Film

Betongold – Wie die Finanzkrise in mein Wohnzimmer kam
von Katrin Rothe
DE 2013 | 52 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 37
08.11.2013

Diskussion
Podium: Katrin Rothe
Moderation: Cristina Nord
Protokoll: Nadine Voß

Synopse

Filmemacherin Katrin Rothe erlebt das Thema Gentrifizierung am eigenen Leib: Die Miete ihrer Wohnung in Berlin-Mitte soll sich mehr als verdoppeln. Der neue Investor will das typische Mietshaus in eine noble Immobilie verwandeln und dazu müssen die alten Bewohner raus. Rothe wehrt sich. 

Protokoll

„DokumentarfilmerInnen müssen relevante Filme machen“: In der Diskussion ihres Filmes Betongold, der erzählt, wie die Filmemacherin vom neuen Hauseigentümer sukzessive aus ihrer Wohnung verdrängt wurde, appelliert Katrin Rothe an eine Praxis der sozialen Verantwortung im Dokumentarfilm.

Obgleich Cristina Nord zu Beginn des Gesprächs anmerkt, dass Betongold thematisch zwar zu inhaltlichen Nachfragen einlade, Duisburger Diskussionen allerdings auch und vor allem ein Ort ästhetischer, künstlerischer und formaler Diskurse seien, drehen sich viele Gesprächsbeiträge vornehmlich um Rothes im Film thematisierte Erlebnisse. Einige Diskutanten kennen den Zustand von Angst und Hilflosigkeit angesichts der fortschreitenden Gentrifizierung, haben Ähnliches erlebt – in Berlin und in Duisburg gleichermaßen. Neben Danksagungen an Rothes Mut und ihre Hartnäckigkeit gilt das Interesse vor allem rechtlichen Aspekten. Während des Drehs habe sie das Anwaltsfach zu schätzen gelernt, berichtet Rothe, sie stand nicht nur mit der im Film zu sehenden Mietrechts-, sondern auch mit Presseanwälten in Kontakt. Jedes Wort und jede Aktion im Bild seien genauestens recherchiert und juristisch abgesichert. Im Gegensatz zu der Internetseite, auf der Rothe ihre Wohnsituation dokumentierte und die nach der gerichtlichen Einigung aufgezwungener Selbstzensur zum Opfer fiel, war der Film jedoch nie rechtlicher Verhandlungsgegenstand. Versuche der Gegenseite, im Kontext der erhöhten (politischen) Aufmerksamkeit die Ausstrahlung von Betongold zu verhindern, verliefen erfolglos.

Was darf gezeigt werden? Über diese juristische Frage gelangt man zu formalen Aspekten der Darstellung. Die Präsenz der Kamera während der Wohnungsbesichtigungen hätte jedes Verhalten verfälscht, erläutert die Filmemacherin, das zunehmende Drohgebaren des Eigentümers und der Maklerin hätte sich so nicht zeigen lassen. So verzichtete sie aufs Filmen dieser Situationen – auch, um rechtlich heikle Situationen zu vermeiden und ihr Filmvorhaben nicht direkt kommunizieren zu müssen – und nutzte Trickfilmsequenzen, ein Markenzeichen all ihrer Filme, als abstrahierende Möglichkeit, um derlei Vorgänge sichtbar zu machen.

Während des Drehs war der Ausgang der Situation ungewiss. Den Zustand von Hoffen und Wünschen, Sorge und Ängstigung erhält Rothe in der Dramaturgie des Films aufrecht und überträgt ihn in eine chronologische Erzählung der eigenen Emotionalität. Das Suspense-Moment, das sich beim Zuschauen einstelle, bedeutete außerdem die Möglichkeit, visuell uninteressante Vorgänge (Telefonate, Computerarbeit etc.) in einen filmisch spannenden Zusammenhang zu bringen, erklärt sie. Weiterhin beschreibt Rothe den organischen Prozess, der sie selbst als Protagonistin ins Zentrum des Films rückte und weniger auf einer konzeptionellen Entscheidung als auf Pragmatismus beruhte: Am vereinbarten Drehtermin sagten alle Nachbarn spontan ab und so sprang Rothe selbst in die Bresche und ins Bild. Der Vorteil, zugleich Regisseurin und Protagonistin zu sein, lag zudem in der Vertrauensbasis zu sich selbst: Im Schnitt habe sie selbst die Handlungshoheit gehabt und konnte so vor der Kamera freier agieren, erklärt Rothe. Eine Gradwanderung, die geglückt sei, bemerkt Nord, Tonfall und Haltung hätten bei einer solchen Thematik deutlich selbstmitleidiger ausfallen können. Einen Opferfilm habe sie nicht machen wollen, bestätigt Rothe, sondern im Gegenteil einen Film übers Wehren.

En plus:

Aus protokollantischer Sicht finden sich formale Diskurse des Dokumentarischen gerade im inhaltlichen Gesprächsinteresse markiert: Das verstärkte Bedürfnis des thematischen Austauschs zwischen Filmemacherin und Rezipienten spiegelt die anfangs benannte Forderung der Filmemacherin bezüglich einer gesellschaftlich-sozialen Relevanz von Filmen wider. Offene Fragen im Raum: Welche Bedeutung hat diese Form von dokumentarischer Verpflichtung, wie Rothes Formulierung sie suggeriert? Kann eine gesellschaftliche Verantwortung des Dokumentarfilms, gar ein Wahrheits- oder Aufklärungsanspruch, im Kontext aktueller Produktions- und Rezeptionstechnologien Bestand haben? Wie verhielte sich ein solcher Anspruch zu ästhetischen und vornehmlich künstlerischen dokumentarischen Konzeptionen?

 Cristina Nord © Duisburger Filmwoche, Foto: Simon Bierwald
Cristina Nord © Duisburger Filmwoche, Foto: Simon Bierwald