Film

Un solo colore
von Joerg Burger
AT 2016 | 80 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 40
08.11.2016

Diskussion
Podium: Joerg Burger
Moderation: Ivette Löcker
Protokoll: ?

Synopse

In den baufälligen Gassen eines kalabrischen Dorfes spielen wieder Kinder. Der verlassene Ort, selbst von Emigration geprägt, ist eine belebte Stätte der Zuflucht geworden: Hier können Geflüchtete teilhaben, statt zu warten, ankommen, statt ihrer Abfertigung zu harren. Doch manchmal ist auch ein Leben im Leerstand eines im Wartestand.

Protokoll

Am Tag nach der US-Amerikanischen Präsidentschaftswahl fällt es schwer ein Diskussionsprotokoll zum Film „Un solo colore“ von Joerg Burger zu schreiben.

Die Welt ist momentan augenscheinlich nicht der Ort, wo es nur eine Farbe gibt. Denn viele Länder entscheiden sich für Abschottung und gegen multikulturelle, grenzenlose Gemeinschaften. Umso mehr erscheint das Aufnahmeprojekt von Giusy Carná und Rosario Zurzulo, in der kleinen süditalienischen Gemeinde Camini, als kleiner Lichtblick in stürmischen Zeiten (ein Leuchtturmprojekt sozusagen).

Das 800 Seelennest hat seine besten Tage hinter sich – Gassen ohne Menschen, Häuser ohne Besitzer, brachliegendes Land.

Bedroht vom Aussterben, möchte das Projekt des Ehepaars Zurzulo und Carná, Camini, mithilfe der Asylwerbenden aus unter anderem Syrien, Libyen und dem Irak, wieder fruchtbar machen. Statt der Anonymität eines großen Auffanglagers, bietet das Projekt einen familiären Rahmen, der mit einer eigenen Wohnung, Erziehung der Kinder und Arbeit, Aussichten auf ein „besseres Leben“ für die Migranten verhofft. Diese scheinbare „Win-win- Situation“ wird jedoch in Burgers Film nicht naiv glorifiziert. Ivette Löcker erkennt eine Bruchlinie in der Darstellung. Zwar werde das Projekt von den Betroffenen gelobt, dennoch bekomme der Zuschauer das Gefühl, dass es auch Schwierigkeiten gebe und die Asylsuchenden unzufrieden seien.

Joerg Burger bestätigt, dass sich die Asylbewerber lieber einen anderen Ort wünschten. Deutschland oder Frankreich seien attraktivere Ziele, als die im Winter besonders kalte italienische Einöde. Trotzdem sieht Burger vor allem in der Integration der Kinder den großen Vorteil des Projekts. In Camini konnte endlich wieder eine Schule eröffnet werden, mit 13 italienischen und 13 aus Flüchtlingsfamilien stammenden Schülern. Außerdem komme es zu einem multikulturellen Austausch zwischen den Migranten aus den unterschiedlichen Ländern. Bei gemeinsamen Aktivitäten werden Barrieren abgebaut und so eine „Ghettobildung“ vermieden.

Ivette Löcker fragt daraufhin kritisch nach, warum die Projektleiter zu Anfang des Films derart viel Raum bekämen, wohingegen die betroffenen Migranten erst in der Mitte des Films zu Wort kämen. Diese Entscheidung, so Burger, traf er beim Schnitt des Films. Dabei räumt er ein, dass er es heute nicht mehr so machen würde, da die „Neuentwicklungen den Film überrollen“. Dennoch zeige das Projekt einen alternativen Weg auf, um mit den Auswanderungswellen der Neuzeit umzugehen. Deshalb hatte er kein Interesse daran, den Film an die gegenwärtigen Geschehnisse anzupassen. Die Botschaft der beiden Projektleiter sei wichtig und ein Beispiel dafür „wo Menschen was versuchen“.

Die Entscheidung für den finalen Schnitt traf Burger ganz alleine. Er führte nicht nur Regie, sondern war auch zuständig für Kamera und Schnitt. Nur eine Interviewerin benötigte er dann doch, da er der italienischen Sprache nicht mächtig sei. Für ihn sei es jedoch „die ideale Arbeit“, alles selbst zu machen. Da er eine reduzierte Geschwindigkeit beim Filmen bevorzuge, sei das ruhige Dorf prädestiniert für seine Machart gewesen. Diese wird vor allem in den Passagen der Beobachtung deutlich: Burger verzichtet in diesen Sequenzen auf Untertitel und lässt das Laute und „typisch Italienische“ des Dorfes zum Vorschein kommen (Ruzica nennt diese Szenen im Verlauf der Diskussion „Überanspruchsszenen“).

Ein Diskutant lobt den Film und zeigt sich sehr berührt. Er selbst sei in der Flüchtlingshilfe tätig. Für ihn sei die Botschaft der Projektleiter, Menschen würdevoll zu behandeln, besonders wichtig. Auch in Duisburg werde gleiches versucht. Der große Unterschied zu Projekten in Deutschland oder Österreich, entgegnet Burger, liege darin, dass es in Italien viele Langzeitprojekte gebe und man nicht von Freiwilligen, die im Laufe der Zeit ihre Bereitschaft verlieren, abhängig sei.

Eine Bereitschaft, die Giusy und Rosario in emotionaler und fast pathetischer Manier, nicht nur in den Interviewsituationen, zum Ausdruck bringen. Kathrin Mundt spricht hier von einem Bedürfnis oder gar einem Druck sich als Helfer zu inszenieren. Darüber hinaus entdeckt sie einen Widerspruch in Rosarios Aussage, Flüchtlinge nicht wie Nummern zu behandeln, und einer Szene, in der zwei Frauen Poster eines Work-Shops auswerten: Wird die Wissensproduktion in dieser Szene nicht über die Migranten hinaus inszeniert?

Burger widerspricht Mundt. Insbesondere in Süditalien wirkt die Art der Kommunikation der Einheimischen überhöht oder gespielt. Der Zuschauer bekomme aber authentische Empathie von „sehr katholischen Italienern“ zu sehen. Der Pathos sei einfach nicht zu stoppen gewesen, lamentiert Burger. Darüber hinaus seien die Frauen in der besagten Szene Psychologinnen. Dabei erkläre die eine der anderen Psychologin ihre Methode im Umgang mit unterschiedlichen Kulturen. Mit ihrer Sozialarbeit unterstützen sie außerdem Lehrer, die mit den Schicksalen der zum Teil traumatisierten Kinder überfordert seien.

Eine Stimme im Auditorium fragt nach den Kameraentscheidungen „von erhöhten Standpunkten“ im Film. Insbesondere das Bild der Hirten, die ihre Schafe zusammentreiben, könne man als Metapher begreifen. Burger ging es eher darum die Atmosphäre zu zeigen: „Ein biblisches Bild passt nach Kalabrien“.

Die letzte Frage der Diskussion wirkt redundant, verdeutlicht jedoch die vorherrschende Skepsis der Diskussionsrunde: Warum hast du gerade in Camini gedreht? Auch diesem Fragenden stößt die markante Selbstinszenierung der Helfer auf. Ihm komme es vor, als wenn sie sich in einem „moralischen Wettbewerb“ befänden und sich anderen Gemeinden gegenüber profilieren wollten.

Burger stellt sich demonstrativ vor seine Protagonisten: Es gehe den beiden nicht um moralische Erhebungen, sondern nur um die Kinder. Ihnen müsse geholfen werden.

Aktueller könnte dieser Aufruf nach Solidarität nicht sein – Am heutigen Tag bleibt jedoch der Eindruck bestehen, dass auch die letzten Lichter der übriggebliebenen Leuchttürme dieser Welt von Gewitterwolken verschlungen werden.