Film

Café Ta’amon – King-George-Street, Jerusalem
von Michael Teutsch
DE 2013 | 87 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 37
09.11.2013

Diskussion
Podium: Michael Teutsch
Moderation: Peter Ott
Protokoll: André Grzeszyk

Synopse

Seit 1960 führt Mordechai Kopp mit seiner Frau ein schmales Café in Jerusalem in seinem sehr eigenen Stil. Aus Erinnerungen der Gäste fügt sich das Bild eines heimeligen Treffs der 1968er Jahre. Politische Aktivisten wie die „Black Panther of Israel“, Bohème, Ausländer, aber auch rechte Gruppen saßen hier zusammen. 

Protokoll

Michael Teutsch hat 20 Jahre lang als Kameramann gearbeitet. Auch ein bisschen Werbung, wie er mit einem Schmunzeln gesteht – weil es ja „damals“ politisch unkorrekt gewesen sei. Die Geschichte seiner Entscheidung, als Regisseur zu arbeiten, ist dramatisch. 2000 fliegt er gemeinsam mit Leni Riefenstahl in den Sudan für einen Film, der sich mit der Zeit der Regisseurin und Fotografin bei den Nubas beschäftigen sollte. Während der Dreharbeiten flammt der Bürgerkrieg in dem afrikanischen Land wieder auf, das Team muss fliehen und stürzt mit dem komplett überladenen Flugzeug ab. Teutsch überlebt schwer verwundet und fasst den Mut, eigene Filme zu machen – die nicht zuletzt einen therapeutischen Effekt erzielten, wie er im Gespräch erklärt.

Zurecht fragt Peter Ott, wie der Regisseur auf das Café Ta ́Amon gestoßen sei – denn es sei klein und eher unscheinbar, wie man im Film gesehen habe. Teutsch sei zufällig auf den Ort gestoßen. Er war mit einem anderen Film in Jerusalem, habe sich verlaufen und wollte einfach dem kalten, nassen Wetter entkommen. Im Café habe man ihn gleich herzlich aufgenommen, da er kein Hebräisch spricht, musste man sich mit den Abbildungen in der Speisekarte helfen. Der erste Eindruck sein intensiv gewesen, aber mehr über die Geschichte des Cafés habe er erst erfahren, als er zurück in seiner Heimatstadt München gewesen sei. Danach sei er 2008 alleine und 2011 noch einmal mit einem Kameramann nach Jerusalem gereist, um den Film zu realisieren. Er habe ihn selbst finanziert, weil die TV-Anstalten auf das Thema nicht angesprungen seien. Teutsch ist sehr offen und persönlich, erzählt von seinem Leben, dem plötzlichen Tod seiner Frau 2010, der das Intervall zwischen den Drehphasen ausgedehnt habe.

Während seiner Reisen erbeutete Teutsch jene Bilder, mit denen er in seinem Film liebevoll die bewegte Geschichte des Ta ́Amon nachzeichnet, das vor allem in seiner Hochzeit nach dem Sechstagekrieg 1967 wie in einer Brennlinse das explosive politische Klima in Israel bündelte. Extreme Linke und extreme Rechte seien sich Tag und Nacht im Café begegnet, erinnern sich die Zeitzeugen im Film. Es kam zu heftigen Streitigkeiten ob der Frage nach der Besetzung auch heute noch umkämpfter Gebiete wie dem Gazastreifen, den Golanhöhen oder Ostjerusalems. Peter Ott bemerkt, dass die Zeitzeugen heute aufgeräumt wirken, als hätte sich der politische Wille verflüchtigt. Teutsch erklärt dies mit einer zunehmenden Frustration, man habe über 40 Jahre lang gegen die Besetzung gekämpft und nichts habe sich verändert. Und schließlich mussten auch die Revolutionäre irgendwann einer Arbeit nachgehen, um zu überleben. Jenes Überleben habe in den 60er, 70ern das Ta ́Amon gewährt: Man habe anschreiben können, so viel man wollte.

Die Israelis haben sich gefreut über den Film und keine Berührungsängste mit einem deutschen Regisseur gehabt, berichtet Teutsch. Medial sei die Geschichte des Ta ́Amon fast vollkommen ungeschrieben, er habe nur zwei, drei kleinere Artikel gefunden. Einmal begonnen habe sich vieles von selbst ergeben, erläutert der Regisseur. Jerusalem sei eine kleine Stadt und jede Tür, die er öffnete, ergab neue Wege, weil sich die Intellektuellen untereinander alle kennen und er „weitergereicht“ worden sei. Alle Interviewpartner seien offen gewesen, auch wenn der Frust und die Enttäuschung über den verlorenen Kampf den allgemeinen Unterton der Gespräche gebildet hätten. Auf Nachfrage relativiert Teutsch dieses Bild – es gebe auch heute noch viele sehr aktive Einrichtungen, die in der Tradition jener Kämpfe der 1960ern stünden.

Die teilweise miserable Qualität des Archivmaterials – das im Film ein Gewebe aus Erinnerungen und Gegenwärtigkeiten erzeuge, wie es ein Diskutant ausdrückt – sei dem Budget geschuldet, gibt Teutsch zu Protokoll. Bisweilen habe er sich mit rechtefreien Aufnahmen aus dem Internet begnügen müssen. Etwa die Preise von Steven Spielbergs Shoah-Foundation habe er ganz einfach nicht bezahlen können. Gleiches gelte für das israelische Fernsehen. Peter Ott empfindet die Textur des Archivmaterials nicht als störend, sondern als Teil der Geschichtlichkeit der Bilder und dem Status Quo heutiger Bildqualitäten – die im Internet eben diese Form hätten. Der Moderator verweist auch noch einmal auf die besondere Bildvorstellung eines der Protagonisten im Film, der meint, man müsse die Bilder nur lange genug liegen lassen, erst dann gewännen sie ihren Wert.

Die Filmmusik sei Ergebnis einer Recherche im Netz, so Teutsch. Er habe das Athenaeum Quartett unter verschiedenen zeitgenössischen Komponisten ausgewählt, weil ihm der Klang der Musik erschien, als sei sie extra für seinen Film hergestellt worden.

Eine Publikumsfrage richtet sich auf die Rolle des Cafébesitzers, der im Film eher im Hintergrund bleibt, obwohl er eine zentrale Figur der Vergangenheit des Ortes sein müsse. Er habe sich gar nicht richtig äußern wollen, antwortet Teutsch. Ambivalent sei er als Figur, selbst sehr konservativ habe er die Linken aufgenommen, weil sie woanders rausgeflogen seien. Ein Mensch von großer Toleranz, der mitunter aber auch sehr heftig reagieren konnte. Einmal habe er die ganze chaotische, ständig klamme Kundschaft aus dem Café geworfen und erst zwei Tage später wieder reingelassen.

Enttäuschend fanden einige Zuschauer, dass keiner der Araber, die in der Hochphase des Ta ́Amon Seite an Seite mit den jüdischen Gästen diskutiert hätten, im Film vorkäme. Der Regisseur teilt diese Enttäuschung, wie er unumwunden zugibt, auch er hätte sich einen arabischen Protagonisten gewünscht, aber es habe einfach nicht geklappt. Zunächst war es schwer, überhaupt jemanden zu finden, schließlich habe er einen Anwalt gefunden, aber als sich die Termine konkretisieren sollten, sei der Kontakt im Sande verlaufen. Auf Vertreter der extremen Rechten habe Teutsch dagegen bewusst verzichtet. Sie hätten genug mediale Foren im heutigen Israel, während die Linken nach wie vor unterrepräsentiert seien.

Begeistert wurden die Archivbilder aufgenommen, die die Stimmung nach der Einnahme Ostjerusalems zeigten. Einige Zuschauer fühlten sich an den Fall der Berliner Mauer und die ersten Tage der Freiheit in einer nicht mehr geteilten Stadt erinnert. Teutsch beschreibt die Stimmung im heutigen Jerusalem wehmütig als völlig anders: Provokationen seien an der Tagesordnung, die Offenheit und Freundlichkeit von damals sei komplett verschwunden.

Dies habe sich sogar bei den bisherigen Vorführungen des Films fortgesetzt, berichtet Teutsch: Zwar seien alle politischen Lager über den Film erfreut, aber in Montreal seien sich die Zuschauer bei der Diskussion „fast an die Gurgel“ gegangen.

Heute sei das Ta ́Amon eine Filiale der kleinen Jerusalemer Cafékette Link, aber die Tradition lebe weiter: Es heiße Link Ta ́Amon.