Synopse
Auf den Spuren des Herrschers „Vlad der Pfähler“, den Bram Stroker als blutsaugenden Vampir von den Toten auferstehen ließ. Rumänien hat sich längst auf die Touristen eingestellt, die dem Grusel der literarischen Vorlage frönen wollen. Die Einheimischen haben eigene Vorstellungen vom Mittelalterfürsten.
Protokoll
Ein echter Publikumsfilm. Wilde Landschaften, skurrile Figuren, blutrünstige Geschichten aus der Vergangenheit und eine Legende, die jeder kennt. Stanislaw Mucha, längst kein Unbekannter mehr und mit Arbeiten wie ABSOLUT WARHOLA und BUSINESSMAN langjähriger Gast des Festivals, freut sich sichtlich, dass sein neuer Film gefallen hat.
Was hat es auf sich mit dem Blutsaugerischen im Menschen? Diese Frage, die ihm seine inzwischen verstorbene Vermieterin eines Tages stellte, begann ihn umzutreiben. Der Regisseur hatte Blut geleckt, fing an zu recherchieren und vom Blutsauger zu Dracula war es nur noch ein kleiner Schritt. Überhaupt schien das Thema naheliegend zu sein, ist man doch als Filmemacher auch so eine Art Blutsauger, immer lauernd, auf der Jagd nach Geschichten, Bildern und Bedeutungen. Gefunden und auf Bild gebannt hat Mucha neben symbolträchtigen Momentaufnahmen vor allem einen ganzen Reigen an sonderlichen Gestalten. Es gibt krumme Alte mit faltigen Gesichtern, die lange in die Kamera blicken und Kurioses berichten, einen schrullig-passionierten Graphologen, einen Werwolf, einen Pfarrer ohne Gemeinde und einen Italiener im Bademantel. Dieses Figurenkabinett beschäftigt die nächtliche Runde. Klostermann etwa zeigt sich begeistert von Muchas Zugang, von seiner besonderen Art, den Menschen mit der Kamera zu begegnen. Der Regisseur betont, das habe weniger mit Talent, als vielmehr mit Empathie und Intuition zu tun. Natürlichkeit in der Begegnung und ein Interesse an dem, was die Leute zu sagen haben. In DIE WAHRHEIT ÜBER DRACULA ergibt sich daraus eine filmische Erzählung, in der Mythos und Agonie die beiden inhaltlichen Grundlinien bilden. Dokumentiert wird das langsame Verschwinden der deutschsprachigen Minderheit in Transsilvanien, der Niedergang einer jahrhundertealten Kultur. Die Zahl der Siebenbürger Sachsen, die noch in Siebenbürgen leben, hat sich inzwischen stark dezimiert. Die, die das Land noch nicht verlassen haben, sind nicht mehr die Jüngsten, häufig ausgesprochen gebildet, aber eben auch etwas verschroben. Und auf eine faszinierende Art und Weise „identisch mit sich selbst“, so der Regisseur.
Werner Ruzicka verweist seinerseits auf eine sprachsoziologische oder auch spracharchäologische Dimension des Films. Er vermag etwas zu konservieren, das vermutlich nicht mehr lange existieren wird: einen alten deutschen Dialekt, der an das Ostpreußische erinnert, das ihm aus seiner Kindheit noch bekannt ist.
Die Gespräche mit den Siebenbürger Sachsen und den Bauern der Region werden verknüpft mit der Geschichte Rumäniens und dem Mythos von Vlad Tepec (Vlad der Pfähler), mittelalterlicher Herrscher und historisches Vorbild für die literarische Erfindung Dracula. Die Legenden, die sich um den grausamen Fürsten ranken, sind in dieser Region zwischen Moldau und Walachei, in der die Uhren anders ticken, noch immer sehr lebendig. Dagegen scheint unsere Gesellschaft den Sinn für den Mythos verloren zu haben – wir leben ein mythenarmes Leben. Andererseits ist die Gegenwart von einer Globalisierung der Mythen und einer Mythisierung der Wirklichkeit geprägt: „Geld ist auch ein Mythos, das ist die neue Art des Pfählens“ (Mucha). Der ökonomische Ausverkauf der Dracula-Legende, ihre Ein- und Unterordnung in ein gewinnorientiertes Verwertungssystem ist nicht zu übersehen: Grusel- Hotels, Freizeitparks, Dracula-Märkte und ein Institut für Vampirismus. Das Spektakel ist auch in Transsilvanien angekommen.
Je länger die Diskussion, desto mehr geht man ins Detail. Es geht um filmische Verfahren, um Stil und die Frage, wie kalkuliert der Einsatz bestimmter formaler Mittel sein darf. Ruzicka formuliert die Kritik, das Virtuose, das Innovative und Kühne im Schnitt sei eher in vorangegangen Arbeiten Muchas zu finden. Hier wirke es manchmal, als sei sich jemand seines Handwerks etwas zu sicher gewesen, als habe man allzu oft auf den Effekt geschielt. Der Regisseur aber hält das „Schmunzeln“ für einen wertvollen Effekt. Er mag das, wenn man auch den schweren Dingen mit einem Lächeln begegnet. Das hat für ihn nichts mit dem grellen Humor eines Til Schweigers zu tun. Beim Schneiden gewinnt diese Grundhaltung dann vielleicht eine eigene Dynamik, ohne dass man während des Drehs bewusst nach skurrilen Szenen gesucht hätte. „Es ist unwichtig, ob man sucht – wichtig ist, dass man findet.“ Da liegt ein totes Pferd einfach in der Landschaft herum. Und daneben verharrt ein zweites, ganz weißes Pferd in völliger Regungslosigkeit und weiß nicht, wohin mit seiner Trauer. Das ist so ein Bild, das man einfach einfangen muss.
Auf Muchas nächste Geschichte darf man gespannt sein. Er verspricht jedenfalls bald wiederzukommen, und dann mit einem Film, der einmal nicht in Osteuropa spielt, sondern ausschließlich in der Bundesrepublik. Ob der dann auch so unterhaltsam wird, das bleibt abzuwarten.