Film

Tahrir im April
von Juliane Henrich
DE 2011 | 35 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 35
11.11.2011

Diskussion
Podium: Juliane Henrich
Moderation: Susanne Mi-Son Quester
Protokoll: Thomas Warnecke

Synopse

Kairo im April 2011 – auf dem Tahrir Platz finden die größten Proteste seit dem Sturz des Regimes im Februar statt. Demonstrationen, Aufräumarbeiten und Wiederbepflanzung gehen Hand in Hand.

Protokoll

Die Revolution in Ägypten hat im Januar begonnen, im Februar ist Mubarak zurückgetreten – und damit sei sie eigentlich schon wieder vorbei gewesen, fasst Susanne Mi-Son Quester den historischen Vorlauf zum Film zusammen. Juliane Henrichs Film beginnt am 9. April. Auch an diesem Abend sei es wohl zu gewaltsamen Konflikten gekommen, seien Leute erschossen worden, was aber am Abend selbst unklar geblieben wäre, erzählt Henrich. Die Auseinandersetzungen hätten angedauert bzw. es sei immer wieder zu solchen gekommen, bis am dritten Tag des Films der Tahrir-Platz durch die Armee geräumt worden sei. Der Zeitraum ihres Films sei Zufall, da sie nur eine, eben diese Woche in Ägypten gewesen sei; sie habe nicht vorhersehen können, was passieren würde. Sie sei auch nicht mit dem Ziel nach Ägypten gereist, diesen Film machen zu können.

Mi-Son Quester sieht die Anfangsszene des Films als Leseanleitung: ein ausgebranntes Auto, jemand fragt, ob es ein Armeefahrzeug sei, Antwort: „Ja, sieht so aus.“ Diese Antwort sei ihr roter Faden gewesen, immer habe sie sich etwas gefragt – Ist das jetzt jemand von der Armee? Sind das die Frauen, die bei der Revolution so groß herausgekommen sind? – und keine Antworten bekommen. „Ja, sieht so aus.“ Im Film gebe es keine Erklärungen im Sinne eines Kommentars. Ob diese Art des Sehens ohne Verstehen das sei, was Henrich gewollt habe? Anders könne man sich den Vorgängen wohl gar nicht nähern, sagt Henrich. Sie habe sich erst nachher, aus Nachrichten usw., zusammengereimt, was da passiert sei. Immer noch seien ihr viele Dinge unklar. Sie habe die generelle Situation, die geherrscht habe, einfangen wollen.

Mi-Son Quester gesteht, den Platz überhaupt nicht verstanden zu haben, das Bild, das sie vorher aus dem Fernsehen hatte, habe sie während des Films vergessen, und im Film unterliege der Platz ja auch noch ständigen Veränderungen: erst Sand, dann Rasen… Henrich sagt, es sei schwer, ohne Aufsicht oder Totale den Platz, seine Ausmaße klar zu machen. Ihre Wahrnehmung habe aber auch nichts mit den Fernsehbildern vom Januar oder Februar zu tun gehabt, auch sie habe den Platz als ständig in Veränderung erfahren, bis er am Ende des Films zum Kreisverkehr geworden sei. Da sei auch die Zunahme der Lautstärke: Sie selbst empfinde den Lärm am Ende des Films als noch unangenehmer als zu Beginn, wobei Kairo überhaupt eine unfassbar laute Stadt sei, worauf aus dem Publikum die Frage kommt, warum denn die Autofahrer dort immer hupen würden. Und dass es ja so aussehe – „wie viele Menschen leben in Kairo?“ – als würde das normale Leben um den Platz herum weitergehen. „Ja, sieht so aus.“

Nach einem „nur ganz kurz“ Abstract seiner persönlichen Ägypten-, Ägyptische-Revolution- und Ägyptischer-Film-Kenntnisse äußert ein Zuschauer seinen Eindruck, die Begrünungsaktion auf dem Platz sei ein Akt der Verdrängung gewesen. Diesen Eindruck teilt Heinrich, der Platz sei schon zu Mubaraks Amtszeit zur Hälfte durch eine scheinbare Baustelle abgesperrt gewesen, die in Wirklichkeit wohl ebenfalls den Zweck gehabt habe, Versammlungen zu verhindern. Zusammen mit den aufgestellten Schildern könne die Begrünung durchaus als Akt der Repression durch die Armee gesehen werden.

Das sieht ein anderer Zuschauer ganz anders. „Wir machen unseren Platz wieder schön“, das sei die Botschaft, die er daraus lese. Das zeige, dass die Linie nicht klar verlaufe, sagt Henrich, auch sie habe das Blumenpflanzen als schön, rührend empfunden, am nächsten Tag dann aber als Deckelung, den Platz unbenutzbar zu machen. Nach einem kurzen Disput über die Rolle der Armee während der Revolution teilt der scheint’s Ägypten-Experte mit, sein Eindruck sei, es laufe alles auf eine Militärdiktatur zu, das sei auch sein Eindruck von bzw. nach diesem Film.

Jana Wolff erinnert an die Momente, in denen Leute Englisch reden. Sie habe keine Gespräche gesucht, sagt Henrich. Da sie den Film mit einer Fotokamera aufgenommen hat, habe sie es auch nicht für möglich gehalten, Sprache aufnehmen zu können. Es wäre zuviel und sei auch nicht ihr Anliegen gewesen: „Schon die Stadt ist Überforderung.“ Dass der Platz überwiegend von Männern bevölkert gewesen sei, habe gelegentlich zu unangenehmen Situationen geführt. Sie habe auch Hinweise bekommen, jetzt mal lieber nicht zu filmen, gerade in Anwesenheit des Militärs. Es seien auch diejenigen Ägypter, die Englisch sprechen, nicht unbedingt diejenigen, die man auf der Straße bzw. auf dem Tahrir-Platz antreffe. Die wiederum seien oftmals gerne vor der Kamera gewesen, hätten oft gewollt, dass sie, Henrich, sie filme. Bzw. fotografiere (wegen der Kamera). Dass im Film ja auch und sogar ziemlich oft mit Smartphones etc. fotografierende und filmende Leute zu sehen sind, wird weder an dieser Stelle noch im weiteren Verlauf der Diskussion thematisiert.

Auch wenn sie sich mit den Leuten auf dem Platz verbunden gefühlt habe und noch immer fühle, wisse sie doch, dass all das unheimlich weit weg von ihr sei, sagt Henrich. Sie habe auch überlegt, einen weiteren Film zu machen, der dann hätte erklärender werden sollen, doch empfinde sie sich dazu zu sehr als Außenstehende und die Sprachbarriere als zu großes Hindernis. So wisse sie bis jetzt immer noch nicht genau, was eigentlich in der Szene vor sich gehe, in der ein Mann von Demonstranten bedrängt wird, seine Einstellung zu den bevorstehenden Prozessen zu offenbaren. Man hätte diese Szene deshalb herausnehmen können, sie habe sie aber genau deshalb mitgenommen: „Am Ende steht man davor und versteht es nicht.“ Ohnmacht: Der Versuch, etwas zu begreifen, indem man die Kamera draufhält, was sich nicht einlöse am Ende. Sehen ohne zu verstehen sei ja was Großes, findet Mi-Son Quester. Das Verstehen über den Text jedenfalls sei prekär, sagt Bastian Blachut, das thematisiere der Film ja auch, weshalb er fragt, warum Henrich den Film überhaupt untertitelt habe. Sie habe tatsächlich anfangs vorgehabt, auf Untertitel zu verzichten, das hätte dann auch eine konsequente Abbildung ihrer Erfahrung werden können, dann aber habe sie die Übersetzung bekommen und diese zu interessant gefunden, um sie wegzulassen. Sie glaube aber, dass der Film „auch mit Übersetzung noch unklar genug ist.“

Als dann ein Gast wohl kurzzeitig bewusstlos und jedenfalls vom Stuhl sinkt, wird die Diskussion beendet.