Film

Ich bin hier
von Eleni Ampelakiotou
DE 2013 | 52 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 37
05.11.2013

Diskussion
Podium: Eleni Ampelakiotou
Moderation: Werner Ružička
Protokoll: André Grzeszyk

Synopse

Hier heißt Gefängnis. Zumindest im Falle Hamdy. Eine Reise durch die Welt da draußen, durch Automatenkasinos und die langen Nächte mit seinem Kumpel. Bilder verschwimmen, überlagern sich. Zeit en masse, die von Träumen durchkreuzt wird und Hamdy wieder und wieder entgleitet. 

Protokoll

Ich bin hier lautet der Titel des eigenwilligen und besonderen Dokumentarfilms von Eleni Ampelakiotou, in dem sie das ziellose Wandern, die Ort- und Heimatlosigkeit ihres Protagonisten Hamdy kaleidoskopisch aufspannt. Der Film besticht durch seine lyrische Form, die ungewohnten ästhetischen Wege, die er erkundet. Das „Hier“ des Titels ist dabei nicht zu überschätzen, ist die Geschichte eines Berliner Kleinkriminellen doch nur ein Aspekt einer audiovisuellen Reflexion über den eigentlichen Ort des „Hier“ und seiner beständigen zeitlichen wie topographischen Entkopplung. In immer neuen Variationen der Spiegelung – in Schaufenstern, in Pfützen, etc. – entgrenzt die Inszenierung ihren Protagonisten in heterogene Raum-Zeitlichkeiten, unsichere Korrelationen zwischen der Figur und ihrer Welt.

Ausgangspunkt war für Eleni Ampelakiotou die Frage nach der Beziehung zwischen Hamdy und seiner Tochter (von dessen Mutter er getrennt lebt), die Frage nach einem abwesenden Vater-Sein und den kurzen Begegnungen zwischen den Entlassungen und dem erneuten „Einfahren“. Dieses Wechselspiel und vor allem die Gleichzeitigkeit von An- und Abwesenheit ist das Kerninteresse Ampelakiotous. Die Gestalt ihres Protagonisten wirkt bisweilen gespenstisch, verstreut in den visuellen Schichten, ein bildgewordenes Paradox, das weder Hier noch Da und doch an beiden Orten zugleich ist.

Zentrales filmisches Mittel ist das beinahe vollkommene Auseinandertreten von Sprache und Bild, der Stimme Hamdys im Off und dem diesem narrativen Gerüst zugeordneten visuellen Partikel. Nur ein einziges Mal, gegen Ende des Films, meint man Hamdy im On reden zu sehen – und kann sich doch nicht sicher sein. Denn die besonderen Umstände der Produktion eröffneten eine weitere Ebene der Spiegelung: Eine Woche vor Drehbeginn musste Hamdy erneut ins Gefängnis und stand so für den Dreh nicht zur Verfügung. Sein Vorschlag an die Regisseurin: „Nimm ein Double“. Ampelakiotou porträtiert so einen körperlich abwesenden Protagonisten. Zu den vorab aufgenommenen Aussagen Hamdys und aus dem Gefängnis geschmuggelten Tonaufnahmen von Gesprächen mit Mitinsassen montiert die Regisseurin statt dessen die Gestalt eines Doubles, dessen Bewegungsabläufe und Motorik, dessen gesamter Gestus so sehr denen des ursprünglichen Protagonisten ähnelt, dass Hamdy selbst für seine Freundin plötzlich in seiner Abwesenheit im Bild anwesend ist. (In einer weiteren Verschiebung geht dieser Gestus auf eine filmische Figur zurück: Brian De Palmas Scarface ist das große Vorbild Hamdys, ganze Passagen aus dem Film von 1983 könne er zitieren.)

Die Basis für die ungewöhnliche Methode, einen Dokumentarfilm ohne die unmittelbare körperliche Präsenz des Protagonisten zu realisieren, erläutert Ampelakiotou in der Diskussion: Sie kenne Hamdy schon seit drei Jahren, ihre Freundschaft gehe auf einen Schauspielworkshop der Regisseurin in einer Jugendstrafanstalt zurück, an dem Hamdy teilgenommen hat. Die Beziehung festigte sich über die Jahre, gerade weil Ampelakiotou in Hamdy wie in allen ihren Protagonisten nicht die Differenz, die Alterität, sondern das Gemeinsame suche. Eine bestimmte Sensibilität, ein Gefühl der Einsamkeit und der Ortlosigkeit verbinde sie mit Hamdy. „Empathie“ ist für Ampelakiotou ausschlaggebend – und dies nicht nur in einem kognitiven bzw. affektiven Sinne, sondern als körperliches Hineinversetzen und -leben. Als sie auf der Suche nach möglichen Motiven für den Film auf ein Wohnhaus stieß, es fotografierte und Hamdy zeigte, antwortete dieser, dass er tatsächlich zwei Jahre in diesem Haus gewohnt habe. „Von der Empathie zur Telepathie“, wie Werner Ružička anmerkte.

Die leise formulierte Kritik an Ich bin hier zielte auf die Verschränkung von Dokument und Fiktion, einer Indexikalität der Bilder bei zeitgleicher Künstlichkeit. Auf die Frage nach dem spezifischen Berlinbild des Filmes betonte die Regisseurin, wie wichtig ihr es war, das überhöhte und endlos reproduzierte Künstleridyll Kreuzberg – das immer schon nur als medial verkauf- und vermarktbarer Mythos Bestand hatte – in einen Raum zu verwandeln, der die Ortlosigkeit des Protagonisten in topographischer Perspektive verlängert. Brücken, Betonsiedlungen, Automatencasinos – Hamdy bewegt sich an Nicht-Orten, beliebigen Passagen urbanen Lebens, die so trist und leer wirken wie die Gefängniszelle.

Dagegen sah Werner Ružička mit dieser Entmythisierung zugleich eine andere Art der fiktionalen Besetzung der filmischen Orte. Die Tankstelle und das Casino erinnerten an die Bildhaftigkeit Edward Hoppers. Ampelakiotou entgegnete, dass es ihr nie um den Ort im Sinne eines „echten“ Milieus gegangen sei. Stattdessen verdichteten die gewählten Räume und die Art ihrer Inszenierung die Essenz von Hamdys Lebensgefühl – auch in einer gewissen Idealisierung und Verkennung, die jedoch nicht die Verkennung des Berlinklischees sei. Dieses Gefühl sicht- und erlebbar zu machen, sei das Ziel des Filmes: Die Ausgeschlossenheit und Eingesperrtheit Hamdys wird so nicht über einen Drehtag im Gefängnis transportiert, sondern über das Bild eines Zauns, vor dem der Protagonisten- Double-Körper vorbeiwandert, evoziert.

In der strengen Inszenierung fordert Ampelakiotou den Blick des Zuschauers auch immer wieder auf, sich dieses artifiziellen Charakters jeglichen Bildes bewusst zu bleiben und das Gefilmte nicht für ein „Echtes“ zu halten. Film bedeute immer die Herstellung eines dritten, künstlichen Raumes. Das „Echte“ des Films liege in ihrem subjektiven Zugang im Prozess der Herstellung des Films. So setzt sie Bilder eines Fühlens in Szene, das von den konkreten Orten und Zeiten losgelöst erscheint, Dokumente eines ganz spezifischen Empfindens.