Film

Kleinstheim
von Stefan Kolbe, Chris Wright
DE 2010 | 87 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 34
06.11.2010

Diskussion
Podium: Stefan Kolbe, Chris Wright
Moderation: Peter Ott
Protokoll: Judith Funke

Synopse

Eine Schlossburg an der Magdeburger Börde. Dort leben sieben Teenager und ihre Erzieher. Es geht um die Zukunft, um Liebe, um Vertrauen und Enttäuschung. Seinen Platz zu finden in einer Welt ohne Eltern, die dennoch immer präsent sind. Wie wird man erwachsen?

Protokoll

Stefan Kolbe und Chris Wright machen Filme „nicht über Konzepte, sondern über Menschen“. Über zehn Monate hinweg haben sie sich den Bewohnern des „Kleinstheim Schloss Krottorf“ gewidmet, einer Einrichtung für Jugendliche mit problematischen Familienverhältnissen, gelegen inmitten der Magdeburger Börde. Wie sieht so ein Leben aus? Und welche Fragen ergeben sich daraus?

Die Auswahl des Heims kam eher zufällig zustande. In Krottorf „stimmte die Chemie“, es gab keine Vorbehalte gegenüber der Arbeit der Filmemacher. Von November bis August besuchten sie das Schloss immer wieder, sprachen zunächst vor allem mit der Heimleiterin und den ErzieherInnen, saßen in Küche und Wohnzimmer, ließen sich zum Pizza- und Plätzchenbacken einspannen. Die Kamera ließen sie dabei so oft und so lange wie möglich mitlaufen, insgesamt etwa 80 Stunden. „Einfach warten was passiert“, so das Grundprinzip. Ein puristischer Ansatz, dem Direct Cinema verpflichtet. Im Schnitt konnte man allerdings nicht allen Szenen so viel Zeit lassen, eher sollte eine Intensität wie im Spielfilm entstehen. Bei der Szene am Ende, in der Sarah durch das Gerstenfeld läuft, sei dann auch eine „krasse Spielfilmmontage“ absolut legitim – „wenn die Energie da ist“.

Die Kontakte mit den Jugendlichen entwickelten sich nach und nach, wobei die Mädchen sich als zugänglicher erwiesen, während das Bild der Jungs auch im Film fragmentarisch bleibt. „Auch eine Frage des Alters“. Das von Ott hervorgehobene Motiv der Tür war schon bei den Dreharbeiten zentral, bestätigt Wright: Das Heimleben spielt sich einerseits in den quasi öffentlichen Gemeinschaftsräumen ab, andererseits hinter den Zimmertüren, wo die Kinder entscheiden, was passiert.

Die sozialen Hintergründe der Jugendlichen bleiben im Film absichtlich erst einmal ausgeblendet. Man sollte nicht gleich mit einem Stempel im Kopf einsteigen, erklärt Wright, sondern gezwungen sein, bei den Menschen anzufangen.

Ein Vorsatz der Filmemacher war, die Familiengeschichten der Heimbewohner nie direkt zu erfragen. Im Fall von Sarah habe sich das anders entwickelt, so dass Wright ihr aus der Dynamik der Situation heraus doch konkrete Fragen zu ihrer Vergangenheit gestellt hat. Für beide ein sehr heikler Moment, deshalb sei diese Schlüsselszene im Film so ausgestellt.

Nicht zuletzt geht es auch um das Interesse am Milieu. Ott fragt, warum im Dokumentarfilm so oft die unteren Randzonen der Gesellschaft dargestellt werden, während der Spielfilm den oberen Schichten vorbehalten scheint?

Das ist vor allem ein deutsches Phänomen, so Wrights Einschätzung. In England etwa seien die „kleinen Leute“ schon im Fernsehen sehr viel präsenter als hierzulande, wo sie höchstens in RTL Reality Shows auftauchten. Im deutschen Dokumentarfilm wiederum neige man dazu, das Exotische im Ausland zu suchen, statt vor der eigenen Haustür. Dabei gibt es das hier ja auch, so Wright, nur 20 Meter entfernt von diesem Kinosaal ist eine völlig andere Welt, es ist spannend, das zu erfahren. Und wichtig, sich ernsthaft mit dieser Welt, diesen Menschen auseinanderzusetzen. Kleinstheim ist „ein Film über kleine Leute und wie sie mit den großen Fragen umgehen“.

Besonders beeindruckt haben die beiden Szenen, in denen es zu Gewaltausbrüchen kommt. Insbesondere der Zwischenfall mit dem Messer stellte für die Filmemacher einen Konflikt dar. Eigentlich habe man ja etwas Positives erzählen wollen, war nicht sicher, ob man dieses Material überhaupt verwenden dürfe. Die Szene soll in erster Linie die Fallhöhe deutlich machen: Dass es solche Leute immer wieder gibt, dass die ErzieherInnen und vor allem die Kinder damit klarkommen müssen. Hier lässt sich auch wieder an Sarahs Hausaufgabentext anknüpfen, der im Film über die malerischen Landschaftsaufnahmen gelegt wurde: „Der Mensch ist das einzige Lebewesen, dass die Entwicklung seines Lebens selbst bestimmen kann“. Zum Guten oder zum Schlechten.

 Judith Funke © Duisburger Filmwoche, Foto: Simon Bierwald
Judith Funke © Duisburger Filmwoche, Foto: Simon Bierwald