Synopse
Anwalt Sättele hat die Verteidigung von Herrn Becht übernommen. Man versucht den Tathergang zu rekonstruieren, um „der Wahrheit näher zu kommen oder zumindest dem strafrechtlichen Aspekt davon“. Nach etlichen Raucherpausen steht fest: „Das mit der Erinnerung ist eine schwierige Sache.“ Dann kommt die Verhandlung.
Protokoll
Cristina Nord nimmt zu Beginn der Diskussion Bezug auf die letzte dokumentarische Arbeit der Regisseurin, „Kandidaten“, in dem es um eine Klassensprecherwahl geht und darum, wie die Kandidaten diesen Prozess durchleben. In „Der Auftrag“ geht um Ähnliches, auch hier zeigt sich ein Interesse an gesellschaftlichen Aushandlungsprozessen.
“Wie wird Gerechtigkeit geschaffen, in der Welt und vor der Haustür?“, diese Thematik beschäftigt sie schon seit einigen Jahren, so Gottschlich. Mit diesem Projekt wollte sie in eine komplett neue Welt eintauchen. Am Anfang war ein Blick auf verschiedene Fälle geplant, aber dann sei sie während der Recherche auf die Rolle des Strafverteidigers gestoßen, die Diskrepanz und Dimension dieser Rolle innerhalb einer Strafsache, die Konstellation „Anwalt und Mandant“, und die Frage „wie die das eigentlich machen“? Einige Anwälte haben vor allem moralische Grenzen, andere sind der Meinung, dass jeder eine Verteidigung braucht, da spielt Moral eine untergeordnete Rolle. Der Anwalt in dieser Dokumentation verteidigt zum Beispiel keine Jugendlichen, weil er zu ihnen keinen Zugang hat.
Gottschlich hat sich also auf die Suche nach einem Strafverteidiger gemacht, der sich in die Karten schauen lässt, der offen und gewillt ist, über seinen Beruf zu reden, und auf die Suche nach einem interessanten Fall, der die Arbeit des Strafverteidigers gut zeigt.
Der dokumentierte Fall stammt bereits aus dem Jahr 2008, wurde dann aber, wie der Drehbeginn, für unbestimmte Zeit unterbrochen, weil der zweite Mitangeklagte verschwunden war. Zwei Jahre, die viel Zeit gekostet haben, aber auch Raum gegeben haben, die Protagonisten kennenzulernen und Vertrauen zu schaffen, wovon der Film definitiv profitiert.
Apropos Angeklagter, Geri Krebs erkundigt sich wie das denn mit ihm gewesen sei: „Hat der Film eine Rolle bei seinen Antworten gespielt?“ Wie gesagt, man kannte sich zum Zeitpunkt des Drehs bereits seit zwei Jahren, und das Team hat sich natürlich auch bemüht, nicht zu stören. Der Mandant hat alles unreflektiert rausgelassen, hat die Kamera total vergessen. Die Presse hätte ein Einflussfaktor auf seine Aussage gewesen sein können (Beispiel Kachelmann), wovor der Mandant eher Angst gehabt hätte. Medial viel berichtet wurde auch in diesem Fall, aber eben schon zwei Jahre zuvor, also hat das keine Rolle mehr gespielt.
Die Frage der Moderatorin, ob der Verteidiger glücklich darüber war, wie der Fall verhandelt wurde und wie er ausgegangen ist, kann die Regisseurin mit ja beantworten. Im Falle einer Verurteilung des Angeklagten wäre das allerdings schwieriger gewesen. Sie als Nicht-Juristin habe es als krass empfunden, dass sowas passieren kann und keiner belangt wird, versteht aber mittlerweile die juristische Ebene.
Der Anwalt hat den Film natürlich gesehen und das Material juristisch geprüft. Das war von Anfang an die Vereinbarung, was für den Dreh ein Vorteil war. Man war natürlich vorsichtig und respektvoll, musste sich dadurch aber nicht einschränken. Im Endeffekt habe es auch kein belastendes Material gegeben, das rausgeschnitten werden musste.
Im Gerichtssaal durfte nicht gedreht werden, wirft Nord ein, die Regie durfte der Verhandlung aber beiwohnen. Wie geht man im Film damit um? Anfangs waren sie im Saal dabei, sagt Gottschlich, später dann nicht mehr, weil es draußen genug zu tun gab und auch weil sie sich bewusst die Außenperspektive bewahren wollte. Wenn sie mit im Gerichtssaal sitzt, stellt sie andere Fragen, als wenn sie außen vor bleibt. Sie habe zwar überlegt, Tonaufnahmen (was rechtlich sowieso nicht möglich gewesen wäre) oder Zeichnungen einzusetzen, sich aber dagegen entschieden. Alles, was Teil der Verhandlung war, ist auch so im Film zu sehen. Die Regisseurin wollte kein Barbara-Salesch-Format, sie wollte dem Zuschauer lieber durch die Enthaltsamkeit einen Raum für seine eigene Fantasie öffnen.
Zum Thema Raum erkundigt sich jemand aus dem Publikum nach der Auswahl der Räume, zu der Gottschlich sagt, dass sie sich durch verschiedene Faktoren ergeben habe. Sie hätte gern auch privat zu Hause gedreht, das wollte der Anwalt aber nicht, das Büro war für sie das natürlichste, und die Küche haben sie erst am Ende als eine Art Resümee gedreht, die Szene ist dann aber am Anfang des Films gelandet.
Solch ein Film kann unterschiedliche Erzählstrategien verfolgen, man muss sich entscheiden, was man wie ins Bild setzt. Der Regisseurin war es dabei wichtig, den Inhalt der Gespräche nicht noch einmal im Interview mit dem Anwalt zu besprechen, es ging in diesen Situationen eher um den Beruf und seine Haltung dazu. Die Szene mit dem Plädoyer ist insofern nicht gestellt, als dass der Anwalt sich tatsächlich in dieser Form darauf vorbereitet, nur blickt er dabei normalerweise statt in eine Kamera auf die Wand in seinem Büro, das aber zu klein war, um darin zu drehen.
Nord geht auf die Interviews ein. Sie vermutet, dass man bei der Fülle an biografischem Material schnell in Versuchung gerät; man muss Schlaglichter setzen, die Kausalität implizieren und konstruieren.Warum war seine Biografie wichtig für den Film? Gottschlich räumt ein, dass sie am Anfang selber gespalten war, wie und ob das eine Rolle spielen soll. Sie habe beim Dreh nach etwas gesucht, das die Motivation des Strafverteidigers für die Wahl seines Berufes aufzeigt, und das war seine Antwort auf die Frage. Sie hat in seiner Biografie die Parallele gesehen und deshalb ist sie auch im Film.
Ute Holl bemerkt eine interessante Asymmetrie. Der Film beinhaltet eigentlich zwei Prozesse. Das Gericht ist wie ein Theater mit verteilten Rollen, der Mandant hat den Anwalt als Verteidiger, der Anwalt den Film. Ein Prozess wird aus dieser Perspektive auch dem Anwalt gemacht, zumal der Film auch noch die biografische Nähe hat. Das war oft ein Streitpunkt, sagt Gottschlich, es stellt sich die Frage nach den einzelnen Rollen und wie man das konstruiert. Was ist der Film? Was ist der Prozess? Was ist der Strafverteidiger? Jeder kann mal vor Gericht enden. Hier geht es darum, den Anwalt durch den Prozess kennenzulernen, wie er zu seinem Mandanten steht, wie er persönlich zu dem steht was er macht, und wie er seine Entscheidungen trifft.
Wie sie im Schnitt mit dem Material umgegangen seien, will Nele Wohlatz wissen. Wieviel wurde gegen den Willen des Zuschauers komprimiert? Wie verhält sich das Dargestellte zur Echtzeit? Man muss natürlich viel weglassen, entgegnet Gottschlich, nur so sind solche Inhalte konsumierbar, denn die Gespräche dauern Stunden und sind sehr redundant. Aber es ist oft so, wenn man in einem Raum ist, dass Menschen sich wiederholen, ewig das Gleiche diskutieren, da verliert man im Schnitt nichts (beifälliges Lachen aus dem Diskussionsraum). Zudem hatten sie nur eine Kamera, waren also eher glücklich darüber, dass minutenlang am Stück immer und immer wieder über das Gleiche geredet wurde. Ohne das wären Schnitt-Gegenschnitt unter den Bedingungen in dieser Form überhaupt nicht möglich gewesen. Sie haben nicht versucht, Dinge unsichtbar zu machen, aber es handelt sich am Ende eben um eine filmische Konstruktion, auch wenn man suggeriert, dass man Wahrheit vermittelt, ergänzt die Cutterin. Im Dokumentarischen stellt sich eh die Frage, was die Wahrheit ist, die man abbildet. Auf die erstaunte Nachfrage, warum nur eine Kamera, sagt Gottschlich, dass der ursprüngliche Plan war, drei Straffälle zu verfolgen. Wenn sie gewusst hätte, dass es bei dem einen bleibt, hätten sie zwei Kameras benutzt und sich das Leben etwas einfacher gemacht.
Es gibt im Film bei all den Gesprächen ein großes Interesse an den Pausen; viele Zigaretten und viele Kaffees, die eine dramaturgische Funktion im Film erfüllen, fällt jemandem im Publikum auf. Es war ihr wichtig, Pausen vom Sprechen im Film zu haben, sagt die Regisseurin, und da haben sich die Pausen zwischen den Gesprächen gut geeignet, im Gegensatz zu Stadtbildern, die sie zwar gedreht hat, die im Schnitt aber keinen Sinn gemacht haben.
Werner Ružička lobt den Film als elegant gemachtes Kammerspiel. Es gibt viele Perspektiven der Blicke, man fühlt sich dicht drin, wird zum Facharbeiter des Rechts. Er findet im Vergleich mit Scheffners „Revision“ auch hier eine schöne Art, über Rechtspflege und ihre kleinen Deals und Verfahrensweisen nachzudenken. Man ist gezwungen, denen in die Gesichter zu schauen, sieht die Gesten, und versucht permanent nachzuvollziehen, ob der Mandant lügt oder nicht, ob der Anwalt dem Mandanten glaubt oder nicht. Das Ganze ist sehr gut lesbar gemacht, wie eine archaischere Form der Wahrheitsfindung. Man bekommt einen persönlichen Bezug, der Verdacht auf der Leinwand wird zu einem Verdacht bei uns selbst. Gottschlich kann bestätigen, dass auch sie beim Drehen immer wieder gerätselt haben, wer wem wie warum glaubt, und im Schnitt dann nochmal, und irgendwann stellt man sich die Frage nicht mehr. Der Strafverteidiger verlangt die Wahrheit, aber nur, damit man ihm später nichts nachweisen kann, was ihn belasten könnte, und diese Haltung hat auch die Regie angenommen.
Der Referendar ist eine Leerstelle im Film: Hatte er nichts zu sagen oder hat er nichts gesagt? Gottschlich hat im Nachhinein die Szenen im Schnitt vermisst, die sie vielleicht verpasst haben, wenn sie nicht mehr vor Ort waren, nicht mehr gedreht haben. Es hätte gutes Material sein können, aber das haben sie so nicht bekommen. Das ist das Dilemma des direct cinema, wirft Harun Farocki ein: man will immer noch mehr, aber eigentlich ist es ein Glück, dass man dahin nicht kommt. Die Begrenzung ist toll, und schön geschildert als Lernprozess; auch der schweigende Referendar ist spannend und ok, man muss nicht alles erklären. Das Gleiche gilt für die Verhandlung, ergänzt Nord. Man sieht anderes besser, wenn man manche Dinge nicht sieht, es entsteht ein Reichtum auf anderer Ebene. Sie erinnert an den Schiebewagen im Gericht, voll mit all den Akten, die zeigen, wieviel Papier in so einem Prozess steckt; das hätte man im Gerichtssaal so nicht gesehen. Eine Stimme im Publikum bedauert die Leerstelle des Referendars, er hätte noch mehr der Spiegel des Anwalts sein können, aber abgesehen davon ist er positiv erstaunt, wie sowohl der Prozess der Verhandlung als auch die Konsequenz und Klarheit des Anwalts dargestellt wurden. Es geht ganz klar um seinen Auftrag.