Film

Mutterglück
von Chris Wright, Stefan Kolbe
DE 2016 | 41 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 40
08.11.2016

Diskussion
Podium: Chris Wright, Stefan Kolbe
Moderation: Till Brockmann
Protokoll: Lisa Rölleke

Synopse

Sarah quittiert die scheinbare Vorherbestimmtheit ihres Schicksals mit trotziger Melancholie. Nach einer betrüblichen Kindheit im Heim ist sie entgegen ihrer hehren Vorsätze mit 19 Jahren selbst Mutter. Mit ihrem Freund Daniel übt sie sich nun in Fürsorge und probt ein Entkommen aus der Trostlosigkeit.

Protokoll

„Du verlierst sowieso, lass es doch!“

Mit dieser Aussage möchte die Hauptprotagonistin Sarah ihren Freund vom Spielen mit dem Handy abhalten. Chris Wright und Stefan Kolbe versuchen in Mutterglück Momente einzufangen, die das Scheitern der beiden jungen Erwachsenen als Eltern nicht sofort vorwegnehmen. „Zwei Waisenkinder bekommen ein Kind. Ein kurzer Film über die Möglichkeiten der Liebe“, so beschreiben die Filmemacher den Film im Festivalkatalog. Weniger optimistische Einblicke ergeben sich in der anschließenden Diskussion. Der Film sei sehr hoffnungsvoll geschnitten, so Stefan Kolbe.

Till Brockmann eröffnet das Gespräch mit einer Frage zu den in schwarz-weiß gehaltenen Rückblicken in Mutterglück. Für ihren Film Kleinstheim (2010, df 2010) hatten Stefan Kolbe und Chris Wright in einem Kinderheim gedreht und eine sehr persönliche Beziehung zu der damals 12-jährigen Sarah aufgebaut. Als Sarahs Schwester Nancy drei Jahre später mit 19 schwanger wird, nahmen die Regisseure dies als Anlass, Sarah noch einmal zu besuchen. Damals findet sie ihre 19 Jahre alte Schwester zu jung für ein Kind. Als Sarah dann mit ebenfalls 19 schwanger wird, beschließen die Filmemacher ein drittes Mal mit Sarah zu drehen, nun mit ihrem Freund Daniel und der gemeinsamen Tochter Marie.

Brockmann wundert sich bei dieser langjährigen Zusammenarbeit über die Stellen im Film, in denen Sarah die Kamera als lästig bezeichnet und sich dem Versuch, ihre Kindheit zu reflektieren, verweigert. Während des gesamten Drehzeitraums, so Kolbe, sei man sich immer wieder gegenseitig auf die Nerven gegangen. Es sei ein schwieriges Projekt gewesen, weil private und professionelle Interessen miteinander kollidierten. Schließlich seien sie über die Jahre für Sarah zu Bezugspersonen geworden, es habe ein gegenseitiger Austausch stattgefunden. Speziell in Hinblick auf die Kameraarbeit habe er immer versucht auszutarieren, „wie nah man miteinander tanzen kann“.

Verbale Kommunikation zwischen den Eltern fände nur zu Beginn des Films statt und ihre Beziehung nach der Geburt der Tochter würde nicht weiter thematisiert, findet der Moderator. Wright erklärt daraufhin, dass Sarah und Daniel auf eine ganz eigene Art miteinander kommunizieren und dabei nicht wirklich verbal aufeinander eingehen würden. Zärtlichkeit innerhalb ihrer Beziehung hätten sie vor der Kamera ohnehin nicht zeigen wollen. Gerade deshalb hätten die Filmemacher versucht, wenigstens Sarah zum Gespräch zu zwingen. Kolbe sieht darin ein Dilemma, weil er in der Suche nach Zärtlichkeit und Reflexion unter der trotzigen Fassade den Wunsch sieht, die eigenen Sorgen zu beruhigen. Während der Schwangerschaft hätten die Regisseure die Hoffnung gehabt, Daniel und Sarah könnten sich aufgrund ihrer ähnlichen Horizonte eine Stütze sein. Die Situation sei jedoch mit der Geburt von Marie umgekippt und in totale Überforderung umgeschlagen. Teilweise hätten sie selbst das Kind aus dem Bett gehoben, um es zu trösten, weil keiner der beiden Eltern ins Zimmer kam. Wright bemerkt, dass sowohl Sarah als auch Daniel durch das Aufwachsen als Waisen nicht gelernt hätten, wie man Liebe anders zeigen könnte als durch viele Geschenke, ein im Gegensatz zum Rest der Wohnung sauberes Kinderzimmer oder einen aufwendig gestalteten Betthimmel.

Ein Diskutant aus dem Publikum hätte es interessant gefunden, zu erfahren, woher die Eltern ihr Geld beziehen, ob es Kontakt zum Jugendamt oder anderen Institutionen gibt. Hier merkt Wright an, dass jegliches Erwähnen dieser Thematik sofort eine massive Abwehrreaktion ausgelöst habe. Die jungen Eltern hätten eine kompromisslose Einstellung zu allen Autoritätspersonen und die Nachfrage der Regisseure sofort als Vorwurf aufgenommen. Kolbe wollte außerdem jede Form des Expertentums vermeiden. Der Film stelle seiner Meinung nach eine Miniatur dar, die den institutionellen Rahmen genauso ausklammert wie Daniels rechtspopulistische Gesinnung, die im Film zwar durscheint, aber nicht explizit thematisiert wird. Das Format des 40-minütigen Kurzfilms zeige Sarahs und Daniels Leben mit dem Kind als Kammerspiel in der häuslichen Umgebung, bei der kein Platz für ein Außen vorhanden sei. Eine Ausnahme macht Mutterglück, wenn er Daniel zum Tätowierer begleitet und Sarah in der letzten Szene ihr ehemaliges Zuhause, das Kinderheim, besucht. Dies seien die einzigen Möglichkeiten gewesen, mit beiden Elternteilen einzeln zu drehen. Sonst seien sie fast nur zu Hause in ihrem gewohnten und abgeschotteten System anzufinden gewesen.

In der finalen Sequenz legt Sarah das Kind auf ein Hochbett, wo es friedlich schläft und entfernt sich dann aus dem Bild. Brockmann sieht in der Szene eine Anspielung auf die elterliche Abwesenheit in Sarahs und Daniels Kindheit und die scheinbare Vorbestimmtheit des Schicksals ihres Kindes. Eben diesen Aspekt fanden die Regisseure spannend. Sie sehen den Film jedoch weit weg von einem Elendsfetischismus sondern als Kunstwerk, das versucht, auch an den schwierigsten Orten eine moralische Schönheit zu finden. Zum Schluss erzählt Kolbe, dass man aufgrund der Überforderung der Eltern eigentlich irgendwie hätte eingreifen müssen, aber dann ist Sarah wieder schwanger und sie freut sich auf das Kind.