Film

Gesicht und Antwort
von Peter Ott
DE 2010 | 70 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 34
05.11.2010

Diskussion
Podium: Peter Ott
Moderation: Werner Ružička
Protokoll: Nadine Voß

Synopse

Don-Bosco-Heim für Schwerstbehinderte: D. ist nach einem Badeunfall im „Low Consciousness State“. Nachtbett. Im Bett liegen, Füttern, Baden, Spazierfahrt im Rollstuhl. Tagesstätte, Tagesbett. Physiotherapie. Etwas Fernsehen. Nachtbett.

Protokoll

Behindert ist man nicht, behindert wird man lautet eine Schlüsselthese im Diskurs um Behinderung, der sich in den vergangenen Jahrzehnten von auschließlich physisch-medizinischen Zugängen distanziert und zunehmend soziale Faktoren in die Diskussion einbindet. Um die Auflösung normativer Kategorien von „behindert“ und „gesund“ geht es, um die Thematisierung unzulänglicher Begrifflichkeiten und Darstellungen. Darum, eine angemessene Form zu finden, von Behinderung zu sprechen.

Ott findet seine Form darin, nicht zu sprechen. Das Porträt seiner Schwester zeichnet sich durch eine Akzentuierung des Bildes aus, denn gesprochen wird nur kaum. Nur so könne er seiner Schwester gerecht werden, erklärt Ott. Nach einem Unfall in ihrem 15. Lebensjahr lebt Daniela Ott in einem unterschiedlich betitelten Zustand (appallisches Syndrom / Wachkoma / Pflegestufe F / Low Consciousness State“), in dem sie ausschließlich nonverbal kommunizieren kann. Jedes Sprechen vor und hinter der Kamera hätte eine Komplizenschaft zwischen Zuschauer und Sprechendem heraufbeschworen, die Daniela Ott als Objekt festgelegt hätte.

Die Bildlichkeit des Films zeichnet sich durch einen Fokus auf Körperlichkeit aus. Immer wieder fängt die Kamera einzelne Bereiche des Körpers der Schwester ein, größtenteils verharrt sie in Großaufnahmen auf ihrem Gesicht, dessen Augen den Blick der Kamera unverwandt erwidern. Bewusst halte sie den Kontakt zur Apparatur, betont Ott, und über diese Form des Filmens übe sie eine Kontrolle über ihre Darstellung aus, die ihr in Formaten wie z.B. Reportagen nicht zugestanden wird. Ihre Blicke „ziehen in den Film hinein“ und durch die langen Einstellungen wird man sich des eigenen Blicks bewusst. Im Verlauf des Films habe sie ihre Zuschauerhaltung überdacht, formuliert eine Diskutantin ihr Erfahrungen. Nicht nur Blickverhältnisse werden durch die Bildpolitik des Films reflektiert, sondern auch Körpermodelle und Begriffe von Schönheit.

Angesprochen auf sein Anliegen, erwidert Ott, er habe keinen Film über das persönliche Verhältnis zu seiner Schwester drehen und das Sujet nicht über die Familienzugehörigkeit legitimieren wollen. Stattdessen habe er Repräsentationsmöglichkeiten, aber ebenso die Konfrontation mit dem Zuschauer und seinen Sehkonventionen gesucht. Angesichts der kontroversen Reaktionen des Publikums scheint ihm dies gelungen zu sein. „Intensive Seherfahrungen“ auf der einen Seite, Empörung über „respektloses Draufhalten“ und „würdelose Ausstellung“ andererseits: GESICHT UND ANTWORT löst Befindlichkeiten im Umgang mit Behinderung aus und wirft so abermals die Frage nach Äußerungs- und Darstellungsmöglichkeiten auf.

Daniela Otts Zustand ist „keine Katastrophe, sondern ein Leben hoher Qualität, mit dem die Familie nicht hadert“ (Ott). Offen bleibt, was der Zuschauer in ihrem Blick liest und erkennt, ob das „Zurückblicken“ ein „Zeichen für Respekt“ (Ružička) oder eine Erniedrigung ist – und wenn ja, für wen.