Film

Holding Still
von Florian Riegel
DE 2010 | 26 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 34
03.11.2010

Diskussion
Podium: Florian Riegel
Moderation: Peter Ott
Protokoll: Judith Funke

Synopse

Ein kleines Haus in Seaside, USA. Den Eindruck bestimmt helles Holz, ein freundliches Interieur, Ventilatoren an der Decke; alles ist sehr leise. Hier wohnt Janis, schon lange. Ihre Stimme liegt über den Dingen, während sie langsam von ihrem Haus erzählt und ihr Leben berichtet. Sie lässt die Kameras schweifen.

Protokoll

Janet Sawyer fühlt sich wohl in ihrem gemütlichen Haus; vor allem liebt sie die rotierenden Ventilatoren an der Decke. Seit 20 Jahren lebt sie hier in Seaside, Florida, einem Ort, der eigens konstruiert wurde, um die durch Zersiedelung vereinzelten Menschen wieder zusammenzubringen, um sie auf offenen Veranden und Fußwegen ein neues soziales Miteinander gestalten zu lassen. Dem Ort, der HOLDING STILL als Bühne dient. An Janets Fenster schlendern und radeln die Passanten vorbei: „They are living in a magical place, they are having a magical time“.

Janet selbst allerdings hat mit all dem nichts zu tun, im Gegenteil: Für die Bewohner des schmucken Touristenortes bleibt sie unsichtbar. Auch der Zuschauer bekommt Janet nicht direkt zu Gesicht, gefilmt werden wollte sie nicht, berichtet Riegel.

Seit Danny, ihre große Liebe, ihr eines Morgens das Genick gebrochen hat, kann Janet nicht mehr laufen, verlässt fast nie ihr Bett. Sie hat sich entschieden: Nach draußen möchte sie nicht. Man muss nur lange genug stillhalten und ein bisschen beobachten, erklärt sie, dann kommt schon alles zu einem. Über eine computergesteuerte, mobile Überwachungskamera erkundet sie mit tastenden Blicken ihre unmittelbarste Umgebung, für alle weiteren Entfernungen verlässt sie sich auf ihren überaus beweglichen Geist. Ihre Schilderung einer „gewalttätigen Zerstörung“ (Girke) ist vorwiegend mit ihren eigenen Fotos und Collagen bebildert, die sich mit Riegels hochaufgelösten, postkartenartigen Tableaux des Städtchens zu komplexen Bilderschichten zusammenfügen. Das Ergebnis ruft beim Publikum vielfältige Assoziationen hervor, von APOCALYPSE NOW über Howard Hughes bis zu Prousts Tante Leonie.

Der Regisseur zeigt sich nachhaltig beeindruckt von seiner Protagonistin, ursprünglich einer von vier InterviewpartnerInnen, die erst im Schnitt zur alleinigen Hauptfigur seines Seaside- Filmes wurde. Riegel berichtet von intensiven nächtlichen Gesprächen und einem sehr offenen und emotionalen Verhältnis. Das Schönste für ihn sei zu sehen, wie viel der Film Janet zurückgebe. Die Gelegenheit, ihre Geschichte zu erzählen, Raum zur Selbsterkenntnis, Selbstfindung oder auch Selbstrechtfertigung.

In diesem Zusammenhang wird der subjektivierende Einsatz des Sounds zum Unterstreichen ihrer emotionalen Verfassung thematisiert. Ott provoziert: Ist das nicht undokumentarisch? Philip Scheffner zeigt sich irritiert: Warum wurde ein Sound zu Janets Leben komponiert, warum erfahren wir nicht, was sie selbst hört? Ein sensibles Thema, findet auch Riegel; dass man seinen Eingriff auf der Tonebene als Verfälschung empfindet, kann er nachvollziehen. Die Musik sollte weniger emotionalisierend wirken, sondern vielmehr Janets Erzählung tragen, einen Raum zum Nachklingen schaffen. Das beständige Geräusch der Auslaufrille einer Schallplatte, mit dem Janets stumme Kamerabilder unterlegt sind, wurde intuitiv als passend empfunden.

Die abschließenden Totalen von Seaside am Ende „nachzureichen“ war Riegel ein Anliegen, sie sollen Raum geben, um noch einmal aus der Distanz über das Gehörte zu reflektieren. Bilder der Weite, die am Ende dieser schmerzhaften Selbstrechtfertigung auch argumentativ gelesen werden können.

Es ist schwer zu fassen, mit welcher Gemütsruhe Janet sich eingerichtet hat an diesem Ort, in diesem Leben, dass sie doch selbst als bizarr bezeichnet. Eine Diskutantin vermutet buddhistische Einflüsse, eine andere empfindet Janets radikales positive thinking als „absoluten Horror“, gerade auch vor dem Hintergrund des Retortendorfs Seaside: Wo ist da das Leben?

Genauere Erläuterungen zu Janets Biografie wurden bewusst außen vor gelassen. Dass Danny sich umgebracht hat etwa, oder dass sie später Fred geheiratet hat, den „bärtigen, verkifften Hippie“. HOLDING STILL möchte kein biografischer Film sein, zumindest nicht nur das; durch die Lücken und das Sprunghafte soll „etwas anderes aufgemacht werden“.

Dass der Film keine geschlossene Einheit bilde, an der Oberfläche bleibe, wird geäußert. Riegel fragt zurück: was wäre denn unter der Oberfläche, an der er kratzt? Wichtig ist ihm vor allem, dass sein Film offen bleibt für mehrere Lesarten, dass er beklemmend, aber auch sehr befreiend wirken kann.

„Ein kluger Film“ (Ott), ambivalente Reaktionen und grundlegende Fragen, die weiter im Raum stehen: Inwieweit entspricht persönliches Glück einer objektiven Realität? Wie schön kann ein schöngeredetes Leben sein? Und was kann das Medium Film von diesen inneren und äußeren Lebenswelten zeigen?