Film

Raimund – Ein Jahr davor
von Hans-Dieter Grabe
DE 2013 | 40 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 38
05.11.2014

Diskussion
Podium: Hans-Dieter Grabe, Carla Sperber (Schnitt)
Moderation: Joachim Schätz
Protokoll: Svenja Klüh

Synopse

Raimund ist tot. Im Herbst zuvor zersägt er Stämme für Brennholz und die kommenden drei Jahre. Mit Motorsäge, Spaltkeil, Sapie und ohne fremde Hilfe. Tagein, tagaus. Die Nachbarn kommen vorbei, grüßen. Sie halten ein Schwätzchen. Aber nicht zu lang, noch gibt es zu tun. 

Protokoll

Vor meiner Kamera ein Mann. Über 70. Er arbeitet. Macht aus Baumstämmen Feuerholz. Sagt kaum was. Reicht das für einen Film?

In der Ruhe liegt die Kraft, denkt man sich. Oder auch: „Lieber weniger als viel“ – unter dieser Überschrift steht nicht nur das Gespräch einen Tag später zwischen Hans-Dieter Grabe und Gabriele Voss, sondern auch das Filmgespräch zu Grabes neuestem Film „Raimund – Ein Jahr davor“. Zwei Formen von erfahrenem Handwerk würden sich in diesem Film ineinander spiegeln, sagt Schätz: Hans-Dieter Grabe hinter der Kamera und Raimund, der die Baumstämme bearbeitet. Grabe habe diese bestimmte Verfahrensweise, sehr präzise Ausschnitte zu finden, um einen Menschen zu beobachten, noch radikalisiert. Dabei ginge es hier nicht um einen KZ-Häftling oder einen Menschen, der für eine größere Geschichte einstünde, sondern um Grabes Nachbarn. Es sei doch merkwürdig, sagt Grabe, so viele Jahre jemanden zu kennen – sie lebten seit 40 Jahren im gleichen Dorf und hätten viele Dinge gemeinsam gemacht – und erst Jahre später auf die Idee zu kommen, einen Film über diesen Menschen zu machen. Er habe oft gesehen, wie Raimund allein und sehr überlegt diesen Berg Holz bewältige – diesmal wollte er mit der Kamera dabei sein. Es habe für ihn zuvor noch nie die Gelegenheit gegeben, nur an Hand einer einzigen Arbeit und nur an einem einzigen Ort zu zeigen, wer ein Mensch ist. Er habe immer versucht, einfache Filme zu machen – sonst habe er auch den Inhalt bewältigen müssen. Hier wollte und konnte er nur beobachten. Jeder machte seine Arbeit, sie kamen sich nicht in die Quere. Sonst sei das Darstellen eines Menschen an Hand seiner Arbeit immer Teil eines Films gewesen – und jetzt ein ganzer Film.

Ob der Film ohne den Tod Rainers anders ausgesehen hätte, fragt Schätz. Nein, sagt Grabe. Es ging in beiden Fällen darum, jemanden zu zeigen, der sich wohl fühlt. Die Bilder seien dadurch nur wertvoller geworden. Der Film hätte sonst aber auch seine Berechtigung gehabt. Joachim Schätz fragt nach der Symbolik der Holzverarbeitung: durch die Finalität, die die Rahmung (Texttafel) an den Anfang setze, erfahre das danach Gesehene eine Aufladung. Das Pathetische und Symbolische sei zwar umschifft worden, dennoch habe das Holz eine Metaphorik. „Holz haben für die nächsten Jahre“ erinnere an Raimunds Generation, ebenso seine Vorsicht bei der Verarbeitung, sich nicht in Gefahr zu bringen, sowie dieses „sein Leben selbst gestalten“. Ob es im Schnitt Überlegungen gab zum Thema „konkreter Handgriff versus Metaphorik“? Das Wissen um den Tod Raimunds habe keine besondere Gestaltung nach sich gezogen, sagt Grabe. Es ging einfach um einen Mann, der alleine arbeitet, der dort „ist“. Man sähe die Bilder nach dem Tod aber mit größerer Aufmerksamkeit, würde genauer hinschauen. Es war von Anfang an klar, dass die Bilder von der Beerdigung an den Anfang kämen, sagt die Schnittmeisterin Carla Sperber. Die Arbeit mit dem Holz habe ansonsten die Chronologie vorgegeben, da der Stapel ja immer kleiner wurde. Für sie war es persönlich eine schwierige Angelegenheit – normalerweise habe eine Cutterin den ersten neutralen Blick auf das Filmmaterial. Nicht aber in dem Fall, da sie Raimund persönlich gekannt habe. Für sie lebe er, sei er sehr präsent. In der Diskussion um die unterschiedliche Formulierung der Texttafeln, die über Raimunds Tod am Anfang und am Ende des Film informieren, sagt Grabe am Anfang sei die Deutlichkeit wichtiger gewesen, am Ende vielleicht der Wunsch nach einer milderen Form. Die Redakteurin Margrit Schreiber ergänzt, bei der ersten Texttafel hätte man sich für die Vergangenheitsform entschieden, da anschließend etwas erzählt wurde, das in der Vergangenheit läge, bei der Endtafel für die Gegenwartsform – die Beendigung des Holzarbeitsprozesses und die Beendigung des Lebens hätten sie hier in der Formulierung gleichgesetzt. Der Publikumseinwurf, die erneute, letzte Texttafel mit dem Hinweis auf Raimunds Tod, mache den Film kleiner, da sie als Zuschauer von selbst im Kopf entstehe, beantwortet Grabe auch mit dem Verweis auf das Fernsehen – nicht jeder habe den Film vielleicht von Anfang an gesehen. Eine Frage aus dem Publikum bemerkt das nicht hochauflösende Bild und ob es sich hier um ein Gestaltungsmittel handeln würde. Nein, sagt Grabe, er habe nur diese Kamera, den Bildern eine dokumentarische Rauheit zu verleihen sei keine Absicht gewesen. Im Wald, in der Dunkelheit, fingen die Bilder dadurch an zu tanzen, meint Joachim Schätz. Die Schwelle vom Wald zur bebauten Welt bekäme eine stilisierte Qualität. Das Holz, das aus dem Dunkeln, aus dem Wald käme und der Zivilisation wieder zugeführt werde… Er hoffe, dass die strengen Techniker des ZDF das auch so sähen, meint Grabe. Ob man sich bei der Arbeit denn gar nicht im Weg gewesen sei, will Schätz wissen – auf manchen Bilder sähe man die Größe des Holzes und die Schwere der Arbeit stärker als auf anderen, wie einfach es gewesen sei, den Kamerawinkel zu finden? Es hätte genügend Platz gegeben, meint Grabe. Er möge es, den Kamerastandpunkt nicht unnötig zu verändern. Im Film sei die gebündelte Kraft der vergangenen Jahre zu sehen, meint Pepe Danquart. Er würde nicht von Altersweisheit sprechen wollen, aber von einem Erfahrungsreichtum. Man habe sehr genau zwei Menschen beim Arbeiten zusehen können. „Hiltrud kann stolz auf dich sein“, meint Grabe am Ende seines filmischen Zwiegesprächs zu Raimund. „Ich denke, sie tut’s auch respektieren.“ antwortet dieser. Diese Worte in der Schwebe seien ein schöner Abschluss: mit sehr einfachen Worten sei hier etwas sehr präzise ausgedrückt, eine liebevolle Begleitung trotz Distanz zum Hobby des Ehemannes.