Film

Gegenwart
von Thomas Heise
DE 2012 | 65 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 37
08.11.2013

Diskussion
Podium: Meike Martens (Produktion), Sabine Rollberg (Redaktion)
Moderation: Peter Ott
Protokoll: André Grzeszyk

Synopse

Menschen tun ihre Arbeit: Sie mauern den Schlot, überwachen den Computer, verrichten die nötigen Handgriffe. Die Geräte messen und geben Geräusche von sich. Särge werden verladen. Das Feuer brennt. Die Asche glüht erst, dann staubt sie. 

Protokoll

Vorbemerkung: Aufgrund eines Unfalls konnte der Filmemacher Thomas Heise nicht in Duisburg sein. Seinen Platz auf dem Podium nahmen seine Produzentin Meike Martens und die Redakteurin von WDR/Arte Sabine Rollberg ein.

Peter Ott eröffnet das Gespräch mit einem Verweis auf Gilles Deleuze: Das Geld sei die Rückseite des Filmbildes. Seine erste Frage an die Produzentin und Redakteurin betrifft die Entscheidungsprozesse, die zur Realisierung von Gegenwart geführt hätten. Martens beschreibt die typische Arbeitsweise Heises, der immer ein auslösendes Moment brauche, einen Punkt der Faszination. Ihr selbst sei die Entscheidung für die Zusammenarbeit leicht gefallen, sie kenne den Regisseur bereits aus der Zusammenarbeit mit ihm in ihrer früheren Firma und schätze seine Arbeiten sehr. Der gemeinsame Weg bestand dann darin, andere vom Projekt zu überzeugen.

Der Moderator kann sich diesen Weg nicht anders als steinig vorstellen. Schließlich zeige der Film tatsächlich Leichen, entgegen konventioneller Auffassungen von Fernsehfilmen erfahre der Zuschauer zudem erst sehr spät, was überhaupt der Gegenstand des Filmes ist.

Sabine Rollberg ist in ihrer Antwort sehr konkret. Gegenwart sei in den Programmslot „Spätvorstellung“ um Mitternacht gerutscht, eine der ganz wenigen „Oasen“, die es für den kreativen Dokumentarfilm und solche Themen noch gebe. Selbst bei einem Sender wie Arte steige mehr und mehr der Druck exklusiv Prime-Time-taugliches Material zu produzieren. Nur in der Spätschiene sei ein Film wie Gegenwart überhaupt noch möglich, weil für diesen Sendeplatz eine junge, andere Handschrift bzw. sehr genaue Beobachtungen gefordert würden. Persönlich habe sie besonders der Schauplatz Krematorium beeindruckt, einer jener Orte, die zur Gesellschaft gehörten, aber wo niemand hinsehen wolle.

Martens fügt an, dass sie sich mit Thomas Heise im Vorfeld des Films viele Gedanken gemacht habe, wie und wie viel von und wann die Leichen Eingang in die Bilder finden sollten. Die Toten einfach auszulassen sei aber keine Option gewesen, zu keinem Zeitpunkt. Das Öffnen der Särge von einem Arzt, der die Leichen im Inneren noch einmal mit den auf den Formularen aufgeführten Personen vergleiche, sei ein wesentlicher Schritt im Arbeitsablauf innerhalb des Krematoriums. Die Blicke auf Leichen seien auch nicht im Sinne von Schockbildern, sondern als integraler Teil der Routinen der Feuerbestattung zu verstehen. Angesprochen auf die Produktionsprozesse erklärt Martens, dass das bei jedem Regisseur und Produzenten verschieden sei. Sie wolle bei jedem Projekt möglichst früh einsteigen und so viel wie möglich von der Entwicklung mitbekommen. Bei einem gestandenen Regisseur wie Heise, der über eine starke, eigene Handschrift verfüge, habe sich ihre Rolle auf Rückmeldungen zu den Ideen des Regisseurs beschränkt. Inhaltlich sei sie erst in der Schnittphase wieder eingestiegen.

Martens nahm Rollbergs Klage über die deutsche Sendelandschaft noch einmal auf, sie empfinde die ohnehin prekäre Lage des kreativen Dokumentarfilms habe sich in letzter Zeit noch einmal zugespitzt (sie arbeitet bereits seit zwölf Jahren in diesem Bereich). Es werde mehr und mehr unmöglich, Werke zu produzieren, die sich in kein vorgegebenes dramaturgisches Korsett fügen und keine starren Formatvorgaben akzeptieren. Die Sender erfänden immer neue Zusatzreglements, die die Stoffe und Möglichkeiten der Umsetzung zunehmend einschränkten. Sie selbst leiste eine starke Vorsortierung, weil sie in den meisten Fällen sicher sein könne, dass die entsprechenden Projekten bei den Sendern sowieso keine Chance bekämen. Gegenwart konnte auch nur realisiert werden, weil das Team, inklusive des Regisseurs und ihr selbst, zu 50% auf Rückstellung gearbeitet habe. Ihr Resümee klingt ernüchternd und die Produzentin fragt sich selbst, wie lange sie ihren Beruf noch ausüben könne.

Maximilian Hinz im Publikum zieht die Parallele von Heises Film zu den Krematorien im Dritten Reich. Der Arbeiter in der ersten Szene des Films, der einen der Verbrennungsöfen repariert, sei für ihn – mit Glatze, Tribal-Tattoos und „Thor Steinar“-T-Shirt – deutlich als Rechtsradikaler zu erkennen gewesen. Auch die Metallreste, die aus der Asche sortiert werden, hätten ihn an Alain Resnais ́ Nuit et bruillard (1955) erinnert. Sabine Rollberg erkennt keine direkte Kontinuität der Nazivergangenheit. Es gehe um die Gegenwart, wie auch der Titel des Filme gemahne, wie wir heute mit unseren Toten umgehen und was das über uns aussage. Welche Gesellschaft kreieren wir und erhalten wir aufrecht? Für die Redakteurin sind dies die Kernfragen des Films. Martens ergänzt, dass es um das Zeigen von konkreten, manufakturhaften Arbeitsabläufen gehe, die unter ökonomischen Zwängen passierten. So laufen die Öfen etwa 24 Stunden am Tag, um die optimale Auslastung des Krematoriums zu gewährleisten, die mit einem Abkühlen im Inneren gefährdet wäre. Peter Ott verweist auf eine andere Tradition der Feuerbestattung, die atheistische, die in der Verbrennung ein sichtbares Zeichen gegen die Jenseitsgläubigkeit setzen wolle. Für Rollberg zeigt dies die Qualität des Films: Es gebe unendlich viele verschiedene Möglichkeiten, die Bilder zu sehen und zu interpretieren. Für sie selbst habe das Ende, in dem Eindrücke vom rheinischen Karneval zu sehen sind, etwas zutiefst katholisches, weil es die Freude an der Auferstehung inszeniere. Heises Film sei ein Forum, das lange nachhalle.