Film

Detlef – 60 Jahre schwul
von Stefan Westerwelle, Jan Rothstein
DE 2012 | 92 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 36
09.11.2012

Diskussion
Podium: Stefan Westerwelle, Jan Rothstein, Detlef Stoffel (Protagonist)
Moderation: Peter Ott
Protokoll: Christian Koch

Synopse

Detlef wohnt noch mit seiner Mutter im selben Haus. Es ist Zeit, zurückzublicken: „Mit 60 ist man alt. Als Schwuler allemal.“ Früher hat er die Schwulenbewegung in Bielefeld mitbegründet. In Super-8-Filmen sind Demos, Aktionen und Theaterstücke festgehalten. Kämpfe, nicht für Akzeptanz, sondern für eine andere Bundesrepublik.

Protokoll

Nachdem ein Filmprojekt Westerwelles und Rothsteins über die größte Sammlung männlicher Pin-Ups am Widerstand der Galeristin gescheitert war, kam man „beim Kölsch“ auf Detlef Stoffel, den beide Filmemacher seit vielen Jahren kannten. Dessen Privatarchiv von Filmen und Fotos zur politischen Schwulenbewegung, das nun in „Detlef“ einen großen Teil des Bildmaterials stellt, war immer wieder Gegenstand gemeinsamer Gespräche gewesen. Stoffel selbst hatte schon die Idee, sein Archiv neu filmisch zu bearbeiten. Das Material allein brauchte aber eine Klammer, die für Westerwelle und Rothstein Stoffels Leben sein musste, schließlich sei er ein wesentlicher Protagonist der Bewegung gewesen.

Der Film konzentriert sich auf zwei Aspekte der Biographie Stoffels. Einmal ist da die Frage nach dem Verbleib der Anliegen der politischen Schwulenbewegung, des Aufruhrs gegen den „heteronormativen Terror“ in der Gegenwart. Beides sei, so Stoffel, durch die zunehmende gesellschaftliche Integration der Schwulen und ihre wachsende Angepasstheit absorbiert worden; der bei der – eigentlich als Befragung des politischen Establishments geplanten – Veranstaltung in der Bonner Beethovenhalle (1980) eskalierende Konflikt zwischen „Integrationisten“ und der politisierten „Lustfraktion“ sei mittlerweile entschieden. Der Furor der Bewegung wird dann im Film vor allem als der – in der Schwulenszene legendäre – persönliche Furor des Protagonisten in die Gegenwart verlängert. Prominente Wegbegleiter, wie etwa der Schauspieler Gustav-Peter Wöhler, Deutschlands bekanntester Transvestit Lilo Wanders oder der Theatermacher Corny Littmann („Schmidts Tivoli“), betonen Stoffels große Bedeutung nicht nur für die Bewegung, sondern auch für die Entwicklung ihrer persönlichen sexuellen Orientierung. (Diese „Talking Heads“ kritisiert Cristina Nord als überflüssig, der Protagonist habe diesen „Prominenzbeweis“ gar nicht nötig.) Umso zwiespältiger, dass der Film Stoffels ungebrochene Unangepasstheit vor allem im privaten Rückzugsgebiet zeigt – in der Auseinandersetzung mit der körperlich hinfälligen Mutter, der „Oberglucke“, oder mit dem Umweltamt, dessen Mitarbeiter er am Fällen der alten Bäume in der Nachbarschaft hindern will.

Der zweite Aspekt ist die den Film durchziehende Geschichte vom Älterwerden, als deren Folie die schwierige Beziehung zu seiner Mutter dient. Durch Stoffels Entscheidung, bei ihr zu wohnen, um sie zu betreuen, verschärft sich der Konflikt. Gerahmt wird dieser Strang von den beiden Geburtstagen der Familie, am Anfang wird die Mutter 91, gegen Ende Stoffel 60. Dazwischen entfalten sich dann die dem Altern zugeordneten Probleme, die an Depression grenzende Antriebslosigkeit, die Augenerkrankung, das kursorische Surfen auf Dating-Seiten, der Sex Tür an Tür mit dem Lebensraum der Mutter, die Sehnsucht nach der Ferne, die nur durch gelegentliche Reisen befriedigt werden kann. Ein Thema, so Stoffel, das nicht die Gruppe der Homosexuellen allein betreffe, so wie ja auch die schwule Protestbewegung der 1970er Jahre im Kontext anderer Versuche stand, die gesellschaftlichen Verhältnisse zu verändern.

In der Diskussion kommen Fragen nach den Auslassungen auf: Wo ist eigentlich der Vater? Wo ist AIDS? Und warum kommt die Zeit Detlefs als Naturkostpionier und Gründer des Großhandels „Löwenzahn“ verhältnismäßig kurz? Die Filmemacher betonen, dass es ihnen vor allem die Bruchstelle ging, an der Stoffel die politische Schwulenbewegung als „nicht abendfüllend“ erkannt hatte. Darum bleibt der Film bei der Anfangsphase des Naturkostunternehmens. Der Vater käme im Film durchaus vor, sein Tod fiel mit den Ereignissen in der Beethovenhalle zusammen, und sein Portraitfoto ist in Sequenzen zu sehen, die in der Wohnung spielen. Die Auseinandersetzung mit der Homosexualität liefe ohnehin in den allermeisten Familien über die Mutter, die Väter würden sie entweder ignorieren oder mit dem Abbruch der Beziehung strafen. Darum sei es konsequent, dass dem Vater im Film keine große Rolle zukäme. AIDS wiederum sei kein rein schwules Thema, sondern ein gesamtgesellschaftliches. Da mache es mehr Sinn, es im Zusammenhang mit Betroffenen zu thematisieren, und Stoffel sei eben weder positiv, noch jemals in der AIDS-Bewegung aktiv gewesen.

Für das Zusammentreffen des Alters-Blues und der Trauer über den Verlust des politischen Engagements findet der Film am Ende ein schönes, bei Truffauts „Les Quatre Cents Coups“ entlehntes Schlussbild: In diesem fährt Stoffel am Bug eines Bootes stehend auf den Sonnenuntergang zu, (der nicht ganz so schwul ist wie der ebenfalls im Film vorkommende „schwulste Himmel, den Bielefeld je gesehen hat“, ) um dann in die Kamera zu schauen, wie um die Staffel an die jüngere Generation weiterzugeben.