Film

Heino Jaeger – look before you kuck
von Gerd Kroske
DE 2012 | 120 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 36
09.11.2012

Diskussion
Podium: Gerd Kroske
Moderation: Werner Ružička
Protokoll: Nadine Voß

Synopse

Wer war Heino Jaeger? Ein Maler, für den eine Landschaft erst mit Flugabwehr-Kanone darin schön war. Ein Wortkünstler, der aus der Imitation von Frontfunk und Bildungsbürgerradio seine Metakomik schöpfte. Grabungsfunde aus der alten BRD: Hakenkreuzfahnen, Bahnanlagen, Margarinebildchen. Und das Ende in der Psychiatrie.

Protokoll

Auffällig stumm bleibt diese Runde des ansonsten nicht auf dem Mund gefallenen Publikums der diesjährigen Filmwoche, „erwartbare Erschöpfung“ macht sich breit. Nach 120 Minuten Kunst, Leben und Abgründen des Künstlers Heino Jaeger bleibt das Gespräch vorrangig auf das Podium beschränkt.

Keinen Künstlerfilm habe er machen wollen, erzählt Kroske, keine lineare Erzählung über eine Kunst, die nur als Signifikant der Biografie ihres Autors gelesen wird. Zu groß wäre die Gefahr, dass Jaegers Werk an den sich zunehmend verschlechternden Zustand seiner Psyche rückgebunden wird. Trotzdem, bemerkt Ružička, bestehe in der Darstellung kein Zweifel, dass über einen gebrochenen Menschen gesprochen wird, eine Glorifizierung findet nicht statt. Die Person Jaeger und ihre Kunst sind in der Verbindung der unterschiedlichen Facetten seines Werkes mit politischer und persönlicher Zeitgeschichte zu verstehen. Sukzessive und ästhetisch assoziativ baut der Film die Korrespondenz von Bildern, Hörstücken, Orten und Personen auf, zeichnet dabei ein Bild, in dem Leerstellen vorgesehen sind für Interpretation und Diagnose, in dem das Artistische, der außergewöhnliche Zauber der Figur Jaeger Gestalt gewinnt.

Ružička lobt Kroskes variationsreiche Methodik, Jaegers Bilder einzuführen, die verblüffende Sicherheit in der Montage, die immer wieder Motive zusammenführt und elegante und kluge Referenzen im filmischen Bildraum eröffnet. Viel habe sich auch während des Drehs ergeben, ergänzt Kroske: er habe „analog gedreht“, mit kleinen Speicherkarten und festen Brennweiten, durch die Beschränkung von Zeit und Mitteln besinne man sich darauf, wie und was gefilmt werde. Während des Drehs verschiebe sich ebenfalls die eigene Wahrnehmung und plötzlich stolpere man über ein Spektrum an Motiven, ohne es zu intendiert zu haben.

Während der Diskussion stolpert man auch über interpretatorische Zuschreibungen von Mehrwert. So verweist Ružička auf vorherige Filme und Akteure, die in „Heino Jaeger“ erneut erscheinen („Der Boxprinz“ Norbert Grupe, Wolli Köhler). Er sieht in diesen Filmen ein „Sittengemälde der BRD“ geschaffen, fragt nach den Hintergründen, die den aus der DDR stammenden Kroske als Filmemacher immer wieder nach Westdeutschland ziehen. Kroske verneint, die drei zeitnah entstandenen Filme mit ähnlichem Fokus seien nicht auf ein schematisches Vorgehen zurückzuführen. Sein Grundinteresse gelte der Art und Weise, wie seine Protagonisten mit ihrem Leben umgehen und inwiefern daraus eine Folie für Anderes, Übergeordnetes wird. Trotzdem, springt Werner Dütsch Ružička bei, rücke der Film eine Kunst der 60er Jahre ins Bild, deren Verortung in Milieu und Kultur vergessen ist, da sie abseits der linken Bewegung stattfand. Kroskes Film lege eine Bruchstelle in der kulturellen Rezeption der BRD frei und zeige erste Spuren einer Historie, für die es keine zeitgenössische Wahrnehmung gibt. Dass der Film mehr als eine Erzählung über Jaeger ist, dass er eine Chiffre für Zeit-, Technik-, Medien- und Kulturgeschichte darstellt, darin sind sich alle – Kroske, Ružička und die Diskussionsteilnehmer – schließlich einig.

„Heino Jaeger – Look before you kuck“ reiht sich ein in die großartigen, differenzierenden Portraits über Künstler in diesem Festival („Kern“, „Atelier“, „Oben im Eck“) und ist trotz der viel beschworenen Unmöglichkeit von Künstlerfilmen erstaunlich möglich.

 Werner Ružička, Gerd Kroske v.l. © Duisburger Filmwoche, Foto: Simon Bierwald
Werner Ružička, Gerd Kroske v.l. © Duisburger Filmwoche, Foto: Simon Bierwald