Film

LUS oder Geschmack am Leben
von Erwin Michelberger
DE 2010 | 98 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 34
05.11.2010

Diskussion
Podium: Erwin Michelberger
Moderation: Peter Ott
Protokoll: Markus Dewes

Synopse

Ein Film über den Tod und wie die Religionen versuchen, sein Rätsel zu begreifen. Was geschieht mit dem toten Körper? Wie reagieren Kulturen auf die letzten Fragen nach Endlichkeit, dem Jenseits, der Seele? Menschen, die beruflich mit Leichen umgehen, Religionsgelehrte und Kinder erzählen ihre Vorstellungen.

Protokoll

Ein von Mauern zerteilter Himmel, kindlich-naive Beschreibungen von Paradies und Hölle, lebensgeprüfte Gläubige, für die Gott nur noch „eine gute Geschichte“ ist. Atheisten, die die Abwesenheit von Bodenschätzen und die Anwesenheit Gottes an von Menschen verlassenen Orten beklagen. Ein fragendes, metaphysisches Panorama, welches ästhetische Miniaturen mit Fragen nach der Sinnhaftigkeit des Glaubens und einer Meditation über eine „verwesungsmüde“ Erde als Ort irdischen Irrsinns überblendet.

Peter Ott versucht die Vielfalt der Themenangebote zu organisieren als er zunächst die Toten zum Thema macht, die behutsam abgefilmt worden sind. „Tote Körper sind im Dokumentarfilm ein prekäres Thema, weil hier die Grenze der Repräsentation überschritten wird.“ Was passiert beim Filmen von Toten mit dem Filmenden?

Michelberger beschreibt eine Dynamik, die sich aus der Abnahme von Angst und der verstörenden Erfahrung einer Konfrontation mit sich selbst speist. Möglicherweise sind die leisen Kamerafahrten aber auch ein Resultat des Sensibilisierungsprozesses, der durch die langsame Annäherung und die gegenseitige „Achtung in Demut“ erreicht wurde.

Ott wirft ein, dass ein Konflikt existiert beim Filmen von Toten, denn im dokumentarischen Kontext sei der tote Körper „nur noch ein Ding.“ Weshalb also diese ästhetisch aufgeladenen Aufnahmen? Der Autor begründet diesen „absurden Versuch mit den Toten in einen Dialog zu treten“ damit, dass ihn interessiert welche gesellschaftlichen Funktionen einem toten Körper noch zugewiesen sind. Er kontrastiert die Reinigungsrituale bewusst mit den Plastinaten von Hagens, die „der Pietät den Fehdehandschuh“ hinwerfen.

Ein Auswahlkriterium, sich mit den drei großen monotheistischen Religionen zu beschäftigen, sei deren Gemeinsamkeiten. Hier bildet der Glaube an die Auferstehung das „Gesetz der Religion“ und liefert somit die Grundlagen zu Überlegungen rund um die Mythen der Körperlichkeit.

Ott merkt an, dass sich der gesamte Film um Tote gruppiert. Als Verbindungsglied zwischen der Welt der Lebenden und der Toten dienen „die die sich um die Toten kümmern“ und die Kinder, welche ihre Vorstellungen vom Paradies schildern. Der Grundgedanke war was? Michelberger definiert sein dokumentarisches Arbeiten als die Organisation von Fragmenten, bei der die Montage eine neue Gesamtheit schafft. Die Schilderungen und Ausführungen der Kinder bilden trotz ihrer verschiedenen Bekenntnisse die Einheit des Glaubens an die Auferstehung ab. Die Totenwäscher und -gräber sollen den pragmatischen Umgang mit dem Tod illustrieren. Gemein sei beiden Perspektiven (der begeisterten kindlichen und der abgeklärten erwachsenen), dass sie über die Sinnhaftigkeit der Idee des „Hinterlassens“ sinnieren, die als eine der Triebfedern der menschlichen Existenz betrachtet werden kann.

Ein Diskutant bemängelt den Anschluss der „Körperwelten“-Szenen an die tri-konfessionelle Auseinandersetzung, welche das Narrativ der Pietät und der religiösen Deutung des Tods durchbrechen. Dies sei gewollt, denn der „ökonomische Zugriff“ von Hagens „fordere heraus“ und markiere eine historische Bruchstelle, an der der religiös fundierten Deutung des ritualisierten Umgangs mit dem Leichnam eine offensive andere zur Seite gestellt werde.

Werner Ruzicka führt aus, dass der Film nicht nur mit dem Tabu des toten Körpers bricht, sondern weit darüber hinausgeht. Metaphysische Fragestellungen werden anhand dieser Auseinandersetzung mit den abweichenden ideengeschichtlichen Aspekten der einzelnen Konfessionen aufgegriffen – ein äußerst schwieriges Feld für den Dokumentarfilm.

Die Aufspaltung der religiösen Traditionsdifferenzen in einen Trialog zwischen Kindergruppen bezeichnet er als Kunstgriff, dem es gelingt harte Dokumentierung mit wunderschönen Bildern zu versöhnen. Girke kritisiert im Anschluss diese Deutung. Sein Gefühl sei eher, der Film gehe „sich selbst auf den metaphysischen Leim,“ weil sein Fokus zu stark auf dem „Danach“ ruhe. Denn bei aller Kritik biete die Religion dem (zurückgebliebenen) Menschen auch „Formen an das Leben mit den Toten zu organisieren“ – spende somit Trost. Michelberger erkennt diesen Einwand an, erklärt aber auch, dass dies nicht von ihm gewollt gewesen sei.

Der Drehort wird von anderer Stelle kritisch hinterfragt, warum Israel/Palästina? Es existieren auch jüdische und muslimische Gemeinden in Deutschland. Michelberger entgegnet „weil es logisch ist, deswegen“, die Wiege der drei Religionen liege dort – Nachfrage: Warum wurde dann die christliche Gruppe in Schwaben gefilmt? Ott erklärt, dass hier das Christentum einen Mainstream stellt, welcher in Vorderasien nicht gegeben sei.

Ein Diskutant fragt nach der „Besetzung der Toten“, die Leichen wirkten stets sehr frisch. Dies liege an den Begräbnisriten, die eine Beisetzung innerhalb von 24 Stunden vorsehen.

Wie entstand die Idee einen gemeinsamen Hintergrund für die Schilderungen der Kinder zu schaffen und wie wurden die einzelnen Szenen montiert? Viele der Gegenüberstellungen entstanden erst im Schnitt, weil erst dort die Übersetzungen der arabischen und hebräischen Passagen stattfanden. Das „Himmelsmotiv“, welches die Szenen visuell klammert, sei eher einem Zufall zu verdanken (auch wenn die Aufnahme der Mauer und die Spaltung des Himmels bei manchen Diskutanten anderes vermuten lässt) gewollt war den „Raum“, über den gesprochen wurde, auch sichtbar zu machen.