Synopse
ODW-Gay. Oder Gollum. Oder Klaus. 60 Jahre alt. Schwul. Sklave. – Nackt auf dem Bett. Er legt sich Ketten an. Erzählt vom Putzen und Kochen, Emotionen und Blöße. Seinem Leben. Von Normen, Normalität und deren Überschreitung. Ein Zwiegespräch zwischen ihm und dem Betrachter.
Protokoll
Die Filme von Jan Soldat werden gerne als „drastisch“ bezeichnet. Wenn ein junger Filmemacher durch Werke über Masturbation, Zoophilie und Bondage von sich reden macht, liegt der Eindruck auch nahe, hier schreibe jemand emsig an einer Enzyklopädie der Tabuthemen. Dieser Filmemacher also, der sich den vorgeblich „düsteren“ Seiten von Körperlichkeit und Sexualität verschrieben hat, sitzt an einem Mittwochmorgen auf dem Duisburger Podium, um in ausgesucht höflicher Manier Fragen zu seinem Abschlussfilm „Der Unfertige“ zu beantworten. So spielt denn auch Jessica Manstetten zu Anfang auf die Ironie an, am hellichten Tag über einen vermeintlichen „Nachtfilm“ zu sprechen.
In der Tat hält sich „Der Unfertige“ nicht mit drastischen Bildern zurück. Die erste Einstellung zeigt einen nackten Mann in Ketten, er wird sich wenig später als Klaus vorstellen: ein gelernter Steuerberater, der sein Glück als Sexsklave gefunden hat. Bilder von Urin, der auf seinen Körper ergossen wird, finden sich in „Der Unfertige“ ebenso wie Frontalaufnahmen von Peitschen- und Paddelhieben. Und doch markiert der Film für Soldat einen Bruch, was er anfangs in einer sehr erhellenden Rückschau auf seine bisherige Beschäftigung mit den Themen Sex/Körper erklärt. Die Entscheidung, sich ein weiteres Mal an diesem Komplex abzuarbeiten, sei ihm alles andere als leicht gefallen. Soldat legt offen, dass er seine früheren Annäherungen an extreme Entwürfe von Sexualität zum Teil als gescheitert ansieht, da ihm die daran beteiligten Menschen fremd blieben.
Für seinen neuen Film habe er deshalb ganz klare Kriterien aufgestellt: Eine Dokumentation über Sex im Alter, mit einem Protagonisten, der sein Begehren „zu hundert Prozent“ im Alltag auslebt. Auf Klaus stieß er über die Dating-Plattform „gayromeo“ und war schnell überzeugt, in ihm den „filmischsten“ aller möglichen Kandidaten gefunden zu haben. Will heißen: keinen Talking Head, der vor der Kamera über Foucault oder Meditation philosophiert, sondern jemanden, der seinen Körper als Medium des Ausdrucks nutzt. „Benennen macht die Sache schwächer“, lautet eines der stärksten Bekenntnisse Soldats, die auf dem Duisburger Podium fallen.
Überhaupt hält Soldat nicht viel von theoretischen Überbauten. Dass dahinter keine anti- intellektuelle Ignoranz auf Seiten des Regisseurs steht, sondern vielmehr ein aufrichtiger Respekt vor seinem Gegenstand, wird etwa im Dialog über die charakteristische Kadrierung von „Der Unfertige“ klar. Manstetten fragt, ob der Verzicht auf Kamerabewegungen das Motiv der sklavischen Askese gewissermaßen formal spiegele, worauf Soldat antwortet, dass diese Verbindung ihm erst nach Fertigstellen des Films klar geworden sei. Die Idee sei vielmehr gewesen, sämtliche Schauplätze gleichwertig zu behandeln: Klausʾ spartanischen Wohnraum, den opulenten Altbau seines „Herren“, für den Klaus als Nacktputzer arbeitet, wie auch ein kurioses „Sklavencamp“ im sächsischen Schwarzenberg. Auch die Wahl des 4:3-Formats folge diesem Programm des unvoreingenommenen Blicks, da es dem menschlichen Sichtfeld am Nächsten komme. Es scheint, als gebe es für Soldat nichts Schlimmeres als Filmemacher, die während eines Drehs krampfhaft suchen, was sie bereits im Vorhinein finden wollten: Erst wenn sich etwas in der Begegnung mit einem Menschen ereigne, könne es entdeckt werden. Entsprechend ins Leere laufen daher Versuche im Publikum, dem Regisseur etwaige Intentionen zu entlocken. Die Zuschauerfrage nach einer etwaigen Bildtheorie, die dem Film zugrunde liegt, blockt Soldat ebenso einsilbig ab wie einen Einwurf, der die Ästhetik von „Der Unfertige“ mit den Folterbildern von Abu Ghraib verknüpft.
Dass Soldats Methode aufgeht, belegt jene Stimme aus dem Publikum, die eine Szene aus besagtem „Sklavencamp“ zur Sprache bringt. Unvermittelt laufen dort während einer bizarren Aufnahmeprüfung, der sich Klaus unterziehen muss und die ein wenig an die Musterungen in Kreiswehrersatzämtern erinnert, nichtsahnende Passanten am Fenster vorbei. Für ihn sei dieses Bild besonders kraftvoll gewesen, erzählt der Zuschauer, da die S/M- Kultur hier als gleichberechtigter Teil des Alltagslebens erscheine. Überhaupt fällt auf, wie wenig Befremden auf Publikumsseite dem doch extremen Sujet von Soldats Film entgegenschlägt. Peter Ott hält erstaunt fest, dass das Moment der Stimulation in Klausʾ Sexleben beinahe gänzlich zu fehlen scheint. An dieser Stelle lässt sich der Befragte doch zu einer Deutung hinreißen. Für Klaus definiere sich Erregung durch den selbstgewählten Verzicht darauf. Allerdings: Dass seine Figur den Akt der Penetration nicht vor laufender Kamera ausleben wollte, kann und möchte Soldat nicht ausschließen.
Auch darüber hinaus berührt das Gespräch mehrfach die Grenzen, die Soldats Annäherung an seine Titelfigur beschränkt haben: teils von Klaus auferlegt, teils selbstgewählt. Während der Protagonist bereitwillig über die NS-Vergangenheit seines Großvaters erzählte, seien die noch lebenden Familienmitglieder für ihn Tabu gewesen. Doch auch der Regisseur hat den Raum für biographische Deutungen bewusst eingedämpft. Alle Momente, die wie eine Erklärung von Klausʾ gewähltem Lebensweg aus dessen Vergangenheit heraus wirken könnten, seien herausgeflogen. Von der Behinderung des „Unfertigen“ ist im ganzen Film nicht einmal die Rede.
Umso erstaunlicher sind die Worte, mit denen eine Zuschauerin gegen Ende ihr Filmerleben zusammenfasst. Sie habe anfangs noch wissen wollen, „warum“ sich Klaus für sein entbehrungsreiches Leben aus Schmerz und Askese entschieden habe. Im weiteren Verlauf habe sie dann erkannt, dass ein Verstehen auch ohne Gründe möglich sein kann. Für einen Regisseur, der sich derart gegen Deutung, Erzählung und Gestaltung sträubt, kann es kaum ein größeres Kompliment geben.