Film

Whores’ Glory
von Michael Glawogger
AT 2011 | 118 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 35
11.11.2011

Diskussion
Podium: Michael Glawogger
Moderation: Werner Ružička
Protokoll: Ann Katrin Thöle

Synopse

Die Fishtanks von Bangkok, Stadt der Freude in Faridpur, Bangladesch und La Zona in Reynosa, Mexiko. Drei Schauplätze, drei Sprachen, drei Religionen. Die Frauen arbeiten als Prostituierte. Alltag zwischen Tradition, Abhängigkeit und Selbstbestimmung. 

Protokoll

Die Kluft zwischen Publikum und Podium wird größer. Immer mehr Leute drängen sich in den Schatten des hinteren Saalbereichs. Wollen sie nur rauchen oder trauen sie sich nicht nach vorn? Werner Ružička versucht zu ködern. Er verspricht, dass wer ein wenig näher rückt, „persönlicher bedient“ wird.

Triptychon

WHORES’ GLORY ist der letzte Teil einer Trilogie über globalisierte Arbeitswelten und komplettiert die vorangegangenen Dokumentarfilme MEGACITIES (1999) und WORKINGMAN’S DEATH (2006). Der Regisseur hat viel zu erzählen über seinen „Hurenfilm“ (www.whoresglory.at). Eigentlich, so setzt er an, ist er ein Freund der Reduktion. Er mag es, komplexe Zusammenhänge auf das Wesentliche „einzukochen“. In diesem Filmfall aber waren die Recherchen so umfangreich, die in Frage kommenden Schauplätze so vielfältig, dass sich eine andere Herangehensweise aufdrängte. Zunächst drehte er in Bangladesh und erkannte, dass sich das Thema erst ab einer gewissen Länge würde vermitteln lassen. Aber was war die wahre Substanz dessen, was er hier gefilmt hatte? Er begab sich auf die Suche nach einem linken und rechten Flügel, die das bereits vorhandene Material einrahmen bzw. ergänzen konnten. Auf zweierlei Weise ist ihm hierbei das Triptychon mit seiner dreigliedrigen Struktur als formales Vorbild zupass gekommen. Erstens orientiert er sich gern an den visuellen Künsten, und der radikalvisuelle Aspekt dieses Bildtypus’ schien auch auf die dokumentarische Bildsprache übertragbar zu sein. Zum anderen verweist der Begriff auf eine christlich-abendländische Kunsttradition. Indem er hier filmisch in einen nichteuropäischen Kontext gestellt wird und verschiedene Religionen einbindet, erfährt er eine Art Neudefinition.

Religion

Im Kosmos der Huren ist die Religion von zentraler Bedeutung. Sie fungiert als eine Art brachialer Schutzmechanismus, und wenn die Protagonistinnen vor der Kamera immer wieder Transzendentes formulieren, dann ist das nicht etwa der Programmatik des Films geschuldet, sondern etwas, „was die Frauen geliefert haben“, so Glawogger. Solche Momente seien es, die einen „Knopf im Kopf“ auslösten: Momente, in denen man etwas sieht und hört, was sich nicht sofort ins eigene W ertesystem einordnen lässt. Hier erst fange der Dokumentarfilm an. Einen Satz zu hören wie „Dein Verstand ist dein Gefängnis“ – aus dem Mund einer Prostituierten – da gehe es schon ums Eingemachte.

Sprache

Von einem Diskutanten auf mögliche Fehler in der Untertitelung angesprochen, verweist Glawogger auf die Uneindeutigkeit von Aussagen in anderen Sprachen. Auf Bangla etwa heiße „ficken“ eigentlich „arbeiten“. Und ob man nun „ficken“ oder „arbeiten“ sagt, das hänge von kleinen Nuancen in der Betonung ab. Daher habe er auch nicht nur mit einem, sondern mit mehreren Übersetzern zusammengearbeitet; um eine größtmögliche Übereinstimmung zu gewährleisten.

Prostitution

In WHORES’ GLORY geht es um gesellschaftlich tief verwurzelte Formen der Prostitution und um jene Orte, an denen Frauen ihre Körper feilbieten und Männer zu Freiern werden. Drei Länder, drei verschiedene Schauplätze, drei unterschiedliche Systeme von käuflichem Sex: der „fish tank“ in Bangkok, Thailand, die „Stadt der Freude“ in Faridpur, Bangladesh und die sogenannte „zona“ in Reynosa, Mexiko. Kernthema sind die Trennstellen zwischen Mann und Frau. Glawogger hat sich dafür interessiert, wie sich das jeweils sehr spezifische Geschlechterverhältnis in den verschiedenen Prostitutionssystemen spiegelt. Die Prostitution als Spiegel der Gesellschaft also. Im Falle von Bangladesh etwa zeige sich das restriktive, patriarchale Gesellschaftsmodell in einem nicht minder restriktiven Matriarchat innerhalb des Hurenviertels. Übrigens: die Prostitution verbieten zu wollen, sei Quatsch, denn sie habe sich immer ein Schlupfloch gesucht! Aha.

Ružička will über die besonderen „Farb- und Erzähltemperaturen“ sprechen. Da fällt Glawogger Pasolini ein: über die großen Institutionen der Welt kann man nicht einfach so einen Film machen. Und auch für ihn, also Glawogger, gab es Orte, die einfach nicht möglich waren. Umgekehrt haben sich dann Thailand, Bangladesh und Mexiko als Schauplätze ergeben, weil sie über bestimmte filmische Qualitäten und besondere Lichtverhältnisse verfügen. Grundbedingung des Films war, dass die Orte Geschichten erzählen können, ohne dass ein einziges Wort gesprochen wird.

Aus dem Publikum will jemand wissen, was es mit den Zensoren auf sich hat, die im Abspann genannt werden. Die Erläuterungen des Regisseurs klingen abenteuerlich. Von einem einzigen „Eiertanz“ ist die Rede. Weil es in den Ländern unterschiedliche Regeln in Bezug auf Drehgenehmigungen und Filmmaterial zu beachten galt. In Thailand hieß das zum Beispiel: „Sie müssen für etwas ansuchen, was es offiziell gar nicht gibt.“ Die Sexszene in Mexiko hätte man in Bangladesh so gar nicht drehen können, und in Thailand hätte der Zensor das Material beschlagnahmt. In Mexiko musste er dafür mit Mafiabossen über Dokumentarfilm reden. Mit der Knarre auf dem Tisch. Genügend Stoff für ein „Making Of“, wie Ružička scherzhaft anmerkt. Aber es gibt ja schon das Buch zum Film.

Peter Ott fragt nach den Erzähltechniken und Glawogger spricht von der „Macht des Faktischen“. Der Ort gibt dir einen Auftrag. Die Frauen geben dir einen Auftrag. Das Labyrinth des Bordells in Bangladesh gibt dir einen Auftrag usw. Michael Girke versucht sich daraufhin an einer Deutung: Jene Szenen, in denen die Frauen tanzen oder auf andere Weise privat sind, sind das jene Momente, in denen innerhalb der filmischen Anordnung die Objekte zu Subjekten werden? Ja, genauso ist es.

Es regt sich vorsichtige Kritik. Er habe ihr doch leichtes Unbehagen bereitet, dieser Blick ins Ausland. Warum er denn nicht etwas über Sexarbeit in Österreich gemacht habe, traut sich eine der Zuhörerinnen. Glawogger kennt diesen Vorwurf. Und antwortet dementsprechend routiniert: Er nehme es halt ernst, dass man die Welt nicht mehr aus eurozentrischer Perspektive betrachte. Und er drehe nicht in Europa, „nur um sich wohlzufühlen“. Außerdem habe das auch inhaltliche Gründe gehabt; es sei ihm um gewachsene Prostitutionsstrukturen gegangen. In Europa sehe die Prostitution heute eben anders aus.

Der männliche Blick und die Magie

Werner Ružička kritisiert nicht selbst, sondern erkundigt sich nach der Kritik Anderer. Ob dem Regisseur denn gelegentlich ein „typischer Männerblick“ zum Vorwurf gemacht werde, will er wissen. Glawogger bezieht Stellung: das sei durchaus der Fall. Aber er sei ja auch ein Mann und natürlich nehme er da eine männliche Perspektive ein. Gerade im System der Prostitution. Und na klar, er habe auch geflirtet mit den Frauen. Als Mann habe er Sachen (Szenen) von den Frauen bekommen, die eine Frau nicht bekommen hätte – umgekehrt würde das wahrscheinlich auch gelten.

Kurze Unterbrechung aus dem Saal: ein junger Mann – offenbar nicht mehr ganz nüchtern – fühlt sich berufen, den Prostituierten dieser Welt zu danken. Man lässt ihn gewähren. Auf dem Podium wird dann abschließend noch etwas über die Magie der Orte geplaudert. Bei Glawogger ist die inzwischen einer totalen Entzauberung gewichen. Aber das sei auch das Spannende für den Dokumentarfilmer, die Veränderung der Wahrnehmung, wie sich ein Ort im Prozess des Filmens verwandle.

Es ist merkwürdig: kritische Stimmen, die in Einzelgesprächen später durchaus zu vernehmen sind, kamen hier so gut wie nicht vor. Wollte man nur rauchen oder hat man sich nicht getraut?