Film

Wo stehst du?
von Bettina Braun
DE 2011 | 91 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 35
08.11.2011

Diskussion
Podium: Bettina Braun, Gesa Marten (Schnitt)
Moderation: Lars Klostermann
Protokoll: Thomas Warnecke

Synopse

Ein Wiedersehen mit Ali, Alban und Kais. Einfacher ist es nicht geworden, das Leben. Das Geld macht Probleme, die Familie mit ihren Erwartungen und ab und zu die Polizei. Die Perspektiven sind enger, die Folgen der Vergangenheit zu spüren. Nur Kais hat das Viertel verlassen und probiert, die Theaterwelt zu erobern. 

Protokoll

„Ist schwer mit den Titeln.“

Der dritte Film aus Bettina Brauns Langzeitbeobachtung, nach WAS LEBST DU? (df ’04) und WAS DU WILLST (df ’08). Vom kürzeren zweiten Film sei noch viel Material übrig geblieben, und der Redakteur vom Kleinen Fernsehspiel (Christian Cloos) habe die Idee eines dritten gemocht. Bei den Protagonisten war das schon schwieriger, da habe sie Widerstände gespürt, berichtet Braun; eine „Generalstabssitzung“ habe stattgefunden, es sei auch um Geld gegangen, ab dann seien die Probleme aber „Lebensprobleme“ gewesen und nicht mehr die Frage, ob gedreht wird oder nicht.

„Bettina! Kommst dreist hier rein!“

Ali habe sie nicht das erste Mal versetzt, sagt Braun zur Eingangsszene. Er sei oft aufbrausend, komme aber wieder runter, „er ist in einem wahnsinnigen Lamento“. Alban dagegen habe zuerst gar nicht mit ihr reden wollen, sei dann aber einen „Deal“ mit ihr eingegangen: Er erzählt alles, kann aber alles widerrufen, bevor der Film geschnitten wird. Als es soweit war, konnte er sich erst nicht dran erinnern und habe dann gesagt: „Bettina, ich bin ein erwachsener Mann, du kannst alles zeigen.“ Er habe sich allerdings vorm Drehen immer vorbereitet, um die Kontrolle zu behalten, weshalb es von ihm wenig szenisch- situative Bilder gebe. Auch die Freundin wollte bzw. durfte nicht gezeigt werden. Als sie ihn mit einer Information konfrontierte, die sie von seiner Mutter hatte, wollte Braun ihm „eine andere Realität anbei-, nicht entgegenstellen“: Alban mache sich sehr zum Opfer; dass seine Eltern seine Freundin nicht akzeptierten, sei „nicht okay“, aber er habe ihnen auch viel verschwiegen, und seine Mutter arbeite bis heute seine Schulden ab. Das hätte mit hinein gemusst, und da Albans Eltern nicht gefilmt werden wollten, habe sie das übernommen, erklärt Braun, und „jeder wird ja auch getunet.“

„Wann ist etwas, das pro Figur Geschichte sein kann, erzielt?“

Auch sie selbst. Als „Figur Autorin“ nämlich, wie Gesa Marten sagt. Das geschehe in regelmäßigen, zirka vierwöchigen Schnittphasen; Bettina liefere immer schon „auf die Essenz runtergeschnittenes Material“, und dann sitzen sie vor den „Blöcken“ wie vor einer Karteikartenwand „und schieben den Film“. Werner Ružička möchte da nicht so gerne ins handwerkliche Detail gehen, nennt vielmehr „ein Wunder“, dass auch der dritte Film „funktioniert“, etwa weil er – „großartig!“ – mit einem Eklat beginnt und so das „Gesäusel von Einfühlung auf Kampf“ zurückführe, die soziologische Studie vom Klingelpütz zur comédie humaine erweitere. Es sei ja der dritte gemeinsame Film, sagt Braun, die Protagonisten hätten Erfahrung, wie sie in der Öffentlichkeit ankommen, deshalb sei sie „weniger tastend vorgegangen“. Andererseits habe sie kaum versucht, „dramaturgisch wertvolle“ Situationen heraufzubeschwören, weshalb z.B. ihr Sohn, dessen Geburt quasi am Anfang des ersten Films stand, diesmal nicht vorkomme. Auch das Potential, mit Rückblenden zu arbeiten –Marten: „Stagnation über sieben Jahre ist stärker als über ein Jahr“ – hätten sie zwar nutzen wollen, doch würde das schnell platt, erklärend: „Schau mal, der Kais, vor acht Jahren beinah Krimineller, jetzt Schauspieler.“ Wie der Film die Figuren in Bewegung halte, lobt Christoph Hübner, dass Braun zwar beharrlich frage, die Protagonisten aber nicht „einkesselt“. Überhaupt gibt es viel Lob aus dem Publikum: dass nichts bzw. niemand auf Lösungen festgelegt werde, alles offen bleibe, abseits üblicher medialer Debatten um Integration sich Dialoge zu politischen Diskursen verdichteten und das auch Unterhaltungswert habe.

„Schweinerei!“

Das ist einem Gast „zu charmant“. Die Protagonisten seien doch in einer deprimierenden Situation, „den Deutschen“ (womit nicht die Protagonisten gemeint sind) werde aber „nicht auf die Pelle gerückt“. „So ein Film muss Wut auslösen.“ Moussa, einer der Protagonisten, versteckt sich in der Eingangstür. „Das kann ja ein anderer Film machen“, sagt Bettina Braun. Sie will sobald keinen neuen Film mit „ihren“ Protagonisten drehen. Eine Prognose kann und möchte sie ihnen nicht ausstellen, Antworten habe sie keine, aber immerhin das Gefühl: „Alles ist drin“.