Film

Far’ Falastin
von Max Sänger
DE 2013 | 57 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 37
05.11.2013

Diskussion
Podium: Max Sänger
Moderation: Till Brockmann
Protokoll: Nadine Voß

Synopse

Schafe hüten im Westjordanland. Territoriale Auseinandersetzungen mit den israelischen Soldaten gehören zum Alltag. Eine seit Generationen ansässige Großfamilie hat sich eingerichtet im Provisorium. Steine werden zu allerhand Nützlichem gestapelt. „Nicht Israel, Habibi! Dieses Land gehört der Nawaj’ah Familie.“ 

Protokoll

Als zugleich fremd und vertraut beschreibt Max Sänger sein Verhältnis zu Susya, einem palästinensischen Dorf im Westjordanland und Spielort von far’falastin (arabisch „Palästina-Abteilung“). Ein Ort, der sich ihm „immer wieder entzieht“. 2008 begegnete er Susya und seinen Menschen zum ersten Mal, zufällig, in den folgenden Jahren ist er immer wieder mit der Kamera zurückgekehrt. Zwei Jahre lag das Material, das bei den verschiedenen Aufenthalten entstand, brach: Wie lässt sich filmisch überhaupt etwas erzählen über diesen Ort?

Schwarz-weiß, kommentarlos, zwischen Märschen von Schafsherden begegnet Susya dem Zuschauer, der das fremde Territorium gemeinsam mit Sänger begeht. Seine Schritte werden zu unseren – ein wertvoller dokumentarischer Moment (Ružička). Der räumliche Aufbau des Films in Bildern und Montage belasse die konkrete Topografie des Ortes im Ungewissen, schildert Till Brockmann seine Eindrücke, von „Tal“ und „Berg“ sei die Rede, ohne konkrete Verortung. Vagheit und Andeutung dominieren den Film visuell und korrespondieren mit der empfundenen Entfernung, der Entrückung des Ortes Susya, die der Filmemacher in der Diskussion beschreibt.

Analytisch-erklärende Narration – diesen Duktus der Deutbarkeit und Kontextualisierung fürchtete Sänger, zu komplex sei das Gefüge politischer und territorialer Konflikte. Intuitiv verzichtete er auf kommentierende Bedeutungsproduktion, erklärt er auf Nachfrage aus dem Publikum. Den über den Konflikt gesponnenen Mythos wollte er nicht narrativ bedienen. Schnell zerstreute sich auch die Hoffnung auf eine neutrale Erzählung: im Vorhinein gehegte konzeptionelle Vorstellungen zerbrachen an der Vereinnahmung durch den Ort, den Distanzverlust, die emotionale und praktische Einbindung des Filmemachers in die Abläufe des Alltags in Susya.

Diese Abläufe dominieren far’falastin schließlich motivisch. Schwer genug: der Ausnahmezustand ist Standard in Susya, Alltagsgesten und -rhythmen variieren und sind nur schwer einzufangen. Gleich bleibend hingegen immer die eine Geschichte: jene von Susya und seinen Anwohnern, die jedes Kind, jeder Erwachsene erzählen kann und will. Die Öffentlichkeit wird bewusst gesucht, die Kamera als Schutzfunktion begriffen. In diesem Sinne wurde auch Sängers Kamera zu Beginn streckenweise instrumentalisiert – oft wurde er mitgenommen, um Konfrontationen mit israelischen Soldaten und Siedlern bezüglich der für die Schafherden geltenden Weidegrenze zugunsten der Dorfbewohner medial zu beeinflussen. Obwohl unter israelischer Zivil- und Militärkontrolle bürokratisch reguliert, wird die Grenze stetig „auf dem Papier und im Alltag quasi performativ verhandelt“ (Sänger): allein während der Drehzeit verschob sie sich mehrmals vom Berg zum Tal und in die andere Richtung.

Aus den Reihen der Diskutanten wird der Eindruck geäußert, dass der Film gerade in der Vermeidung politischer Konkretion politisch agiere. In den Bildern des Alltags – weidende Schafe, im Wind flatternde Zelte, die Friedfertigkeit des ländlichen Lebens – lade sich die Darstellung ikonisch auf. Jeder Marsch mit den Herden sei eine Landbegehung, markiere symbolisch einen territorialen Besitz. Jedoch, entgegnet Brockmann, werden immer wieder auch Brüche erzeugt (fehlender Ton, unscharfes Bild) und auf diese Weise mit formalen Kontrasten und visuellen Narrativen gespielt.

Obwohl er sich vor analytischer Narration gescheut habe, sei der Film natürlich nicht deutungsfrei, räumt Sänger ein. Abgesehen von der Entscheidung für das schwarz-weiße Bild, die letztendlich eine vor allem technisch-pragmatische war, habe er sich zu einem gewissen Punkt im Produktionsprozess dem Umstand, die distanzierte Perspektive verloren zu haben, nicht mehr entziehen können und diesem Distanzverlust – unter der Gefahr, seine Bilder in den Einzugsbereich einer ikonischen, gar kitschbehafteten Lesbarkeit zu rücken – nachgegeben.