in der frappierenden Differenzierung der Mitarbeiter*innen der Bibliothek, in die weißen Bibliothekskräfte auf der einen und das schwarze Reinigungspersonal auf der anderen Seite. So zeigen die im Gespräch eröffneten Themen auch ihre Relevanz für die Welt „da draußen“.

Nicht nur die gesprochene Sprache ist zentral im Atelier, auch Körpersprache spielt eine besondere Rolle. Katrin Mundt stellt fest, wie sich die Posen des Zuhörens der gezeigten Figuren im Publikum spiegeln, das sich hier in einer Situation des neugierigen Hörens findet. Die Körpersprache ist für Braunstein auch eine Möglichkeit des Ausdrucks, wenn einen die fremde Sprache verlässt. Wo mit den Worten gerungen werden muss, zeigen sich bisweilen die beinahe therapeutischen Aspekte des Gesprächskreises.

In der Diskussion sprechen die Zuschauer*innen dem Regisseur überwiegend großes Lob aus, sowohl für die konzeptuelle Strenge als auch für die unterhaltsame Kurzweiligkeit des Films. Ein Zuschauer sieht mit ATELIER DE CONVERSATION einerseits Fragen aufgeworfen, wie politisch wir sein wollen, wie und wo allgemein relevante Fragen unserer Zeit diskutiert werden können – eine der vielleicht wichtigsten selbst, die Migration, ist omnipräsent. Zugleich kann der Film auch als ein simpler wie charmanter Lösungsvorschlag gesehen werden, mit den Anderen in einen offenen, gleichberechtigten Austausch zu treten. Bernhard Braunstein stimmt dieser Idee emphatisch zu und verweist auf den Erfolg des Ateliers, das mittlerweile in ganz Frankreich Ableger findet. Die Beschränkung der Gespräche auf die scheinbar „leichten Dinge“, so ein weiterer Kommentar aus dem Publikum, erweist sich als viel effektiver als die direkte Debatte um große Themen, der Schutzraum des Ateliers eröffnet neue Möglichkeiten des Austauschs. Zuletzt wird mit einer Anmerkung noch auf die sehr unterschiedliche Seherfahrung für ein nicht Französisch sprechendes Publikum hingewiesen. Der Regisseur stimmt dem zu, schätzt den Verlust jedoch als eher gering ein. Details gehen allerdings dennoch verloren, für die Untertitelspur entschied man sich, Fehler bewusst nicht zu übernehmen, um den Zuschauer*innen ein besseres Folgen auch der visuellen, nonverbalen Aspekte zu ermöglichen.