Film

Stadt der Elefanten
von Marko Mijatovic
DE/BA 2015 | 29 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 39
04.11.2015

Diskussion
Podium: Marko Mijatovic, Paul Spengemann (Kamera)
Moderation: Katrin Mundt
Protokoll: Iris Fraueneder

Synopse

Ein magischer, ein geheimnisvoller, ein verlassener Ort. Im bosnisch-herzegowinischen Vareš bedeckt der Schnee trostlose Stätten rätselhafter Erinnerungen und Überbleibsel mythischer Erzählungen. Seine Einwohner suchen nach Erklärungen für das Unheimliche und finden Verweise ins kriegsversehrte Gestern.

Protokoll

Stadt der Elefanten. Ein Film, der nicht sofort Tür und Tor öffnet, in dem vieles bloß angedeutet oder lückenhaft bleibt, der Fährten legt, denen man folgen kann, aber nicht muss. Personen treten aus dem Bildrahmen, oder entfernen sich von der Kamera, hinterlassen Spuren im Schnee. Teils sind Stimmen zu hören, Kommentare der Protagonist_innen, die in ein nicht näher bestimmtes Verhältnis zu den sich beiläufig erschließenden Landschaften treten.

Daran knüpft Katrin Mundts erste Frage an: ob es sich bei dem Gesprochenen um freie Assoziationen oder gelenkte Gespräche handle. Regisseur Marko Mijatovic bejaht teilweise, einige der Gespräche seinen vorgefertigt gewesen. Aber gerade die Landschaft sei zentral in ihrem Transportieren und Konservieren von Geschichte/n, wobei die Fahrten durch die Landschaften als Aktivierung fungieren sollten. Ihre Vorgehensweise, im Film immerfort Kreise zu ziehen anstatt die Epizentren zu betreten, entspräche auch auf der inhaltlichen Ebene den tastenden Annäherungen an die Themen und Geschichten. Zum Aspekt der Kreisbewegung bringt Mundt ihre Beobachtung der vielen statischen Häuseransichten ein, die für sie wie Ankerpunkte wirkten, als wolle das Filmteam die Anatomie der Stadt mehr über die einzelnen Häuser als über die urbane Struktur erzählen.

Mundt fragt nach der Auswahl der Drehorte, ob sie etwa von den Wünschen der Protagonist_innen ausgegangen seien, worauf Mijatovij antwortet, sie hätten sich teils mittels Karten und Erkundungsgängen vor Ort orientiert, sich aber auch einfach von den Menschen führen lassen. Die Vorgehensweise sei mehr verspielt als konzipiert gewesen und kein homogenes Ziel definiert worden, so Paul Spengemann, der Kameramann.

Er thematisiert die sprachlichen Hürden und Lücken und die Chance des Nichtverstehens, die Annäherungen über die Landschaften und die Geste der Übersetzung. Mundt greift das Herantasten an Vareš von Außen nach Innen und das Stichwort der Geste auf – viele der Geschichten, die der Filmtitel angekündigt, würden über Gesten erzählt beziehungsweise angedeutet. Etwa in einer Szene über die sehr haptische Suche nach Familienfotos, oder an anderen Stellen über das Reparieren der Seilbahn oder der Dusche. Diese Gesten würden nicht aufgelöst, jedoch schienen sie ab der Mitte des Films (nachträglich) zu sprechen zu beginnen: wenn mit der Figur der Therapeutin das Trauma als möglicher Schlüssel eingeführt wird. Diesen Punkt zu setzen, so Mijatovij, sei ziemlich schwierig gewesen und mehr im Ausschlussverfahren vollzogen worden. Die Stelle, die übrig blieb, war schlicht die sicherste um früh genug ansatzweise Klärung zu schaffen aber zugleich die notwendige Offenheit zu wahren, um niemanden in ein bestimmtes Licht zu rücken und etwa als traumatisiert zu stigmatisieren. Mundt bestätigt die Diskretheit. Die Therapeutin wird nicht als Leiterin eines deutschen Therapiezentrums zur Behandlung von Traumapatient_innen vorgestellt, sondern betritt den Film über das Zeichnen eines Diagramms am Papier, oder den Bruch in der Sprache, wenn plötzlich Deutsch gesprochen wird.

Jemand fragt ob oder in welcher Form sich denn die Protagonist_innen selbst mit den Traumata auseinandersetzten, die im Film nicht explizit behandelt werden und doch präsent sind. Mijatovic meint, er glaube schon, dass Kompensationsarbeit stattfände, Erklärungen für die Zustände gesucht und Ventile geschaffen würden. Seine eigene Funktion sieht er mehr im Darstellen und Zuhören als darin aktiv einzugreifen. Mundt weist auf den Wunsch nach Heilung und Reparatur hin, der sich motivisch als Metapher durch den Film zieht.

Eine Zuschauerin spricht ihre Schwierigkeiten an, in den Film hineinzufinden. Sie kritisiert die Montage, die ihr das Erschließen der Thematik erschwert hätte sowie die filmische Vorgehensweise, das Leid nie anzusprechen, obwohl es doch stets spürbar sei. Etwa wenn ein Mann berichtet, wie er nachts Kinder weinen zu hören meint, oder man davon erfährt, wie jemandes Beine immer dann Lähmungserscheinungen aufweisen, wenn ein bestimmter Ort passiert wird. Mijatovij wendet ein, gerade dies – die Dinge spürbar zu machen, anstatt sie zu erklären – sei ihnen ein wesentliches Anliegen gewesen. Der allgegenwärtigen Überladung mit schockierenden Nachrichten und der damit einhergehenden Gefahr der Abstumpfung entgegenzuarbeiten und mit dem Film eine Architektur zu schaffen, in der Dinge zur Sprache gebracht ohne als Schreckensbotschaften artikuliert zu werden. Eine klandestine Ästhetik zu entfalten, die sich elliptisch bewegt, vieles ausspart, nichts erklärt. Beim Publikum vor Ort sei das gut angekommen da den Menschen durch die konzeptuelle Unbestimmtheit Möglichkeiten der Identifizierung und der Anknüpfung an die eigene Geschichte gegeben würden.

Bosnien als Territorium und die ethnischen Konflikte klingen im Film an, nicht zuletzt weil der gezeigte Raum zwangsläufig ethnisch kodiert ist, doch bei der filmischen Annäherung an die Protagonist_innen spielt ethnische Identifizierbarkeit keine Rolle. Mundt stellt die These auf, sie würde ausgeblendet beziehungsweise ausgespart um territoriale Verortbarkeit bewusst zu verhindern, wobei Mijatovij ihr zustimmt. In der Vertrautheit der Begegnungen mit den Menschen könnten ethnische Probleme vielmehr erlebt werden, als dass sie dargestellt werden müssten, etwa indem gezeigt würde, welche Protagonist_innen Christen und welche Muslime seien.

Gegen Ende des Gesprächs spricht Mundt den Filmbeginn und die tableauartige Winterlandschaft der ersten Einstellung an, den atmosphärischen Ton, der damit eingeführt wird – warum Winter?

Winter, weil es die Metapher gibt, unter dem Schnee liege etwas begraben. Und weil dieser dem Schleier entspräche, der über der Stadt liegt, den Schichten, zwischen denen Dinge verborgen sind. Winter, weil sich im Winter alles zusammenzieht und familiär wird, was im Sommer flüchtiger ist.

Die letzte Frage ist an die Idee der dramaturgischen Rahmung ,aus dem Dunkel ins Dunkel‘ gerichtet. Das Ungewisse des Dunkels, meint Mijatovij, entspräche dem offenen Ausgang des Films. Opazität statt Transparenz, Offenheit, die eigene Verbindungen zulässt, dazu einlädt individuelle Erfahrungen assoziativ einzuweben. Am Schluss des Films stehen die Jugendlichen und die Unklarheit ihrer Zukunft.

Stadt der Elefanten. Die Jugend von Vareš sieht den größten Erfolg, den man in ihrem Land erzielen kann, darin es zu verlassen. Es zu verlassen um vielleicht später zum Sterben zurückzukehren – wie die Elefanten. Die Frage ob denn die Menschen im Film Heim- und Wiederkehrende seien wird jedoch verneint. Sie sind Dagebliebene, manche vielleicht kurz im Ausland gewesen – der Film ein Film in Abwesenheit der Elefanten der Stadt.