Film

Anna Pavlova lebt in Berlin
von Theo Solnik
DE 2011 | 79 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 35
12.11.2011

Diskussion
Podium: Theo Solnik
Moderation: Lars Klostermann
Protokoll: Nadine Voß

Synopse

Anna Pavlova, gebürtige Russin, lebt seit Anfang der 90er Jahre in Berlin. An der Grenze zwischen Rausch und Poesie zieht sie durch die Straßen der Hauptstadt und lässt uns an ihrer Geschichte teilhaben. „Ich habe noch viel vor“, sagt sie. Und sie hat bereits einiges hinter sich.

Protokoll

Anna Pavlova lebt in Berlin. Theo Solnik auch. Er lernt Anna in der Bar 25 kennen und will einen Film über sie machen, und über die Berliner Szene. Das ist zunächst gar nicht so leicht: wochenlang rennt er Anna, ihren Launen und ihrer Unterschrift auf den Verträgen hinterher. Die Widersprüche von Stadt und Szene vereint sie in ihrer Person, findet Solnik. Eine Zuschauerin sieht sie als „Borderline“-Persönlichkeit, deren Stärke, aber auch Problematik ihr ganzes Umfeld betreffen.

Die Szenen des Films spielen sich vor allem auf den Straßen Berlins ab, die Verbindung zum Wesen der Stadt findet darin ihren Ausdruck. Eine Diskutantin bemängelt den „Ausfall des Persönlichen“, hätte sich mehr Aufnahmen aus dem Privaten gewünscht. Auch dort habe er viel Material gesammelt, erzählt Solnik, es sei allerdings weniger ausdrucksstark gewesen; Annas Leben spiele sich vor allem im öffentlichen Raum ab, diese Bilder seien deshalb stärker und reichhaltiger.

Annas dominantes Verhalten beschäftigt das Publikum: „Du darfst mich filmen, du darfst mich nicht dirigieren“, weist sie Solnik in einer Szene in seine Schranken. Fragen nach dem filmischen Verhältnis von Protagonistin und Regisseur kommen auf. Ein ständiges Machtspiel um „Erpressung und Hingabe“ wird diagnostiziert, von einer „Ökonomie des Wollens und Bekommens“ ist die Rede. Solniks „Scheitern“, sein „Versagen“ im Umgang mit Anna werde deutlich, stellt ein Diskussionsteilnehmer fest. Solnik korrigiert: zwar gab Anna während des Drehs das „Wann-Wo-Wielange“ vor (Anrufe um 5 Uhr morgens inklusive); im Schnitt jedoch bestimmte er Richtung und Gewichtung.

Kritik und Lob entzünden sich vor allem angesichts des „Erkan-Erlebnisses“: hier kulminiere Solniks „Anna-Unfähigkeit“, lässt ein Diskutant verlauten, seine Angst und die Kamera provozierten die Situation; indem er nicht einschreite, liefere er die Protagonistin aus. Für andere ist es gerade der Verzicht auf Rettung, der der Stärke der Protagonistin Raum gibt, ihre soziale Intelligenz zeigt. Solnik selbst war sich in diesem Moment sicher, dass Anna die Situation zu ihren Gunsten würde wenden können und wehrt sich gegen „moralische Statements, die der eigenen Interpretation unterliegen“.

Anna Pavlova rennt, tanzt und schwebt nicht allein durch die Straßen. Solnik und seine Kamera sind immer bei ihr und lassen ihre Welt erfahrbar werden, lobt Lars Klostermann und erkundigt sich nach dem Kamerakonzept. Das sei alles intuitiv abgelaufen, so Solnik. Für ihn entstehe ein Film nicht durch Gedanken und Theorien, sondern aus einem Gefühl heraus, dem er in Bildern und Tönen Ausdruck verleihen wolle. Ästhetische Entscheidungen dienen ihm hierbei lediglich als Mittel – Bedeutungsaufladungen wehrt er ab, überlässt Analyse und Theorie lieber dem Zuschauer.

Anna selbst attestierte Solnik nach dem ersten Anschauen übrigens, dass dieser sie besser verstanden habe als sie sich selbst (es war bereits der dritte Film über sie). In Berlin lebt sie noch immer, aber „ein ganz anderes Leben“, wie Solnik einer mütterlich besorgten Diskutantin versichert; ohne Alkohol und „ja, auch mit beruflicher Perspektive“.