Synopse
Neue Konzepte für Köln-Ehrenfeld. Weg mit den Industriehallen, weg mit Kunst, Kultur und Kleingewerbe. Jetzt soll mächtig investiert werden. In eine Shoppingmall mit großem Dach, gut kalkuliert. Doch ohne den Bürger und dessen Träume. Die Ämter erwachen. Und am Ende?
Protokoll
Ein Schwenk über ein im Morgendunst daliegendes Köln. Die Sonne scheint auf das knapp vier Hektar große Heliosgelände, dem ein Wandel bevorsteht. Das alte Handwerk soll weichen, die teils brachliegenden Flächen neu bebaut werden. „Die Stadt ist ein lebendiger Organismus“, bemerkt die Stadtverwaltung. Der ersten Idee, dem Bau einer neuen Shoppingmall, widersetzen sich die Bürger. Schließlich entsteht ein Konsens: Eine neue Schule könnte die Lösung sein. Doch dies scheitert möglicherweise an der Finanzierung – und das, wo die Bürgerbewegung die Stadt gerade erst 90.000 Euro gekostet hat.
Als ein Wochenblatt mit der Schlagzeile „Shoppingmall in Ehrenfeld“ in das Büro der Kölner Regisseurin Anna Ditges geschneit kam, entwickelte sie ihre Idee zu „Wem gehört die Stadt? – Bürger in Bewegung“. Zuvor hatte sie sich bereits mit der Position des Einzelnen im städtischen Gefüge gedanklich beschäftigt – als das Stadtarchiv Köln einstürzte und der Bürgermeister es mit dem Verweis auf zu hohe Komplexität der Sachlage ablehnte, die Verantwortung zu übernehmen. Sie wollte allerdings keinen investigativen Film machen, sondern schlichtweg untersuchen: Wie wird geplant? Dabei fand sie es spannend, den Bürgern zu folgen, die ja als Laien in diesen Prozess eingestiegen waren.
Till Brockmann fragt nach der Gewichtung – habe sie denn allen Gruppen gleichviel Sympathie entgegenbringen können und gleichviel Raum geben wollen? Ditges sagt, selbst die Bürgerinitiative sei ja sehr heterogen gewesen; erst im Schnitt habe sich herausgestellt wer wieviel Raum einnehmen würde. Beim „Darwinismus“ im Schnitt entscheide man allerdings nicht nur, wer gute Protagonisten seien, sondern auch, welche Funktion sie hätten und wie man mit ihnen den Film erzählen könne. Brockmann merkt an, wenn man den Film formal betrachte, stoße man auf einige Klischees: Vieles käme, wie man es erwarte, die Politiker säßen statisch aufgenommen vor einer weißen Wand, den Bürgern käme man mit Handkamera näher, es gäbe hier auch mehr Farbe. Er fragt, ob das Symbolische bewusst gewählt sei? Ditges sagt, man überlege es sich und es ergebe sich gleichermaßen. Klar inszeniere sie, wenn sie die Kamera aufstelle und suche nach einem Blick, den sie als „passend“ empfände. Sie versuche ein Bild zu finden, das ein Portrait der Figur sei. Brockmann meint, dass ihm die Investoren sehr „blauäugig“ dargestellt vorkämen. Ditges widerspricht, sie empfände sie nicht als blauäugig, sondern als strategisch und am Ende erstaunlich flexibel. Brockmann hakt noch einmal nach, dass er sich nicht beim Golfen filmen lassen würde, das Klischee sei doch offensichtlich. Ditges erklärt, dass sie sich die Hobbys angeschaut habe und die Protagonisten in ihren Freizeiträumen zeigen wollte. Auf Bauwens- Adenauers Zweifel hin, dabei gut wegzukommen, habe sie ihm erklärt, sie wolle eben zeigen, wie er Zeit verbringe. Klar sei es ein Klischeebild, aber es ginge insofern darüber hinaus, als er ja die Möglichkeit hatte, sich vor der Kamera auch in diesem Moment frei zu äußern. Er würde sogar auf dem Golfplatz einen Kritikpunkt an der Stadt los. Außerdem böten solche Klischees eine Möglichkeit, sich in einem dichten Film zu orientieren. Sonst seien ja alle gleich.
Auf die Frage aus dem Publikum zum Umgang mit den verschiedenen Gruppen und deren Offenheit ihr gegenüber unterstreicht Ditges, dass sie immer allen gesagt habe, nicht nur eine Seite zeigen zu wollen. Sie habe sich das Vertrauen und die Freiheit erbeten, den Film so machen zu können. Vor der Kamera konnte sich jeder äußern, später gab es kein Veto-Recht. Das wäre ein zu hohes Risiko gewesen bei so viel Arbeit. Sie habe Empathie gehabt für die Menschen, bei denen etwas auf dem Spiel stand, wollte sich aber nicht auf eine Seite schlagen. Jemand aus dem Publikum merkt an, dass der Film recht konfliktfrei sei. Er fände daher schon, dass sie Position bezogen habe – und zwar für ein Modell von deliberativer Demokratie. Am Ende käme man zu einem furchtbar schönen Konsens, von dem aber gar nicht klar sei, ob er klappe. Der Film unterstütze dieses Modell. Er fragt weiter, ob nicht ein Großteil von Menschen von der Bewegung ausgeschlossen bliebe – die Leute der Bürgerinitiative seien wohlgebildet, als Vertreter für Migranten gäbe es nur den Mann mit dem Holzkohlegrill, über den man lache, der sonst aber keine Funktion habe. Ditges sieht den Film nicht als Werbefilm für ein Politikmodell, er lasse aus ihrer Sicht Interpretationsraum, auch die Bürgerinitiative kritisch zu sehen. Sie habe sich viel Mühe gegeben, mit Migranten zu arbeiten, das war jedoch nicht einfach, da sie sich nicht aktiv eingebracht hätten. Sie hätten das Gefühl gehabt, kein Mitspracherecht zu haben.
Ob sie denn gekittet oder Spannungen im Schnitt weggenommen habe, will Brockmann wissen. Bürger machten ja Realpolitik und da finde immer jemand was nicht gut, was ein anderer mache. Ditges verweist auf das Beispiel mit dem Park, den einige Romantiker der Bürgerinitiative statt einer anderen Bebauung durchsetzen wollten, sagt aber auch, alle unterschiedlichen Meinungen hätte man nicht en detail zeigen können. Brockmann empfindet das Parkdilemma als nicht sehr konfliktreich, sondern eher als kollegial. Ditges geht es anders, es habe schon Rivalitäten gegeben, interessanter wären für sie jedoch die Konflikte zwischen der Bürgerinitiative und der Schreinerin gewesen, nachdem erstere sich zum Sprachrohr aller Bürger gemacht habe. Eine Frau aus dem Publikum bemerkt, dass sie den Satz „Man darf das nicht persönlich nehmen“ (den fehlenden Dank der Bürger), den Frau Müller aus der Stadtverwaltung äußert, noch nie so gut dokumentiert gesehen habe. Er scheine ihr in diesem Zusammenhang fast fatal. Ihr sei die Idee gekommen, dass die Verwaltung am Ende der Sieger bliebe, sie hätte sich in ihrer Art gar nicht verändern müssen. Ditges sagt, ihr sei der Satz auch nah gegangen. Eine solche Einstellung koste sicher Anstrengung. Die Stadtverwaltung sähe das alles aus einer größeren Distanz, einfach als frühe Stufe in einem Planungsprozess. Eine weitere Publikumsstimme greift die Einschätzung von vorher noch einmal auf, der Film verhalte sich affirmativ zur deliberativen Demokratie. Es gäbe zwar einen Konsens, aber in seiner Rahmung zeichne der Film ein eher negatives Bild: Die Schreinerin und der Bäcker bekämen am Anfang und am Ende das Wort, für sie verändere sich nichts und sie stünden als Betroffene vor dem gleichen Ergebnis. Ditges sieht den Film auch als Kreislauf. Man stünde am Ende da wo man am Anfang stand. Der Film erzähle einfach, wie verschiedenartig Menschen sich einbringen könnten, es gäbe da große Unterschiede. Diese hätten mit Besitz zu tun, mit Bildung und Background – man könne sich z. B. fragen, ob die Schreinerin in einer Opferhaltung sei, ihr Unrecht geschähe – sie habe sich aber wenig eingebracht. Brockmann merkt an, sie sei ja auch in der schwierigsten Position: Alles solle so bleiben wie es ist. Schließlich merkt noch eine Publikumsstimme an, die Feier der Bürgerbewegung am Ende habe sie in ihrer Naivität gewundert. Die Chance, mit der Schule durchzukommen, sei ja gering. Ditges sagt, die Bürgerinitiative hätte zuerst kritisch auf die Idee mit der Schule reagiert, sie dann aber aufgegriffen – sie fände das auch erstaunlich, dass sie sich so darauf konzentriert hätten. Sie feierten bis heute immer mal wieder, dass sie die Mall verhindert hätten. Der Film lasse natürlich am Ende vieles offen. Das Netzwerk sei den Bürgern aber wichtig, sie blieben dran. Wenn die Schule nicht käme, machten sie weiter.
Svenja Klüh © Duisburger Filmwoche, Foto: Simon Bierwald