Film

Fremd
von Miriam Fassbender
DE 2011 | 92 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 35
08.11.2011

Diskussion
Podium: Miriam Faßbender, Andreas Landeck (Schnitt), Max Milhahn (Produzent)
Moderation: Andrea Reiter
Protokoll: Nadine Voß

Synopse

Mohammed aus Mali unternimmt seinen dritten Versuch, in die Festung Europa zu gelangen. In Algerien lernt er Jacques kennen. Gemeinsam bestreiten sie das letzte Wegdrittel auf der ältesten Flüchtlingsroute zwischen Afrika und Europa. Dabei filmen sie sich gegenseitig. Ein „Reisebericht“‘. 

Protokoll

„Je näher ich die jungen Männer und Frauen auf ihrer Odyssee vor Europa kennenlernte, desto dringender verspürte ich den Wunsch, ihnen – die in unserer politischen Sprache meistens nur als anonyme Masse auftauchen, vor der es sich zu schützen gilt – ein Gesicht zu verleihen“, schreibt Miriam Faßbender im Duisburger Katalog über ihren Film. „Ich will sie in FREMD als Individuen wahrnehmbar werden lassen und ihnen die Möglichkeit geben, für sich selbst zu sprechen“.

Ein Sprechen, dessen Vokabular für Außenstehende in Teilen unverstanden bleibt: Beng bedeutet unter den dargestellten Migranten Europa, Co nennen sie übergreifend das jeweilige eigene Herkunftsland. Mit bas und haut, unten und oben, ziehen sie die Grenze zwischen Europa und Afrika, definieren ihr Ziel. Worte, die sich auch in die Diskussion von FREMD schleichen, ebenso wie ein perspektivisch bedingtes Unverständnis: Warum wollen Mohammed und Jerry trotz kolonialer Vergangenheit und exkludierender Migrationspolitik unbedingt nach Europa, rätselt ein Diskutant – eine Frage, die sich laut Regisseurin aus europäischer Sicht leicht formulieren lässt.

Mohammed und Jerry werden auf verschiedenen Stationen ihrer Reise bis zur europäischen Grenze begleitet – ein „Roadmovie“ nennt Faßbender ihren Film, mit dem „Dazwischensein als Zentrum“ (Reiter). Sie warten auf den Anruf der Schlepper, um in einem Auto über die Grenze gebracht zu werden, auf den richtigen Moment, um das Meer zwischen Marokko und Spanien schwimmend zu überqueren – und wissen dabei doch, dass nicht alles Gold ist, was europäisch glänzt. Mohammed beispielsweise will in Mali bleiben, muss als Erstgeborener jedoch für den Unterhalt der Familie aufkommen. Faßbender suchte bewusst nach Protagonisten, die nicht die medial vermittelte Sicht auf ein lebenswerteres und einfacheres Europa reproduzieren.

Der Produktionsprozess zog sich über sechs Jahre, in denen Erfahrungen mit den Menschen und Bedingungen vor Ort stetig auf das Konzept einwirkten und es veränderten. Während der Produktions- und Schnittphase formte sich sukzessive die Erzählung über die beiden Männer, die auch selbst in die Rolle des Erzählenden schlüpfen: Immer wieder sind auch Passagen zu finden, die sie mit Mini DV-Kameras filmten, welche ihnen Faßbender während ihrer Abwesenheit überließ. Die Übergabe der Tapes funktionierte nicht immer, Kameras gingen verloren oder wurden verkauft; einige Leerstellen sind deswegen mit Fremdmaterial gefüllt.

Für Faßbender, die zunächst mit einem kleinen Team, später vor allem allein filmte, da ihr dies einen anderen Zugang zu den Protagonisten ermöglichte, überwog die Neugierde gegenüber der Angst oder einem Bewusstsein für die Gefahr, als weiße Frau auf sich gestellt zu sein. Gerade das „Ausgeliefertsein“ habe ihr eine gewisse Form von Sicherheit, gar Gleichstellung gegeben. Mit der Zeit wuchs ebenfalls die Vertrautheit zu Mohammed und Jerry wie auch die Sympathien der francophonen Migranten ihr gegenüber. Gefahr drohte eher seitens der algerischen und marokkanischen Regierung; um kein belastendes Material bei sich zu führen, wurden die Tapes nach jedem Dreh im Goethe-Institut oder ähnlichen Institutionen hinterlegt.

FREMD will die Protagonisten, die vor den Grenzen Europas warten, sprechen lassen, doch Grenzen lassen sich nicht ohne Weiteres verschieben, weder die topographischen noch die mentalen. Ob sie denn nicht erpresst worden sei, wird aus dem Kreis der Diskutanten gefragt. Schon, antwortet Faßbender, aber das, was die Migranten wirklich wollten – nach Europa einreisen – könne sie ihnen ohnehin nicht geben.